In Kirgisistan wird derzeit intensiv über eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe diskutiert. Präsident Sadyr Schaparow kündigte an, eine entsprechende Gesetzesinitiative vorzubereiten, die sich insbesondere auf besonders schwere Verbrechen gegen Frauen und Kinder beziehen soll. Laut Schaparow geht es dabei um Fälle von Vergewaltigung, sexualisierter Gewalt und Mord, die die Gesellschaft immer wieder zutiefst erschüttern.
Über die Wiedereinführung der Todesstrafe solle nicht allein der Staat entscheiden, betonte der Präsident, sondern das Volk selbst. Geplant sei eine breite öffentliche Diskussion, eine Prüfung durch das Verfassungsgericht und schließlich ein Referendum.
Reaktion auf Gewaltverbrechen
Der Vorschlag ist eine Reaktion auf den brutalen Mord an einem 17-jährigen Mädchen, der in Kirgisistan große Empörung ausgelöst hat. In den sozialen Medien forderten viele Menschen schärfere Strafen für die Täter solcher Verbrechen. Präsident Schaparow beauftragte daraufhin den Leiter der Rechtsabteilung der Präsidialverwaltung, Murat Ukuschew, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, der härtere Sanktionen für Gewaltverbrechen gegen Frauen und Kinder vorsieht. Das Thema hat in der kirgisischen Öffentlichkeit eine hitzige Debatte entfacht, vor allem zwischen jenen, die eine Rückkehr zur Todesstrafe als gerecht empfinden, und jenen, die darin einen gefährlichen Rückschritt sehen.
Kirgisistan hatte bereits 1998 ein Moratorium auf Hinrichtungen verhängt, das über Jahre hinweg immer wieder verlängert wurde. Im Jahr 2007 schaffte das Land die Todesstrafe schließlich vollständig ab und ersetzte sie durch lebenslange Haftstrafen. Seither gilt das Recht auf Leben als durch die Verfassung garantiert. Zudem hat Kirgisistan internationale Verpflichtungen übernommen: Das Land ist dem „Zweiten Fakultativprotokoll“ des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte beigetreten, das die Abschaffung der Todesstrafe völkerrechtlich festschreibt. Eine Wiedereinführung würde daher nicht nur eine Verfassungsänderung in Kirgisistan erfordern, sondern auch den Austritt des Landes aus diesem internationalen Abkommen.
Kehrtwende in der Menschenrechtspolitik?
Beobachter weisen darauf hin, dass Schaparows Initiative in einem politisch sensiblen Moment kommt. In Kirgisistan stehen in den kommenden Monaten Parlamentswahlen an, und viele sehen in der Ankündigung des Präsidenten auch den Versuch, mit einem populären Thema Zustimmung zu gewinnen. Zugleich spiegelt die Debatte die tiefe gesellschaftliche Verunsicherung angesichts zunehmender Berichte über Gewaltverbrechen wider. Laut dem kirgisischen Innenministerium wurden allein im vergangenen Jahr Hunderte Fälle sexualisierter Gewalt registriert – viele davon mit minderjährigen Opfern.
Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer Rückkehr zur Todesstrafe. Sie verweisen auf das Risiko von Fehlurteilen, auf die Unvereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen und auf die Tatsache, dass die Todesstrafe keine nachweisbar abschreckende Wirkung hat. Stattdessen fordern sie bessere Präventionsmaßnahmen, mehr Schutz für Opfer und eine effektivere Strafverfolgung.
Schaparow hält dennoch an seinem Plan fest, den Volkswillen über das Thema entscheiden zu lassen. Sollte eine Mehrheit der Bevölkerung die Wiedereinführung befürworten, müsste das neu gewählte Parlament anschließend die notwendigen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Änderungen beschließen. Damit stünde Kirgisistan als eines der wenigen Länder Zentralasiens vor einer Kehrtwende in der Menschenrechtspolitik. Während Kasachstan und Usbekistan die Todesstrafe längst abgeschafft haben, könnte Kirgisistan zum ersten Staat der Region werden, der sie wieder einführt.