Die Deutschen tun sich schwer damit, ihre romantischen Vorstellungen von Russland abzustreifen – so das Ergebnis eines Expertengesprächs, das die Europäische Akademie am 26. Januar in Berlin veranstaltete
Stabiler Partner, Traumziel für Auswanderer – die Vorstellungen von Deutschland, die heute zwischen St. Petersburg und Wladiwostok herrschen, könnten positiver nicht sein. „Das Deutschlandbild der Russen hat eine phänomenale Veränderung durchgemacht“, sagte Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa. Er verglich diese Entwicklung mit den Erfolgen in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem schloss sich Peter Jahn, Leiter des Deutsch-Russischen Museums an: „Trotz der negativen Erfahrungen muss man als Deutscher heute eher zu hohe Erwartungen abwehren.“
In diesem Punkt schienen sich die Experten einig: In Russland hat man ein modernes Deutschlandbild, in dem die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nur noch marginal eine Rolle spielen. Wenn das Publikum den vier Experten – neben Sapper und Jahn waren auch Christiane Bauermeister vom Ost-West-Medienbüro und die Bundestagsabgeordnete Jelena Hoffmann anwesend – glauben durfte, dann ist es die deutsche Seite, die die falschen Vorstellungen hat und ihre Klischees pflegt.
„Die Deutschen sollten Schluss machen mit ihrer Sehnsucht nach der russischen Seele“, sagte Bauermeister. „Die Babuschkas, die Äpfel an den Zug bringen, sind passé.“ In Deutschland sei das moderne Russland nicht wirklich angekommen. Moskau sei heute spannender als Berlin, und es herrsche auch mehr Optimismus im Land, als man in Deutschland denke.
Immerhin, merkte Jahn an, seien die Feindbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Kalten Krieges einer entspannteren Sicht Russlands gewichen. Er warnte jedoch vor zu großer Gelassenheit: „Die Historie wirkt weiter. Das muss aufgearbeitet werden, sonst kommt es in der nächsten Krise wieder hoch.“ Gut sieht es in dieser Hinsicht nicht unbedingt aus. Das bestätigte Sapper: „Das Interesse der Deutschen an russischer Sprache und Kultur sinkt merklich. Die Unis bauen die Abteilungen für slawische Sprachen ab.“
Gerade in der Politik machte der Journalist demnach auch Zerrbilder und falsche Vorstellungen aus: „Die Wahrnehmung des Westens pendelt zwischen Euphorie und Katastrophismus.“ Dennoch sah auch Sapper das Problem, dass die einseitige Fixierung der Deutschen auf die politische Führung Russlands zu Fehleinschätzungen führe: „Das war schon zu Zeiten der Sowjetunion so. Die hielten die Deutschen auch für einen starken Staat, aber Krisen brachten dann alles zum Einsturz.“ Das sei heute ähnlich. Es gebe eine Scheinstabilität, die auf Profiten aus dem Erdölexport basiere, ansonsten sei Russland eine „Demokratie, in der das Volk nichts zu sagen hat.“
Gegen eine solch pauschale Beurteilung ihrer ersten Heimat wandte sich die Bundestagsabgeordnete und gebürtige Russin Jelena Hoffmann: „Wir erwarten, dass Russland nach 15 Jahren dasselbe Niveau haben soll wie wir im Westen.“ Das mache es den Deutschen oft schwer, Russland wirklich zu verstehen. Hoffmann wies darauf hin, dass viele Dinge nicht so eindeutig seien, wie sie auf den ersten Blick schienen: „Zum Beispiel hat Putin entschieden, die Gouverneure zu ernennen statt wählen zu lassen. Damit will er alte, teils kommunistische Strukturen zerbrechen.“ Aber das sehe in Deutschland keiner. „Wir sollten in Deutschland keine übertriebenen Vorstellungen haben, sondern erst versuchen zu verstehen und dann gegebenenfalls verurteilen.“
Dem schloss Museumsleiter Jahn sich an: „Wir müssen unsere Maßstäbe an die Realität anpassen.“ Man könne eben nicht so tun, als ob es in Russland vor der Wende schon einmal eine funktionierende Demokratie gegeben hätte. Vielleicht, so Hoffmann, könne auch das ein oder andere Lob etwas bewirken: „Im Europarat gab es noch nie einen Bericht über Erfolge, sondern immer nur Kritik. Dabei braucht die russische Seele manchmal auch Streicheleinheiten.“