Theoretisch sollten Sport und Politik möglichst nicht vermischt werden, doch in der Praxis kann und will man sie oft nicht trennen. Sport ist sehr oft politisch gebraucht, vielleicht besser missbraucht worden, zum Beispiel bei den Olympischen Spielen 1936 in Deutschland.
In diesen Tagen ist die Welt nun durch das sportliche Großereignis des Jahres – die Olympischen Sommerspiele in Peking – gespalten. Die Bilder von den gestörten Fackelläufen in Paris, London und anderen Städten gehen um die Welt, der Fernsehzuschauer hierzulande sieht ihn erschreckende Bilder und fragt sich, weshalb andere gegen ein sportliches Ereignis demonstrieren und der Fackellauf hierzulande mehr als ruhig über die Bühne gegangen ist. Man freut sich meist über die Stabilität im Lande und eine politische Komponente der Spiele wird abgestritten.
Es wäre natürlich schön, ließe sich Olympia wirklich politikfrei gestalten, aber das wird bei solchen Ereignissen immer ein frommer Wunsch bleiben. Zu groß ist ganz einfach die Versuchung für Politiker, sich mit dem Massenunterhaltungsphänomen Sport einer Öffentlichkeit zu präsentieren, die man in dieser Breite auf anderem Wege kaum erreichen kann.
In Kasachstan beobachte ich zwei Arten im Umgang mit den Tumulten rund um das olympische Feuer: zum einen ein fast völliges Nichtwissen um die Motive der Demonstranten und Gegner der Spiele in Peking und zum anderen die Theorie, dass die tibetischen Mönche die Demonstranten gekauft hätten. Letzteres ist natürlich schon deshalb Unsinn, weil die kritische Haltung vieler nicht erst in den letzten Wochen entstanden ist, sondern die Weltmeinung in dieser Frage seit der Vergabe der Spiele an Peking vor acht Jahren gespalten ist. Seither hat es immer wieder Diskussionen und Proteste gegeben, denen allerdings das Spektakuläre eines gestörten Fackellaufes fehlte. Weiterhin sind die Dimensionen der Proteste, die ja auch nicht nur die Orte des Fackellaufes erfasst haben, viel zu groß, als dass man diese mit Geld hätte organisieren können. Offensichtlich ist es für manchen hierzulande nicht vorstellbar, dass Menschen aus inneren, nichtfinanziellen Antrieben ihre Meinung zu Fragen äußern, die eigentlich nicht direkt ihr persönliches Leben betreffen. Was aber in Kasachstan nicht üblich ist, muss deswegen noch lange nicht der Standard für das Verhalten woanders sein.
Die weltweit kritische Haltung vieler Menschen zu diesem Sportereignis besteht letztlich wegen der von der chinesischen Führung selbst gebrochenen Versprechen, die Spiele zum Anlass zu nehmen, zumindest vorsichtige Öffnungen zuzulassen. Das aber ist nicht eingetreten. Die brutale Unterdrückung des Aufstandes in Tibet im März dieses Jahres – dieses Ereignis wurde in den hiesigen Massenmedien fast nicht reflektiert – ist nur die Spitze des Eisberges. Der Olympiatraum Chinas ist ein Albtraum für viele Chinesen. Nach wie vor kennt das Land keine Wahlen, keine Religionsfreiheit, keine unabhängigen Gerichte oder Gewerkschaften. Zweifelsohne hat China in den letzten Jahrzehnten viel erreicht: die wirtschaftliche Modernisierung des Landes ist vorangeschritten, der Hunger ist weitgehend ausgerottet, und es wurden Bildungsdefizite beseitigt. Doch China bleibt ein Land, in dem Folter und Unterdrückung üblich sind, in dem die Regierung selbst die Verletzung der Menschenrechte betreibt und nicht bereit ist, internationale Verpflichtungen einzuhalten. Auch wenn andere Traditionen und Werte das Land dominieren, bleiben diese Vorwürfe bestehen, da die Vergabe der Spiele an eine Reihe solcher Bedingungen geknüpft war.
Die Olympischen Spiele in Peking sollten nicht boykottiert werden, das würde die chinesische Führung eher noch starrköpfiger machen und dem Volk nicht helfen. Wenn aber auf kritische Stimmen seitens Chinas nicht gehört wird, scheint es mir legitim zu sein, ein weltweit beachtetes Sportereignis für die Darstellung anderer Meinungen und die Aktivierung der Verantwortlichen zum Einhalten ihrer Zusagen zu nutzen.
Bodo Lochmann
18/04/08