Was ist ein Denkmal? Ein Tribut an die Geschichte? Ein Symbol für Stabilität? Oder gar Werbung für eine Stadt? To4ka-Treff hat darüber mit jungen Leuten aus Kasachstan gesprochen und herausgefunden, was sie von altertümlichen Tempeln, sowjetischen Büsten, moderner Kunst und den lustig aussehenden, steinernen Kompositionen halten, die über das ganze Land verstreut sind.
/Erheiternde Skulpturen sind in ganz Kasachstan zu finden./
„Gde, gde? – W Karagande!“ („Wo, wo? – In Karaganda“)
Für die Bürger von Karaganda gibt es kein Entkommen mehr vor dieser Phrase. Man denkt, dass der Produzent der früher populären Gruppe Na-Na um Bari Alibasow die Idee für die Erschaffung des Denkmals zu dem geflügelten Wort gab. Der Entertainer kam sogar zur Eröffnungsfeier der Skulptur nach Karaganda. Damals enthüllte man zwei ratlos in die Ferne blickende Männer mit einem Koffer und ein lebensfrohes Murmeltier, das sich elegant an einem Wegweiser abstützt. Die Komposition gleicht, der Meinung örtlicher Bewohner und Bildhauer zufolge, einem einst von der Gruppe „Duna“ gesungenem Liedreim.
Doch die aus Plastik erstellte Skulptur sollte dort nicht lange in ihrer angedachten Form stehen. Denn gerade einmal 24 Stunden nach ihrer Enthüllung lehnte nur mehr das Murmeltier in stolzer Einsamkeit an seinem Wegweiser. Natürlich mit dem Koffer. In der Nacht wollten sich nämlich nicht ganz nüchterne Besucher eines nahe gelegenen Wirtshauses mit den Figuren fotografieren und haben dabei ihre Kraft etwas unterschätzt und die Skulptur beschädigt. So musste dann das Murmeltier für lange Zeit alleine dort die Stellung halten. Doch vor kurzem wurden seine ratlosen Genossen wieder an ihren angestammten Platz zurückgebracht.
Die Kunstwissenschaftlerin Natalija Kowaljowa erzählt: „Viele Leute kennen unsere Stadt nur dank der Phrase „Wo, wo? In Karaganda!“ In Russland ist es sogar nicht selten vorgekommen, dass Leute denken, dass Karaganda eine russische Stadt ist. Klar, jeder will ein Foto von sich mit der Skulptur haben. Dabei hat sie gar keinen architektonischen oder historischen Wert. Sie ist nicht einmal ein Denkmal, wenn man von der eigentlichen Bedeutung des Wortes ausgeht, denn sie ist nicht im Gedenken an jemanden oder etwas errichtet worden. Doch als Werbung für die Stadt – warum eigentlich nicht.“
Mit Lenin an meiner Seite
Dieses Jahr ist gezeichnet von Vergänglichkeit, denn auch eines der ältesten Denkmäler in Karaganda ist verschwunden. Der Wind der Veränderung hatte nämlich die zweihundert Kilo schwere Leninstatue von ihrem angestammten Platz mitten im Stadtzentrum hinausgeweht in die Peripherie neben das örtliche Kino. An seiner Stelle befindet sich nun ein weiteres Unabhängigkeitsdenkmal, was den Bürgern der Stadt so gar keine Ruhe lässt, ragt vor ihren Augen doch nicht mehr die altbekannte Leninstatue hinauf in die Wolken.
Die Designerin Nastja Kriwodanowa lässt uns an ihrem Leid teilhaben: „Die Person Lenin an sich, interessiert mich nicht besonders. Wichtig war mir nur das Denkmal, ganz unabhängig davon, wessen es gedachte. Denn solange ich mich erinnern kann, bin ich an ihm vorbeigegangen, wobei er mir immer großartig und mächtig erschien. Beinahe so, als ob ihm nichts etwas anhaben könnte. So bin ich, wenn ich einen schlechten Tag hatte, auf die Straße gegangen, habe ihn angesehen und mir gedacht: „Was kann denn schon passiert sein – Lenin steht ja noch.“ Der Tag, an dem man das Denkmal entfernt hat, war für mich der schwärzeste Tag in diesem Jahr. Es schien nämlich so, als ob man sich in nichts mehr sicher sein konnte. Na gut. Soll das neue Denkmal dort nur stehen bleiben. Vielleicht wird es ja auch für jemanden irgendwann einmal zum Symbol für Hoffnung. Doch mein Symbol steht jetzt unnütz im Hinterhof der Stadt.“
Müll im Trend
Denkmäler in Kasachstan sind in der Regel sehr traditionell gestaltet. Doch das Denkmal mit dem Namen „Mustang“ (wobei dieser nicht für ein Auto steht, sondern für ein Wortspiel, denn das Wort „musor“, von dem sich der erste Wortteil ableitet, bedeutet im Russischen Müll, Anm. V.M.) sticht förmlich aus dem Stadtbild Astanas heraus, besteht es doch aus metallischen Abfällen. Wenn sich nämlich der aus Almaty stammende Bildhauer Georgi Trjakin-Bucharow an die Arbeit macht, werden alte Bügeleisen, weggeworfene Gitterstücke, löchrige Kannen und abgelegte Puppen aus Kindertagen zu einzigartigen Kunstwerken. Seinem „Mustang” haben die Hauptstädter zwar die Geschlechtsteile entfernt, doch das hält ihn nicht davon ab, moderne Kunst der breiten Masse vorzustellen.
Die Kulturwissenschaftlerin Natalja Kowaljowa hält von Trjakin-Bucharows Arbeit Folgendes: „Mir persönlich gefällt diese Idee sehr. Die Skulptur ist als Kunstwerk sowie als Vorzeigeobjekt, wie man Rohstoffe ein zweites Mal verwenden kann, absolut einmalig. Toll ist auch, dass sie im Studentenpark steht, denn so erweitern die Studierenden schon beim Betrachten dieser Statue ihren Horizont.“
Mit gefällter Schaufel
Archäologische Denkmäler, von denen es in Kasachstan nicht wenige gibt, können, im wahrsten Sinne des Wortes als Denkmäler bezeichnet werden. In den 80er Jahren wurde beispielsweise in einem Gebirge, das 260 km von Karaganda entfernt liegt, der Kysyl-Kent-Palast (Kizhel Kensh Palace) entdeckt. Dieses architektonische Denkmal wird zeitlich auf das 13. bis 15. Jahrhundert zurückdatiert. Von seiner Entstehung erzählen eine Vielzahl von Legenden, doch die Mehrheit der Forscher ist sich darüber einig, dass es sich um die Überreste eines von Nomaden erbauten buddhistischen Tempels handelt. Seit seiner Entdeckung finden rund um den Tempel archäologische Ausgrabungen statt, an denen auch Schüler und Studierende teilnehmen.
Die PR-Managerin Olga Zoi erzählt: „Schon in meiner Jugend habe ich an archäologischen Expeditionen teilgenommen. Damals habe ich auch begonnen, über die eigentliche Bedeutung von Denkmälern nachzudenken. Anfangs waren diese Expeditionen für mich zwar nur Abenteuer, doch dann haben wir zum ersten Mal Stücke von Geschirr, Waffen oder Knochen von Menschen und Tieren gefunden. Wir konnten Geschichte berühren. Wenn man dann vor einem archäologischen Denkmal steht, empfindet man Ehrfurcht, und es überkommt einen die Erkenntnis, dass man ein Sandkorn im Vergleich zur Geschichte eines Landes ist. Das ist auch der Grund, warum es wichtig ist, nicht nur neue Denkmäler zu erschaffen, sondern auch das von der Geschichte Erschaffene zu erhalten.“
Übersetzung / Foto: Verena Maier
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