Um in fremde Welten zu geraten, muss man nicht immer nach Wladiwostok reisen. Manchmal reichen zehn Minuten mit dem Fahrrad, um sich kulturell nicht mehr zurechtzufinden. Zuletzt im Künstleratelier von Odo Rumpf. Ich verstand nur Bahnhof. In Russland hatte ich mich schneller zurechtgefunden.
Zuvor war ich nur als Gast in dem Atelier. Und habe die vielen Dinge, deren Namen ich nicht kenne, bestaunt. Es handelt sich wohl meistenteils um Werkzeuge, sicher bin ich mir da allerdings nicht. Diesmal wollte ich aber tatkräftig mit anpacken, nur so in der Gegend rumscharwenzeln, gucken und staunen ging da nicht. Es galt, sich schnellstens in diese fremde Lebenswelt einzufinden. Und das war gar nicht so einfach. Wie verhält man sich in einem Atelier? Man muss dazu sagen, dass hier viel mit Technik und Handwerk „gekünstlert“ wird und viele gefährliche Maschinen zur gleichen Zeit laufen. Jaha, da muss man aufpassen wie ein Luchs, dass man nicht versehentlich geradewegs mit der Hand in die Kreissäge gerät, ohne Schutzmaske in die Schweiß… äh … dingsbums guckt, hinterrücks von einem Kran erfasst wird, über Kabel stolpert oder einem ein Gabelstapler über den Fuß brettert. Dann hat hier auch alles seine eigene Ordnung, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Bevor man das System versteht, fasst man lieber nichts an beziehungsweise legt alles immer wieder an genau die Stelle zurück, von der man es aufnahm. Denn in einem Atelier wie diesem geht es hurtig zur Sache, zack zack müssen die Skulpturen zusammengehauen und geschweißt werden. Wenn da der Griff ins Leere geht, wo eigentlich das passende Werkzeug hätte liegen müssen, dann gibt’s Ärger.
Die Zeiten der Kunst, als der Künstler noch mit langsam ausholenden Pinselstrichen melancholisch Tupfer für Tupfer setzte, dazwischen kunstvolle Seufzer tat, gibt es anscheinend nur im Fernsehen. Die Jungs im Atelier verstanden schnell, dass ich wenig verstand, obwohl ich fachmännisch tat, und so durfte ich auch nur ein bisschen mit anpacken, was wohl auch besser so war. Ich meine, mein Vater hatte mich frühzeitig an das Werkeln herangeführt, und ich war der Meinung, mich gar nicht so doof anzustellen. Doch nun kam mir meine Werkzeugkiste, auf die ich bisher immer recht stolz war, wie Kinderwerkzeug vor. Und bei dem Schraubstock, der nur ein wenig anders zu bedienen war als mein eigener, musste ich kapitulieren. Leider wurde ich dabei beobachtet, und somit wurde mein Mitwirkungsradius weiter verringert. Was auch ganz gut war. Denn nach nur wenigen Handgriffen taten mir schon die Arme weh, was ich natürlich nicht zugab. Einem Fachgespräch lauschte ich andächtig, gewillt, dabei was zu lernen, aber in den ganzen zehn Minuten verstand ich rein gar nichts, nicht ein klitzekleines Wort. Im Russischen ist zumindest jedes vierte Wort annähernd verständlich, weil man es aus dem Französischen, Englischen oder gar Deutschen kennt. Mindestens konnte ich in Russland immer das Thema des Gesprächs zuordnen. Was die drei Herren miteinander besprachen, blieb mir durchweg ein Rätsel. Es kam mir vor wie eine Geheimsprache, in der sie miteinander die Weltherrschaft ausklamüsern und wer welche Länder erobert. Alles in allem war es eine herrliche Sinnüberflutung, zu viel gab es zu entdecken, so dass ich gar nicht wusste, wohin ich gucken und was ich noch alles erfragen sollte. Wie in einem fremden Land, das man viele Male bereisen muss, um es zu begreifen.
Julia Siebert
17/04/09