Ende November fand in Berlin eine Konferenz statt, die sich mit der Lage Kasachstans unter den neuen geopolitischen Bedingungen befasste. Sie wurde im Deutschen Bundestag von der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft unter der Schirmherrschaft von Christian Görke, MdB, dem Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Deutschland–Zentralasien, veranstaltet. Ziel der Veranstaltung war es, die aktuelle weltpolitische Situation, die wachsende Bedeutung Zentralasiens und die Perspektiven der deutsch-kasachischen Zusammenarbeit zu beleuchten.

In seinem Grußwort widersprach Görke der bekannten These Egon Bahrs, dass es in der internationalen Politik niemals um Demokratie oder Menschenrechte gehe, sondern ausschließlich um Interessen. Nach seiner Überzeugung seien Vertrauensbildung, Kontinuität, Zuverlässigkeit und berechenbare Beziehungen entscheidende Grundlagen für das gemeinsame Erzielen stabiler Ergebnisse. Fragen der Menschenrechte dürften nicht aus einem nationalen Blickwinkel bewertet werden, sondern man müsse sie auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen betrachten, was insbesondere für Fragen der UN-Menschenrechtskonvention gelte.

Görke forderte konkrete und zeitnahe Schritte zur weiteren Intensivierung der deutsch-kasachischen Beziehungen. Ausdrücklich dankte er den deutschen Organisationen und Unternehmen, die an der Konferenz teilnahmen, sowie den Vertretern der Zivilgesellschaft, die sich seit vielen Jahren um diese Beziehungen bemühen. Er hob die mehr als 25-jährige Tätigkeit der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft hervor und betonte, dass ihr Beitrag besonders in schwierigen weltpolitischen Zeiten hoch einzuschätzen sei.

Kasachstan sei das wirtschaftlich bedeutendste Land Zentralasiens und fungiere geostrategisch als integrativer Faktor zwischen Russland und China. Zwischen Deutschland und Kasachstan bestehe zwar keine geografische Grenze, aber eine „menschliche Brücke“, die entstanden sei zwischen über einer Million Menschen mit deutschen Wurzeln, die aus Kasachstan stammen, und etwa 200.000 Deutschen, die in Kasachstan leben. Dieses verbindende Element sei wichtig und biete ein großes Potenzial für weitere Zusammenarbeit.

Mit Blick auf die Frage nach verbesserten Visumsbedingungen für kasachische Staatsbürger erklärte Görke, dass die aktuelle geopolitische Situation die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet behindere. Während Kasachstan 2017 die Visumpflicht für deutsche Staatsbürger abgeschafft habe, sei es für kasachische Bürger heute komplizierter geworden, ein deutsches Visum zu erhalten. Dadurch leiden sowohl wirtschaftliche als auch wissenschaftliche und kulturelle Projekte. Er kündigte an, sich in dieser Frage weiter politisch einzusetzen.

Zum Schluss dankte er der kasachischen Regierung und KazMunayGas ausdrücklich für die Lieferung von Öl an die PCK-Raffinerie in Schwedt, wodurch Arbeitsplätze und die Versorgung Berlins und Brandenburgs gesichert würden. Dies sei nicht nur ein reiner Geschäftsakt, sondern auch ein Zeichen der Solidarität in einer schwierigen Lage.

Kasachstan zwischen Russland und China: eine schwierige Nachbarschaft

Zentralasien ist heute ein Raum, in dem sich die Interessen globaler Mächte überschneiden. Auf der Konferenz standen insbesondere die Beziehungen Kasachstans zu Russland und China im Mittelpunkt. Der kasachische Historiker, Politologe und Publizist Dr. Sultan Akimbekow betonte in seinem Vortrag, dass sich die Haltung gegenüber der Region verändert habe. Sie werde heute nicht mehr nur als Objekt fremder Politik wahrgenommen, sondern als ein aktives Subjekt, das seine eigenen Interessen selbstbewusst vertritt. Die verschiedenen Gipfeltreffen im Format C5+1 zeigten dies deutlich. Kasachstan und Usbekistan seien heute die Staaten, die die regionale Agenda maßgeblich beeinflussen.

Akimbekow erklärte, dass Multivektorenpolitik in der heutigen Situation nicht nur bedeute, mit mehreren Partnern zusammenzuarbeiten, sondern auch die Fähigkeit voraussetze, eigene Interessen selbstständig zu formulieren und die geopolitische Lage aktiv zu nutzen. Dies gelte insbesondere für zentralasiatische Transportkorridore: Russland habe diese in den 2000er Jahren blockiert, sei heute jedoch selbst daran interessiert, da sie Russland einen Zugang zu südlichen Märkten ermöglichen. Gleichzeitig seien weitere Mächte wie die USA, die EU, Indien und die Türkei in Zentralasien zunehmend aktiv – dies führe zu einem Netz gegenseitiger Abhängigkeiten.

Nach seiner Einschätzung habe sich auch die westliche Politik gegenüber Zentralasien verändert. Die Vorstellung, dass nur ein westliches liberal-demokratisches Modell erfolgreich sein könne, werde nicht mehr dogmatisch vertreten. Erfolgreiche Regierungsmodelle in Asien seien historisch gewachsen und durch äußere Einflüsse geprägt worden.

Die deutsche Historikerin Dr. Beate Eschment ergänzte, Kasachstan bemühe sich seit seiner Unabhängigkeit um stabile Beziehungen sowohl zu Russland als auch zu China. Russland sei aus historischen und wirtschaftlichen Gründen der engste Partner, während China aufgrund seiner zahlreichen Investitionen in der Region immer wichtiger werde. Kasachstan nutze diese Konstellation geschickt und fördere durch diverse diplomatische Initiativen seine eigenen Interessen mit wachsendem Erfolg.

Als Beispiel nannte sie die Entscheidung über den Bau eines Kernkraftwerks, bei dem sowohl Russland als auch China einbezogen wurden. Dies sei ein gutes Beispiel für eine sorgfältig austarierte Außenpolitik.

Eschment betonte, dass Diplomatie für Kasachstan heute wichtiger sei denn je. Die grundsätzlichen Linien der Außenpolitik hätten sich nicht verändert, doch die Art der Umsetzung sei komplexer geworden. Prognosen über die zukünftige Entwicklung seien schwierig, da sie stark von globalen Entwicklungen abhingen.

Deutschland und Kasachstan: Perspektiven der strategischen Partnerschaft

Dr. Thilo Klinner, bis vor kurzem Botschafter in Kasachstan und vorher in Usbekistan, stellte die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kasachstan dar. Deutschland habe in drei Jahrzehnten viel erreicht, doch seien auch Chancen verpasst worden. Die EU solle in Zentralasien nicht versuchen, Russland oder China zu verdrängen, sondern die Diversifizierung unterstützen, die sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt habe. Dies zeige sich an wachsendem Interesse der deutschen Wirtschaft sowie an hochrangigen politischen Kontakten.

Klinner betonte, dass viele Strategien der EU zu umfangreich und wenig ergebnisorientiert seien. Oft werde viel konzipiert, aber zu wenig umgesetzt. Am sinnvollsten seien konkrete Projekte mit sichtbaren Ergebnissen, etwa im Bereich der Wasserwirtschaft, bei Transport- und Logistiklösungen sowie bei der Digitalisierung. Auch Deutschland könne hier wichtige Beiträge leisten.

Er wies darauf hin, dass Deutschland schneller handeln müsse. Kritische Rohstoffe seien weltweit begehrt, und viele Länder seien bereits aktiv. Das Beispiel eines seit Jahren angebotenen Wolfram-Abkommens zeige, dass Deutschland sich in solchen Fragen nicht leisten könne, zu lange zu warten.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rohstoffe und Logistik

Der Regionaldirektor für Zentralasien des Ostkomitees der Deutschen Wirtschaft, Vladimir Nikitenko, beleuchtete die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kasachstan. Kasachstan verfüge über fossile Ressourcen, wichtige kritische Mineralien und großes Potenzial für erneuerbare Energien. Das seit 2012 bestehende Rohstoffabkommen werde bislang kaum genutzt, während andere Länder – etwa die USA – bereits konkrete Projekte mit Kasachstan realisierten.

Er verwies auf erfolgreiche Kooperationen wie die Erschließung eines Kali-Vorkommens im Westen des Landes sowie auf das Projekt „Hyrasia One“, bei dem grüner Wasserstoff und grünes Ammoniak für den Export nach Europa erzeugt werden sollen. Zur Unterstützung der Zusammenarbeit seien Strukturen wie H2-diplo in Astana sowie der Deutsch-Kasachische Energiedialog geschaffen worden. Auf deutscher Seite gebe es bei der KfW einen Rohstofffonds, auf kasachischer Seite sei ein solcher Fonds geplant.

Im Verkehrsbereich hob Nikitenko den sogenannten mittleren Korridor hervor. Dieser verbinde Westchina über Kasachstan mit der EU und solle als Alternative zu Routen durch Russland oder zur See über den Suezkanal dienen. Noch sei die Transportzeit über den mittleren Korridor sehr lang, jedoch werde durch verschiedene Maßnahmen eine deutliche Verkürzung angestrebt. Die EU sehe den mittleren Korridor als eine zentrale Priorität und wolle erhebliche Mittel für die Verbesserung der Infrastruktur bereitstellen.

Koexistenz und Pragmatismus in der Außenpolitik

In seinem abschließenden Vortrag gab Temur Umarow, Experte für Zentralasien am Berliner Carnegie-Zentrum, einige Empfehlungen für den Aufbau einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Ländern der Region. Zunächst hob er die historisch begründete, anhaltend starke Gegenwart Russlands in allen Ländern Zentralasiens hervor.

Außerdem empfahl Temur Umarow jenen Ländern, die nach Zentralasien kommen, vom Prinzip der Koexistenz und des Zusammenlebens auszugehen, also andere Player der Region zu berücksichtigen. Eine erfolgreiche Politik in der Region ist seiner Meinung nach nur möglich, wenn man zu Zugeständnissen bereit ist. Die Sprache der Konfrontation, die für den Kalten Krieg charakteristisch war, ist hier unangebracht.

Galina Nurtasinowa und Peter Enders

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