Zwischen 1967 und 1970 entstand in Alma-Ata das erste Wohnhochhaus. Die Almatiner tauften es im Laufe der Zeit liebevoll auf den Namen „Die drei Recken“ – in Anlehnung an die legendären Helden, die auch als Schutzherren der Menschen gelten.

Das Gemälde „Die drei Recken“ des russischen Künstlers Wiktor Michailowitsch Wasnezow zählt heute zu den berühmtesten Werken der russischen Kunstgeschichte. Der Maler beschäftigte sich in seiner Arbeit insbesondere mit mythologischen und historischen Themen. Jenes legendenbehaftete Werk, welches 1898 fertiggestellt wurde und heute in der Moskauer Tretjakow-Galerie zu bewundern ist, zeigt die drei sagenumwobenen Recken Ilja Muromez, Dobrynja Nikititsch und Aljoscha Popowitsch mit strengem Blick hoch auf ihren Rössern sitzend. Sie sind die drei wichtigsten Heldengestalten der slawischen mittelalterlichen Sagen- und Legendenbildung.

Zu Zeiten der Kiewer Rus, noch vor der mongolischen Eroberung, kämpften freie Söldner für slawische Fürstentümer gegen zentralasiatische Nomaden oder Finno-Ugrier aus dem Westural und erkämpften sich so oftmals den Ehrentitel „Bogatyr“. Aus dieser Zeit stammen die meisten Sagen und Legenden der heldenhaften, tapferen Krieger und Recken, der sogenannten Bogatyry. Doch was hat das alles mit Almaty zu tun?

Das erste Wohnhochhaus von Alma-Ata

Was den sowjetischen Wohnungsbau angeht, so gelten die großen Wohnblocks heute oft als Inbegriff einer fehlgeleiteten, sowjetischen Dystopie. Gleichförmig, grau, unpersönlich. Die endlosen Trabantenstädte von Moskau, Kiew oder auch Berlin gelten heute als soziale Brennpunkte mit fürchterlichem Ruf. Die vorfabrizierte „Platte“, einst eine Idee, um in den Nachkriegsjahren schnell und kostensparend zeitgemäßes Wohnen für Massen zu ermöglichen, machte aus den Modellstädten des Sozialismus anonyme Geisterstädte. Der Wohnungsbau zählt heute nicht zu den Glanzstücken sozialistischer Architektur. Doch dies muss nicht immer zutreffen, wie das Wohnhaus „Die drei Recken“ direkt im Zentrum von Almaty zeigt.

Zu Beginn der 1970er Jahre wurde beschlossen, im Gedenken an den 100. Geburtstag Lenins eine Straße vollständig zu rekonstruieren. Diesem neuen Lenin-Prospekt musste praktisch die gesamte historische Architektur weichen, auch jene aus dem vorrevolutionären Werny. Aber der Prospekt, heute unter dem Namen Dostyk eine der zentralen Hauptverkehrsstraßen im Zentrum Almatys, wurde zum Experimentierfeld für moderne Architektur.

Den Architekten B. Tschurljaew und A. Petrow oblag es, das erste Wohnhochhaus der Stadt zu konstruieren. So entstand zwischen 1967 und 1970 ein Komplex, bestehend aus drei zwölfstöckigen, quaderförmigen Türmen. Die Architekten entschieden sich dabei für eine Konstruktion aus Stahlbetonstelzen, auf denen die einzelnen Etagenböden zum Tragen kommen. Eine Technik, die erstens erdbebensicher sein sollte, und zweitens dem Gebäude von außen eine gewisse Leichtigkeit verlieh, da es komplett von offenen Balkonen umringt war. Gänge auf jeder der zwölf Etagen verbanden die drei Türme. Im Erdgeschoss der drei Recken waren unter anderem eine Schule, ein archäologisches und ein geologisches Museum sowie das bei seiner Eröffnung modernste Kino der Stadt „Iskra“ untergebracht.

Ein Schutzpatron der Menschen

Das Gebäude hieß nicht von Anfang an so. Aber es waren die Almatiner, die ihm im Laufe der Zeit liebevoll den Namen „Tri Bogatyrja“ (drei Recken) verliehen. Wer heute noch alte Bilder aus jener Zeit sieht, wird zustimmen, dass das Gebäude einerseits elegant, andererseits wuchtig daherkommt. Vielleicht aber auch behaglich und beschützend? Eine Theorie besagt, das Wort Bogatyr sei eine Kombination aus dem slawischen „Bog“ (Gott) und dem germanischen Kriegsgott „Tyr“. Aber auch das Kasachische und einige andere Sprachen kennen einen „Batyr“, einen „tapferen Krieger“. In jedem Falle ist der Bogatyr ein Schutzpatron der Menschen. Genauso wie die drei Helden aus den slawischen Legenden.

Nach der Privatisierung der Wohnungen in den chaotischen 1990er Jahren konnte nun jeder seinen Balkon zu einem weiteren Zimmer umfunktionieren. Das Ergebnis, ähnlich wie bei vielen sowjetischen Wohnhäusern: ein regelrechter bunter Flickenteppich aus improvisierten Balkozimmerchen. Die geradlinige luftige Fassade ist nur noch zu erahnen. Aber die Menschen lieben ihre drei Recken nach wie vor. Die Bewohner und Aktivisten kämpfen inzwischen für ein Renovierungskonzept und für den Erhalt ihres liebgewonnenen Wohnraums. Es ist zu hoffen, das dieses Vorhaben gelingt und sich noch Generationen gerne an die drei Recken erinnern werden.

Philipp Dippl

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