Gulbarschin Isbulajewa arbeitet als Deutschlehrerin am Gymnasium Nummer 18 in Almaty. Vom 6. bis 26. November absolvierte sie eine Hospitation an der Rolf Zuckowski Grundschule im brandenburgischen Lindenberg. Für die DAZ hat sie einen Erfahrungsbericht über diese Zeit geschrieben.

Mein Name ist Gulbarschin. Ich arbeite als Deutschlehrerin im Gymnasium Nummer 18 in Almaty, in Kasachstan. 1994 habe ich die Uni für Fremdsprachen absolviert. Schon seit vielen Jahren arbeite ich als Lehrerin in der Schule. Seit einigen Jahren besuche ich verschiedene Kurse, Bildungsseminare und Fortbildungen für die deutsche Sprache. Ich habe verschiedene Vorträge präsentiert und verschiedene Lehrprogramme geschrieben. In meinen Seminaren teilte ich meine Erfahrungen den anderen mit. Gern besuchte ich die Unterrichte verschiedener Lehrer und verschiedener Fächer. Je mehr ich über Deutschland gelesen und erfahren habe, desto mehr wuchs in mir der Wunsch, das Land selbst kennenzulernen.

Ich wollte die deutsche Sprache jeden Tag anwenden, die Kultur sowie Sehenswürdigkeiten und Geschichte persönlich kennenlernen, und die Methodik in einer deutschen Schule erleben.

Dabei wollte ich nicht nur den Deutschunterricht besuchen, sondern auch Inhalte und Methoden anderer Fächer kennenlernen. Mein Interesse galt weiterhin der Geschichte und Kultur Deutschlands. Ein Besuch in der Hauptstadt sowie außerschulische Aktivitäten habe ich mir vorgenommen.

Musikalisch orientierte Schule

Die Schule, in der ich hospitierte, befindet sich im Land Brandenburg südlich von Berlin, in ländlicher Umgebung. Ihr Namensgeber ist ein berühmter Kinderautor, er schreibt und singt Kinderlieder: die Rolf Zuckowski Grundschule.

Hier gehen die Kinder von der ersten Klasse bis zur sechsten Klasse. Die Schule ist musikalisch orientiert. In der ersten und zweiten Klasse erhalten die Kinder zweimal in der Woche Musikunterricht. Ab der dritten bis zur fünften Klasse lernen sie ein Instrument: Gitarre. In der fünften Klasse veranstalten sie ein Gitarrenkonzert für die Eltern.

Im Erdgeschoss der Schule befinden sich ein Kindergarten sowie der Schulhort. Des Weiteren gibt es einen großen Speiseraum, eine Turnhalle sowie einen großen Schulhof. Alle Klassenräume sind mit elektrischen Tafeln ausgerüstet. Für die Kinder stehen Tablets zur Verfügung. Ich erhielt die Möglichkeit, an allen Unterrichtsfächern teilzunehmen. Jeden Morgen erhielt ich einen Hospitationsplan, hier konnte ich meinen Tagesablauf lesen und mich vorbereiten. Nachdem ich meine persönlichen Impfungen nachweisen konnte, waren keine Einschränkungen gegeben.

Während meines Aufenthalts konnte ich in den Klassenstufen 1-6 hospitieren. Am ersten Tag führte mich die Direktorin Fr. Zahn durch alle Klassen. Hier wurde ich den Schülern vorgestellt. Ich habe in allen Klassen meine Präsentation über mein Land und unsere Schule gehalten. Die Kinder waren sehr interessiert und stellten viele Fragen.
Gleich am Anfang lernte ich drei Mädchen aus der Ukraine kennen. Sie waren sehr zurückhaltend und ängstlich. Mit Hilfe der russischen Sprache und meiner Art konnte ich die Kinder motivieren, sich zu öffnen. Ich gab den Kindern Einzelunterricht in Deutsch. Zwischen der Mama und den Lehrerinnen vermittelte ich; so konnten Fragen und Probleme besprochen werden.

Alle Menschen einschließlich der Kinder und Lehrer sowie meine Gastfamilie waren sehr freundlich und offen mir gegenüber.

Kindergottesdienst, Sankt Martin und Sanssouci

Gleich in der ersten Woche fand eine Elternversammlung der sechsten Klassen statt. Nach der sechsten Klasse müssen die Kinder eine andere Schule wählen. Hierbei können sie zwischen dem Gymnasium (bis zur 12. Klasse) oder einer Oberschule (bis zur 13. Klasse) wählen. Unweit von Lindenberg, in Beeskow, gibt es beide Formen von Schulen. Speziell für die Eltern organisierte die Schulleitung das Treffen mit den Schulleitern dieser Schulen. Sie erzählen über das Lernen und die Zulassungsordnung. Ich wurde auch zu diesem Treffen eingeladen, denn dort war auch die Mutter von zwei der ukrainischen Kinder. Ich übersetzte die Inhalte, denn sie versteht und spricht kein Deutsch.

Zum Martinstag, der am 11. November stattfindet, waren wir mit meiner Gastfamilie in der Kirche. Ich habe gesehen, wie die Einwohner diesen Tag feiern. In der Kirche wurde ein Kindergottesdienst veranstaltet. Es war sehr interessant. Wir haben gesungen, und viele Kinder kamen mit beleuchteten Laternen. Nach dem Gottesdient sind wir alle gemeinsam durch den geschmückten Park gelaufen, und natürlich trabte voraus ein Reiter zu Pferd – Sankt Martin.

An meinem ersten Wochenende in Deutschland besuchte ich mit Fr. Zahn und ihrer Familie Potsdam. Mit dem Bus machten wir eine Stadtrundfahrt. Drei Stunden erzählte ein Reiseführer über die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Potsdams – unter ihnen das weltbekannte Schloss Sanssouci. Kein anderes Schloss ist so mit der Persönlichkeit Friedrichs des Großen verbunden wie Sanssouci. Viele Schlösser, Gärten und Seen konnte ich aus dem Bus sehen. Potsdam ist sehr schön, die Deutschen nennen es die „schönste Insel Brandenburgs“.

Am Sonntag besuchte ich mit meiner Gastfamilie den Spreewald, und wir fuhren zum größten Spreewaldhafen Lübbenau. Wir machten eine Kahnfahrt durch den Spreewald. Besonders beliebt sind die alten Häuser, die direkt an der Spree liegen und einen Zugang zu dem Fließen haben. Der Spreewald ist berühmt für seine vielen Wasserstraßen, saure Gurken und die eigene sorbische Sprache. Wir saßen in Decken und tranken Tee. Die Menschen wohnen so abgelegen, dass sie ein Boot benötigen, um zu ihren Häusern zu kommen.

Ich genieße jeden Moment meiner Reise.

Anschließend besuchten wir die Schokoladenfabrik Felicitas. Hier konnten wir unsere eigene Schokolade herstellen und verzieren. Danach haben wir Kaffee getrunken und Torte gegessen.

Eindrücke aus der Hauptstadt

Am nächsten Samstag stand Berlin auf dem Plan. Bei einer Schifffahrt habe ich viele Sehenswürdigkeiten gesehen und viel über die Hauptstadt erfahren. Wir fuhren auf der Spree durch das Regierungsviertel. Hier sahen wir den Reichstag mit seiner Glaskuppel, den Hauptbahnhof, das Parlamentsgebäude und den Tierpark. Im Tierpark steht die Siegessäule, ein weiteres Wahrzeichen Berlins. Am Berliner Dom sind wir ausgestiegen und besuchten diesen. Insgesamt 265 Stufen stiegen wir zur Kuppel auf. Hier konnten wir über ganz Berlin blicken.

Ein kleiner Spaziergang durch einen Kunstmarkt führte uns zum Alexanderplatz. Hier stehen der Fernsehturm und die berühmte Weltuhr. Auch Almaty ist dort zu finden. Am Brandenburger Tor demonstrierten viele Menschen für den Frieden, überall in Berlin spürt man die Geschichte der ehemaligen DDR und BRD. Zum Beispiel erinnern weiße Kreuze an 144 ermordete Menschen, die an der Grenze auf der Flucht erschossen wurden. Berlin ist eine bunte Stadt, in der viele Nationalitäten gemeinsam leben.

Die Eltern und die Lehrer der Schule arbeiten sehr eng zusammen. Viele Eltern sind hier selbst zur Schule gegangen. Gemeinsam pflegen sie Rituale und Traditionen. So auch jedes Jahr im November: Die sechste Klasse veranstaltet gemeinsam mit Lehrern und Eltern ein Lichterkonzert im Schlosspark Lindenbergs. Die Eltern schmücken den Park und bereiten Essen und Trinken vor. Die Kinder gestalten ein Programm mit Liedern und Tänzen. Das Geld, welches eingenommen wird, wird für die Abschlussfahrt der sechsten Klasse verwendet.

Folgende Erfahrungen und Werte nehme ich mit:
• das intensive Deutschsprechen
• das familiäre Umfeld auf dem Land
• die liebevolle Aufnahme in eine Familie
• die Offenheit der Kinder in der Schule
• das Knüpfen neuer beruflicher und persönlicher Kontakte
• neue Lernmethoden
• das Erlernen neuer Wörter
Ich würde in meiner Schule gern folgende Erlebnisse und Methoden auswerten bzw. ausprobieren:
• einfache Beispiele und Übungen aus den Arbeitsheften
• Gesprächsrunden, z.B. mit Karten
• Lesenacht in der Bibliothek mit Programm
• Lernen zum Erlebnis machen!

Pädagogik an einer deutschen Schule

Die Kinder müssen die Sachen hören, anfassen, schmecken und anschauen. Zum Beispiel einen Obstkorb zum Lernen der Obstsorten. Sie trinken in einer gemütlichen Runde Tee, und dann sprechen sie neue Vokabeln durch.

Auch die Mülltrennung wird den Kindern in der Schule gelehrt. Hier stehen drei Eimer zur Verfügung – für Plastik, Papier und Restmüll.

Im Unterreicht werden häufig Tablets zum Lernen eingesetzt. Die Kinder hören über Kopfhörer einen englischen Text und müssen diesen schreiben. Oder sie erhalten Aufgaben und arbeiten selbstständig an ihrem Platz.

In Deutschland dürfen sich die Kinder im Unterricht frei bewegen. Sie können essen und trinken, was sie von zu Hause mitbringen. Es gibt Regeln, die die Kinder einhalten, aber dennoch wird jedes Kind individuell gefördert. Sie haben Zeit für Hobbys, z. B. gibt es an langen Schultagen keine Hausaufgaben. Kinder und Lehrer gestalten gemeinsam den Unterricht. Sie dürfen eigene Ideen und Interessen sowie von zu Hause Materialien mitbringen. Schwierige Themen werden so interessanter gestaltet. Die Kinder haben Spaß beim Lernen (z.B. Projekttage).

In der dritten Klasse erhalten alle Kinder im Rahmen des Sportunterrichtes Schwimmunterricht. Sie fahren ein halbes Jahr lang einmal pro Woche mit dem Bus nach Fürstenwalde in die Schwimmhalle. Zum Abschluss erhalten alle Kinder eine Schwimmstufe.

Die Schule in Lindenberg legt viel Wert auf Musik und Bücher. Zum Beispiel schenkt sie allen Kindern ein Buch. Das müssen alle lesen, und sie sprechen gemeinsam über den Inhalt. In den Pausen können die Kinder in einer Leseecke Bücher lesen, Spiele spielen oder sich an der frischen Luft bewegen. Jeder Klassenraum hat eigene Spiele und Bücher.

In jedem Jahr veranstaltet die Schule einen Lesewettbewerb, an dem alle Kinder teilnehmen. Jedes Kind liest aus einem freigewählten Buch eine Textpassage vor und stellt das Buch (Schriftsteller und Titel) vor. Die Jury (Lehrer und Schüler) legt Wert auf die Art des Vorlesens und die Betonung. Jedes Kind muss beschreiben, warum es dieses Buch gewählt hat.

Lehrerschaft und Gastfamilie

Die Lehrer beenden den Unterricht selbstständig. Zu Beginn pfeifen sie alle Schüler zusammen. Denn es gibt keine Schulklingel. Im Erdgeschoss befindet sich der Kindergarten, und hier schlafen die ganz kleinen Menschen. Die Lehrer erhalten alle notwendigen Materialien (Kopien, Papier, Stifte, Bücher) von der Schule.

Alle Lehrer verbringen viel Zeit gemeinsam im Lehrerzimmer, inklusive Essen und Gespräche mit der Direktorin. Hier sitzen alle gemeinsam an einem Tisch.

Ich stellte mir vor der Reise meine Gastfamilie vor und machte mir viele Gedanken. Was für eine Familie ist es? Welche Regeln existieren dort? Werden sie mich herzlich aufnehmen?
Nun noch ein paar Worte zu meiner Gastfamilie:

Bei der Ankunft in meiner Gastfamilie fiel mir sofort das liebevoll und geschmackvoll eingerichtete Haus auf. Hier ist alles mit persönlichen Bildern oder handgemachten Dekorationen hergerichtet. Anja lebt mit ihren Kindern (Willy und Lilly – Zwillinge) und ihrem Partner Marcel in einem großen Haus und einem schönen Garten. Auf dem Hof steht ein weiteres Haus, dort wohnt Monika – die Oma von Lilly und Willy. Die gesamte Familie ist sehr kreativ, sie töpfern und basteln viel. In der Familie ist das Zusammensein sehr wichtig. Sie nehmen sich Zeit für die Familie, essen täglich zusammen zu Abendbrot.
In Gesprächen mit der Familie erfuhr ich viele Neuigkeiten. Z.B. erzählte Monika von der ersten altdeutschen Schrift, die nur noch die Großeltern kennengelernt haben.
Anja berichtete über die Technik des Töpferns und wie man sein Zuhause schön einrichten kann. Ich habe nie gedacht, dass es für mich so interessant sein kann.

In der Familie wird das „schön machen“ von Generation zu Generation weitergegeben. Wir haben viele Gespräche über unsere Länder und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede geführt. Meine Gastfamilie war sehr interessiert an meinem Heimatland und dessen Traditionen. Gern möchten sie uns besuchen kommen. Ich habe viele Ideen für mein Zuhause mitgenommen. Besonders die Gestaltung der Wände, die Fotos, die gemalten Bilder der Tochter, die Pflanzen… Die Kinder haben viele Hobbys. Lilly geht zweimal in der Woche zum Tanzen. Sie ist in einem Tanzverein und hat regelmäßig Auftritte.

Willy geht zweimal in der Woche zum Fußball und spielt ebenso in einem Verein. Jedes Wochenende nimmt er an Turnieren teil. Anja arbeitet als Leiterin eines Pflegeheims. Sie kümmert sich um pflegebedürftige Menschen. Marcel arbeitet beim Wachschutz auf einem Militärgelände.

Meine Erwartungen und Wünsche wurden erfüllt. Ich hatte eine sehr schöne Zeit in Deutschland. Bei meiner Abfahrt war ganz Deutschland geschmückt. Die Häuser leuchteten und die Menschen freuten sich auf die Weihnachtszeit.

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