Abenteuer Couchsurfing: Es kostet nichts, und jeder kann es tun. Täglich lassen sich immer mehr Globetrotter aus der ganzen Welt auf diese besondere Art des Reisens ein.
Zwei junge Frauen, gestrandet irgendwo in den Weiten von Paris. Der Busfahrer winkt uns mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu. Kein Wunder, er fährt bereits das dritte Mal an der Bushaltestelle vorbei, wo meine Reisegefährtin Katharina und ich unser Gepäck ausgebreitet haben. Wir warten mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Es klingt wie der pure Wahnsinn: Wir warten auf einen Unbekannten, um die folgende Woche bei ihm und seinen drei Mitbewohnern zu verbringen – ohne dafür zu zahlen. Couchsurfing macht es möglich. Was wie eine Trendsportart klingt, ist in Wirklichkeit eine Internetplattform, die weltoffenen Leuten die Möglichkeit bietet, Reisende jeglicher Herkunft in ihr trautes Heim einzuladen. Über vier Millionen Mitglieder aus aller Herren Länder zählt couchsurfing.org inzwischen. Unser Vorhaben ist nicht ganz ungefährlich, schließlich kann sich jeder in dem Netzwerk anmelden. Die einzige Sicherheit, die wir haben, sind die Referenzen ehemaliger Couchsurfer, welche Kommentare auf der Profilseite unserer Gastgeber hinterlassen haben.
Versteckte Kamera?
Wir wollen nicht unhöflich sein, aber nach mehr als einer Stunde Warten reißt uns der Geduldsfaden. Katharina hakt telefonisch bei unserem Gastgeber nach. Und siehe da, ein Missverständnis. Kurz darauf tritt ein charmanter junger Mann um die Ecke und lächelt uns neugierig an. William nimmt uns das Gepäck ab und führt uns in seine WG, wo uns ein beißender Rauchgestank entgegenströmt. In der Wohnung in der schicken Vorstadtgegend scheinen keine anderen Möbelstücke als Matratzen und Sofas zu existieren. In der Küche quillt das dreckige Geschirr über.
Artig übergeben wir den vier Jungs unser Gastgeschenk, deutsches Bier. Das ist unter Couchsurfern so üblich, schließlich bieten sie uns kostenlose Logis. Uns ist etwas unbehaglich zumute. Sie begrüßen uns, nur um kurz darauf mit ihrer Unterhaltung fortzufahren. Wir verstehen kein Wort von dem französischen Genuschel. Katharina zeigt auf einen Gegenstand, der wie das Magazin einer Pistole aussieht. „Oh Gott, wo sind wir denn hier gelandet?“, flüstert sie mir erschrocken zu. William bemerkt unsere kritischen Blicke und bringt uns sogleich stolz die Funktionsweise des vermeintlichen Revolvermagazins nahe: Es dient zum Verkleinern von Marihuana.
Bevor ich unter die dringend benötigte Dusche schlüpfe, kontrolliere ich penibel alle Ecken nach einer versteckten Kamera. Ein bisschen Misstrauen schadet in solch einer Situation nicht, denke ich mir. „Falls sie aufdringlich werden, oder es gar nicht läuft, gehen wir in ein Hostel“, beruhigt mich Katharina später auf dem Weg in die Stadt.
Ein regelrechter Lebensstil
Als wir am Abend zurückkehren, merken wir, dass unsere anfänglichen Bedenken vollkommen überflüssig waren: Nach einem gemeinsamen Bier bricht das Eis, und wir fühlen uns pudelwohl. Außer uns ist noch ein weiterer Couchsurfer aus China da, der seit einem Jahr in Edinburgh lebt. Er erzählt vom Leben in China und ist vollkommen fasziniert, als ich ihm über Tibet und das System der deutschen Pressefreiheit erzähle. In den folgenden Tagen sind außerdem fünf Polinnen zu Besuch. Unser Gastgeber Yohann erzählt: „Seit wir im Frühling das Couchsurfen angefangen haben, waren ungefähr 400 Leute bei uns zu Gast.“ Vor allem aus Polen bekämen sie viele Anfragen. Das kommt den drei Köchen und dem Kellner sehr gelegen, denn es ist ihr Traum, ein französisches Restaurant in Polen zu eröffnen. Yohann erzählt, dass ihn ein Beifahrer, den er bei einer Mitfahrgelegenheit kennen gelernt hatte, auf die Idee mit dem Couchsurfen gebracht habe. Nun gehen in der kleinen Pariser WG Menschen aus der ganzen Welt ein und aus. Da alle vier zugezogen sind, haben sie nicht viele Bekannte in Paris, jedoch: Die vielen Besucher bringen permanent Leben in die Bude. „Die gesamte Wohnung ist aufs Couchsurfing ausgerichtet. Das scheint bei den vier Jungs ein regelrechter Lebensstil zu sein“, sagt Katharina. Wer wildfremde Gäste beherbergt, braucht eine gewisse Weltoffenheit. Für Katharina und mich hat sich das Warten auf das Ungewisse gelohnt. Durch die vier Jungs hat Paris für uns ein Gesicht bekommen. Ein Gesicht, an das wir uns immer erinnern werden.
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Couchsurfing in Almaty
Auch in Almaty finden sich bereits über 1000 Couchsurfer. Eine davon ist Julia Rada: „Ich las einen Artikel, welcher von unüblichen Arten zu reisen handelte“, erzählt sie von ihren Anfängen bei dem Reise-Netzwerk. Seit sie sich 2010 bei couchsurfing.org angemeldet hatte, waren ungefähr 25 Weltenbummler bei ihr zu Gast. Für viele sei diese Idee ungewöhnlich und kurios, bemerkt Julia: „Nicht jeder kann Fremde zu sich nach Hause einladen.“ Im Internet könne man sich eben vorher nicht von Angesicht zu Angesicht treffen. Dennoch machte sie bislang nur positive Erfahrungen: „Ich denke, es ist sicher; man sollte allerdings seinen gesunden Menschenverstand benutzen.“ Anhand der Profile und Referenzen könne man relativ leicht feststellen, ob eine Person vertrauenswert ist oder nicht.
Zu Gast in Almaty sind hingegen Mickael Dogru und Alexandra Favre aus Frankreich. Um ihre Abenteuerlust und ihre Gier nach dem Unbekannten zu stillen, reisen sie in drei Jahren um die Welt – per Anhalter und Couchsurfing. Das Budget ist dabei knapp. Deshalb kommt diese Möglichkeit, unbekannte Länder zu erkunden, für die beiden gerade recht. Schon bald geht die Reise weiter in Richtung Indien.
Nicht nur Reisende und Einheimische kommen bei Couchsurfing in Kontakt, sondern auch die Ansässigen untereinander. Bei regionalen Treffen lernen sich die Mitglieder im echten Leben kennen. Für Almaty gibt es beispielsweise eine Trekking-Gruppe, in der auch Inaktive Mitglied werden können. Unregelmäßige Wandertouren, wie zum See Esik, stehen dabei auf dem Programm. Aber auch die Mitglieder der sogenannten „Cooksurfing“-Gruppe treffen sich in unregelmäßigen Abständen zum Kochen internationaler Gerichte; die Mitglieder des Film-Clubs zum Filme schauen.