In den 1970er Jahren wandelte sich in Kasachstan der Zeitgeist: Die Menschen wollten mehr über ihre eigene Nationalgeschichte erfahren – und das abseits der offiziellen sowjetischen Geschichtsschreibung. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist das Zentrale Staatliche Museum der Republik Kasachstan in Almaty.

Ein Museum ist die erste Anlaufstelle, wenn man etwas Neues über andere Kulturen, über Kunst, Geschichte oder Politik lernen will. Der Besuch ist meistens aufschlussreich, manchmal erheiternd, manchmal auch erschütternd, immer jedoch erhellend und berührend.

Ob Nationalmuseen, Kunstausstellungen, Technikschauen – jeder nur erdenkliche Interessensbereich wird heute von einem eigenen Museum abgedeckt. Die Kunstkammer in Sankt Petersburg war das erste Museum des Russischen Reiches. Sie ging 1719 aus der Privatsammlung von Zar Peter I. hervor, der bekanntermaßen äußerst interessiert an den europäischen Wissenschaften war. Die Kunstkammer, welche für ihre teilweise schockierenden Skurrilitäten wie menschliche Embryos oder mehrköpfige Ziegen bekannt ist, zählt allerdings bis heute zu einer der größten ethnografischen Sammlungen der Welt. Anders als die Ethnografie, bei der es sich um die Erforschung eines „fremden“ Volkes handelt, möchten Nationalmuseen die Geschichte des eigenen Volkes und der eigenen Nation erforschen und vermitteln. Dies ist auch bei dem „Zentralen Staatlichen Museum der Republik Kasachstan“ in Almaty nicht anders.

Ein neuer Zeitgeist

Seine Ursprünge gehen zurück auf das „Museum der Region Orenburg“, welches sich ab den 1830er Jahren in den Räumen der Nepuljew-Militärschule in Orenburg befand. In den späten 1920er Jahren machten die neuen sowjetischen Machthaber Alma-Ata zur Hauptstadt der Kasachischen SSR und der Region Siebenstromland. Noch im Jahr 1929 entstand das „Museum der Region Siebenstromland“ innerhalb des Orenburger Regionalmuseums, bevor dieses 1931 in der ehemals orthodoxen Christi-Himmelfahrt-Kathedrale in Alma-Ata seinen Platz fand. 1944 erhielt dieses Museum seinen noch heute gültigen Namen – Zentrales Staatliches Museum Kasachstans.

In den 1970er Jahren wandelte sich der Zeitgeist, auch in Kasachstan wollten die Menschen nunmehr ihre eigene Nationalgeschichte abseits der offiziellen sowjetischen Geschichtsschreibung erforschen. Das kleine Zentralmuseum wurde diesem Anspruch nicht gerecht. Auch sollte sich ein neues Museum, welches sich mit der Geschichte des Volkes der Kasachen beschäftigt, nicht mehr in einer alten, orthodoxen Kirche befinden. Deren goldene Kuppeln wurden schließlich mehr und mehr als Symbol für die Unterdrückung durch russische Machthaber in der sowjetischen Periode wahrgenommen. Der Wind der Perestroika wehte bereits schwach, aber unaufhaltsam in Richtung Moskau.

Zeitgemäßes Geschichtsbild

Die Architekten Ju. Ratuschnij und Z. Mustafin erdachten sich schließlich für ihr Projekt des Museumsneubaus ein deutliches Zeichen für ein neues Nationalbewusstsein im Stadtbild Alma-Atas. Ein gewaltiges, modernistisches Gebäude, gekrönt von einer großen und mehreren kleinen blauen Kuppeln. Die Vorbilder für das hochaufragende Gebäude sind die jahrhundertealten Mausoleen und Medressen Turkestans, die sich durch ihre reich verzierten, himmelblauen Kuppeln auszeichnen.

Seit der Eröffnung im Jahr 1986 findet sich seitdem in sieben weitläufigen Ausstellungsräumen alles zur Geschichte Kasachstans – von den ersten, urzeitlichen Funden über die ersten Hochkulturen bis hin zur kasachischen Folklore. Auch dem Zweiten Weltkrieg wird ein eigener Raum gewidmet. Von den sowjetischen Altlasten der Geschichtsschreibung kann oder will man sich bis heute nicht vollständig trennen. Ironischerweise bleiben zum Beispiel die Scheltoksan-Studentenaufstände für demokratische Reformen 1986, dem Eröffnungsjahr des Museums, noch immer unerwähnt. Doch das Land arbeitet durchaus an einem zeitgemäßen Geschichtsbild. Das erst 2014 in Nur-Sultan eröffnete, neue Nationalmuseum der Republik Kasachstan versucht seitdem, auch die ein oder andere schmerzliche Lücke in der Geschichte des Landes, wie z. B. Scheltoksan, zu füllen.

Philipp Dippl

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