Jedes Kind in Deutschland, zumindest diejenigen, die wir damals vor circa 25 Jahren Kinder waren, kennt den Spitz. Aus dem Lied, in dem ein Spitz sich in die Küche schleicht und dem Koch ein Ei stiehlt. Und aus dem Spiel „Spitz, pass auf!“
Dieses Spiel haben wir damals wie selbstverständlich bis zum Abwinken gespielt, heute kommt mir das absurd vor. Da lauert man mit seinen Figürchen an der Schnur, ob jemand eine Sechs würfelt, um dann den Becher schnell über diese Figürchen zu stülpen. Wer sein Figürchen nicht schnell genug wegzieht, ist gefangen. Ich kann schon gewissermaßen verstehen, dass so etwas Kindern Spaß macht. Heute würde man sagen, das schult das Reaktionsvermögen, die Motorik bla bla bla. Aber was ich heute so gar nicht verstehen kann, wieso das Spiel „Spitz, pass auf!“ heißt. Wenn man sich mit seinem Figürchen identifiziert, dann identifiziert man sich folgerichtig mit einem Spitz. Wer macht das schon freiwillig?! Wahrscheinlich nur Kinder, die noch nicht wissen, was ein Spitz ist. Aber trotzdem. Da müssen doch viele schlaue Marketingexperten beieinander gesessen, gegrübelt und diskutiert haben, wie sie denn das neu entwickelte Spiel nennen, damit es reißenden Absatz findet. Und dann muss einer irgendwann gesagt haben: „Lasst es uns doch ‚Spitz, pass auf!’ nennen!“ Und dann müssen alle anderen gerufen haben: „Au ja! Was für eine tolle Idee!“, zumindest aber zustimmend genickt haben. Vielleicht war auch alles ganz anders. Aber wie es auch immer gelaufen ist, am Ende bleibt – dieses Spiel wurde unter genau dem Namen auf den Markt geworfen und findet sich noch heute in allen Haushalten, Kindergärten, Kindertagesstätten, Vorschulgruppen und Pekip-Krabbelgruppen. Ja, und dadurch und seitdem ist mir der Spitz ein wohlvertrautes Tier. Zumindest wusste ich von der Spieleverpackung, wie ein Spitz so in etwa aussieht. Ob die Begriffe Spitzbube, spitzfindig usw. etwas mit diesem Hund zu tun haben, lässt sich nur spekulieren oder recherchieren, aber dazu habe ich jetzt keine Lust.
Bewusst wahrgenommen habe ich einen echten lebenden Spitz erst vor wenigen Tagen. Ich ging mit einer Bekannten spazieren, und weil sie auch mein Coach ist und auch sonst immer schlaue Tipps fürs Leben auf Lager hat, unterhielten wir uns gerade über meine Hundeangst, als just ein kleiner Hund des Weges kam. „Vor so etwas habe ich keine Angst“, sagte ich. „Das ist ein Spitz“, sagte Susanne. Da auch wir Menschen Pawlowsche Hunde sind, schoss mir natürlich sofort in den Kopf: Spitz, pass auf!
Jetzt musste ich aber von meiner Bekannten, die nicht nur Coach, sondern auch Biologin ist, lernen, dass der Spitz zwar klein und niedlich aussieht. Konrad Lorenz, der bekannte Tierforscher, habe aber herausgefunden, dass der Spitz von allen Hunderassen dem Wolf am ähnlichsten sei. Da musste ich spontan laut lachen, das mir aber bei weiterem Nachdenken im Halse stecken blieb. Denn wenn selbst klitzekleine Hunde, die nicht im Ansatz wie ein gezähmter Wolf aussehen, doch noch eben diesen in sich tragen und einem jeden Moment an die Gurgel springen können, dann kennt meine Hundeangst keine Grenzen mehr. Bis auf eine Spezies. Vorhin habe ich in einem Wissenschaftsbeitrag gelesen, dass der Mops dem Wolf am unähnlichsten ist. Immerhin! Aber da der Mops gerade nicht als Haus- und Hofhund in Mode ist, bleibt: Joggen im Park ist damit vollkommen von der Tagesordnung. Und damit verstehe ich jetzt auch nach einem jahrzehntelangen Missverständnis das Motto des Spiels besser. Gemeint ist nicht, dass der Spitz aufpassen soll, sondern vielmehr: „Ein Spitz, pass auf!“ Und damit ist der Spitz nämlich nicht das Figürchen, sondern der Becher, der bei der Zahl 6 zuschnappt.
Julia Siebert
09/05/08