Im Kampf gegen die Coronapandemie ergreift Kirgistan harte Maßnahmen. Kehrt Zentralasiens „Insel der Demokratie“ nun wieder zum Autoritarismus zurück?
Ausgangssperren, Versammlungsverbote, Journalisten, die an ihrer Arbeit gehindert werden: In der Coronakrise geraten demokratische Freiheiten in Gefahr. Das erlebt gerade Kirgistan, wo sich die Berichte über Polizeiwillkür mehren.
Kirgistan gilt seit einem Regierungsumsturz vor zehn Jahren als die einzige parlamentarische Demokratie Zentralasiens. Doch die Hoffnung, die man lange gehegt hatte, wurde enttäuscht. Regierungskoalitionen sind instabil, Korruption ist nach wie vor allgegenwärtig. Droht dem Land nun endgültig die Rückkehr zum Autoritarismus?
„Nein“, sagt die Politikwissenschaftlerin Anja Mihr, „die junge, gut ausgebildete und international vernetzte Bevölkerung wird das nicht zulassen. Und deren Anteil an der Bevölkerung steigt“. Mihr ist Professorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der OSZE-Akademie in Bischkek, hält sich jedoch derzeit in Berlin auf. Wie in allen schwach ausgeprägten Demokratien wolle auch die kirgisische Regierung in der Krise Macht demonstrieren, um zu zeigen, dass sie alles unter Kontrolle habe.
Journalisten und Blogger in Kirgistan selbstbewusst
Nach dem Auftreten der ersten Coronafälle verhängte die Regierung am 25. März den Ausnahmezustand in vielen Städten und Gebieten. Es wurden Kontrollpunkte eingerichtet, Polizisten und Armeeangehörige patrouillieren in den Straßen. Von 21.00 bis 6.00 Uhr gilt eine komplette Ausgangssperre. Bis Mitte April waren schon fast 3.000 Menschen festgenommen worden, weil sie diese verletzt hatten, berichtete das Onlinemedium Eurasianet.
Dessen Journalisten wurde wochenlang die Arbeit erschwert. Mit Verhängung des Ausnahmezustands erhielten zunächst nur Reporter staatlicher Medien eine Akkreditierung und konnten sich frei bewegen. Erst nach zahlreichen Beschwerden änderte sich das System. Dabei haben sich in den vergangenen Jahren gerade in Kirgistan „Journalisten und Blogger sehr selbstbewusst behauptet, oft und gerade auch aus dem Ausland heraus“,
sagt Mihr.
Machtkampf zwischen Präsident und Vorgänger
Im Herbst erschütterte ein Korruptionsskandal das Land. Ein Rechercheverbund hatte aufgedeckt, dass der frühere stellvertretende Leiter des Staatlichen Zolldienstes dabei geholfen hatte, fast eine Milliarde Dollar außer Landes zu schaffen. Präsident Soorenbaj Dscheenbekow hat bisher wenig getan, um den Vorwürfen, die bis auf Regierungsebene reichen, nachzugehen. Im Gegenteil: Journalisten und Aktivisten, die an der Aufklärung des Falls beteiligt waren, berichten von Drohungen und tätlichen Angriffen.
Zuvor hatte der Machtkampf zwischen Dscheenbekow und seinem Vorgänger
Almasbek Atambajew seinen Höhepunkt gefunden. Bei einer versuchten Festnahme im August lieferten sich er und seine Anhänger Straßenschlachten und Schießereien mit der Polizei. (Das nd berichtete.) Mittlerweile sitzt Atambajew in Haft, im März begann sein Prozess. Er ist unter anderem wegen Mordes und Korruption angeklagt.
Schlechter Krisenmanager
In der Coronakrise erweist sich das Dscheenbekow-Regime als schlechter Krisenmanager. Während die Nachbarstaaten Kasachstan und Usbekistan in Windeseile Krankenhäuser errichten und regelmäßig über die Lage im Land informieren, herrscht in Kirgistan Chaos. Die vergleichsweise niedrigen Fallzahlen sind wohl eher auf die geringen Testkapazitäten zurückzuführen als auf die tatsächliche Infektionslage. In einem der ärmsten Länder der ehemaligen Sowjetunion fehlt es an allem: an Ärzten, Schutzausrüstung und Medikamenten. Gut ein Viertel der mehr als 800 Infizierten gehört zum medizinischen Personal.
Die harten Maßnahmen im Kampf gegen Corona könnten den Machthabern noch auf die Füße fallen und zu einem Vertrauensverlust führen, glaubt Mihr. Die Demokratisierung im Land habe in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Obwohl sie noch nicht konsolidiert ist, sieht Mihr nicht die Gefahr einer neuen erstarkenden Autokratie. „Der Druck von unten ist zu groß“, sagt sie. Außerdem sind die Kirgisen bekannt dafür, sich nicht alles gefallen zu lassen. Schon zwei Mal haben sie ihre autoritär regierenden Präsidenten aus dem Land gejagt: 2010 und bei der Tulpenrevolution fünf Jahre zuvor.