„Wsjo wperedi“ – „Alles noch vor Dir“ heißt der Arbeitstitel einer Filmserie zum Thema Aids, die Ende des Jahres im kirgisischen Staatsfernsehen ausgestrahlt werden soll. Das Konzept: Unterhaltung und Aufklärung in einer Miniserie verbinden und auf diese Weise bis zu zwei Millionen Menschen erreichen

Adil stammt aus einer gut funktionierenden Bischkeker Mittelschichtsfamilie. Seine Eltern sind wohlhabend, sie haben eine Braut für ihn ausgesucht, und nach Abschluss des Informatikstudiums winkt bereits die Festanstellung. Keine schlechten Aussichten in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung sich mit viel improvisatorischem Geschick den Tageslohn zusammenverdienen muss.

Doch bevor die rosige Zukunft Wirklichkeit werden kann, tauchen Bruchstücke aus Adils unerledigter Vergangenheit wieder auf. Zum Beispiel Kamilla, Adils große Jugendliebe. Um sie zu vergessen, griff er vor Jahren zu einem Mittel, dass in Bischkek gut und günstig zu haben ist: Heroin.

Die Figur Adil existiert nicht in der Wirklichkeit. Sie stammt aus einem Drehbuch, dass zwei Autoren des Bischkeker Jugendmedienzentrums bei der UNDP (United Nations Developement Programme) eingesandt haben – als Beitrag zum Wettbewerb „Das beste Drehbuch“ für eine Filmserie, die Aids thematisieren sollte. Dass Adil sich während seiner kurzen Drogenkarriere infiziert hat, erzählt das Drehbuch beiläufig. Im Rahmen einer „Gesundheitsaktion“ schickt die Universitätsleitung alle Immatrikulierten verpflichtend zur Aids-Zentrale. Auch Adil. Seine Infektion spricht sich schnell herum. Die Umgebung schottet sich von ihm ab. Und Adil sich von ihr.

„Wsjo wperedi“ – „Alles noch vor Dir“ lautet der Titel des Drehbuchs, aus dem eine vierteilige TV-Serie werden soll. Ausgestrahlt wird sie wahrscheinlich um den nächsten Weltaidstag im kirgisischen Staatsfernsehen herum (1. Dezember 2005). Zur Zeit glätten die jungen Gewinner in Zusammenarbeit mit Michael Meisheit, einem professionellen Drehbuchautoren aus Deutschland, im Rahmen eines von der InWent Stiftung unterstützten Workshops das Drehbuch. Meisheit schreibt seit acht Jahren für die „Lindenstraße“. Wie die deutsche Kultserie verfolgt auch „Alles noch vor Dir“ den spezifischen, aus Unterhaltung und Aufklärung zusammengesetzten Ansatz. Michael Unland, Spezialist für Massenmedien bei der UNDP, nennt das „Education Entertainment Approach“.

Unland machte im Vorfeld der Serie eine Studie über den Wissensstand der Bevölkerung bezüglich Aids. Befragt hatte er Journalisten, Multiplikatoren im Bereich Gesundheit und Jugend (Nichtregierungsorganisationen und staatliche Stellen) und Jugendliche in allen Bezirken des Landes. Herausgekommen sei dabei vor allem eine „eigenartige Mischung aus Halbwahrheiten, Angst und darauf folgender Verdrängung“, sagt Unland. So habe der überwiegende Teil der Befragten angenommen, dass zwischen der Ansteckung mit HIV und den ersten Aids-Symptomen nur wenige Tage bis Wochen anstatt Jahre vergingen. Die Dynamik der Epidemie werde somit nicht verstanden: Viele Menschen wüssten nicht, dass sie HIV-infiziert seien, da man es ihnen auch nicht ansehen könne. Und gern werde das Problem von sich weg auf Andere verlagert, berichtet Unland – auf Kriminelle, Drogensüchtige und Prostituierte. Nicht selten habe Unland bei seiner Umfrage gehört, dass Aids-Infizierte ins Gefängnis gesperrt oder am Besten gleich angezündet werden sollten. „Wenn man Aids hat, dann ist das Leben vorbei“ – dies sei eine weit verbreitete Ansicht. Niemand könne sich vorstellen, dass man auch mit Aids bei gelingender Medikation ein gutes Leben führen könne.

„Wsjo wperedi“ räumt mit allen diesen Vorurteilen auf. Adil ist keine zwielichtige Figur, sondern ein Sympathieträger, der im Laufe des Films die Infektion annehmen lernt und neue Bindungen entwickelt. Die Serie solle ein „Fenster öffnen für die Risikosituationen, denen junge Leute heute ausgesetzt sind“, so Unland, und zu Verhaltensänderungen ermutigen. Nicht mit Statistiken, Vorlesungen und Berichten über die Aids-Situation in der Ukraine und in Russland, wovon es in Kirgisistan viel zu viel gebe. Sondern mit vertrauten Orten, mit lockerer, zugleich auf den ernsten Kern hinzielender Unterhaltung, die nicht übergriffig und belehrend wird. „Die Leute sollen ihre Gesichter, ihre Straßen sehen“, so Unland.

Von dem Heimvorteil verspricht sich Unland eine starke Breitenwirkung. Geplant ist im Vorfeld der Serie eine Cross media Kampagne, die in einem weiteren Workshop gemeinsam mit dem PR Spezialisten Michael Raulf erarbeitet wurde: von Aktionen in einem Bischkeker Szene-Café, das als Film-Café dient, bis zu Werbung in Funk, TV und Printmedien. Die kirgisische Seite, erzählt Unland, sei sehr an dem Projekt interessiert, und nun sei auch ein vielversprechender, populärer Regisseur im Gespräch.

Erreichen kann man wegen des gut ausgerichteten Fernsehnetzes in Kirgisistan, das noch die hintersten Gebirgsgegenden erreicht, 95 Prozent des Landes. Das sind ungefähr fünf Millionen Menschen. „Das Nationale kirgisische Fernsehen hat einen durchschnittlichen Zuschaueranteil von ca. 25 Prozent, den wir über die Cross Media Kampagne vor dem Start der Serie steigern wollen.“ Unland rechnet mit bis zu zwei Millionen Zuschauern. Die Macher der Lindenstraße würden sich über diese Quote nicht wenig freuen.

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