Erstmals fand in der Botschaft der Republik Kasachstan mit „Stammtisch unterm Schanyrak“ ein neues Veranstaltungsformat statt. Die Idee dahinter ist es, den Meinungsaustauch zu kulturellen und historischen Themen zu fördern. Dazu werden Experten aus unterschiedlichsten Fachdisziplinen eingeladen.
Der Schanyrak ist ein Element, das im zentralen Teil der Jurte installiert ist und die Decke bildet. Traditionell wurde es von angesehenen Verwandten installiert, und aus Dankbarkeit für die Hilfe wurde ihnen ein Pferd oder ein Kamel überreicht. Für das kasachische Volk hat der Schanyrak große symbolische Bedeutung. Er symbolisiert das Wohlergehen und die Einheit aller auf dem Territorium der Republik lebenden Völker. Der Schanyrak ist zudem als Symbol im Staatswappen der Republik Kasachstan abgebildet.
Um sich zum Beispiel gegenseitig Glück und Erfolg zu wünschen, drücken dies die Kasachen im Sprichwort „Möge Dein Schanyrak hoch sein“ (Schanyrak biik bolsyn), aus. Dieser Wunsch wird besonders auf Hochzeiten zum Ausdruck gebracht.
„Auf der Spur zur Domestizierung von Pferden“ war das Thema des ersten Stammtischs, zu dem am Dienstag namhafte Experten und Wissenschaftler eingeladen wurden.
Die einleitenden Worte des Botschafters der Republik Kasachstan in der Bundesrepublik Deutschland, S.E. Nurlan Onzhanov, begannen mit einem Überblick über die aktuelle Situation rund um die Überschwemmungen in Kasachstan und die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Naturkatastrophe.
In Hinblick auf das Thema des Tages, merkte er an, dass das Pferd seit der Antike eine Schlüsselrolle im Leben eines jeden Nomaden einnimmt. Der Pferdekult manifestiert sich in Glaubensvorstellungen und Bräuchen. Zahlreiche kasachische Legenden und Sprichwörter sind den Pferden gewidmet, so etwa: „Ein Pferd ist wie die Flügel eines Mannes“.
Artefakte belegen Domestizierung von Pferden in Kasachstan
Den ersten Impulsvortrag hielt Dr. Anton Gaas, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Vor- und Frühgeschichte an den Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Er berichtete von den archäologischen Ausgrabungen der Grabhügel von Botai und Berel in Nordkasachstan. Der Ort liegt 351 km nordwestlich der Hauptstadt Astana entfernt. Die Botai-Kultur ist eine kupferzeitliche Kultur des 4. Jahrtausends v. Christus und wurde vor allem bekannt, weil hier die frühesten Belege für die Domestizierung des Pferdes vor rund 5.500 Jahren entdeckt wurden.
Die bisher ca. 300.000 gefundenen Artefakte belegen, dass die Domestizierung von Pferden auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan stattfand. Die ca. 15 Hektar große Siedlung Botai wurde 1980 von dem kasachstandeutschen Archäologen Wiktor Saibert entdeckt. Seitdem wird sie systematisch nach wissenschaftlichen Methoden untersucht.
Durch die archäologischen Ausgrabungen wurden bis jetzt über 10.000 m² erschlossen, etwa 100 Wohnbauten freigelegt und mehrere hunderttausend Tierknochen entdeckt. 99,9 Prozent der Knochen stammen von Pferden.
Kumysreste und spezielle Erdgruben
Einen weiteren direkten Beweis für die Pferdezähmung liefern im Jahr 2009 Reste von Kumys. Die in Kasachstan beliebte vergorene Stutenmilch konnte in circa 5.600 Jahre alten Tonscherben mittels massenspektroskopischer Methoden nachgewiesen werden. Einen weiteren Hinweis auf die Domestizierung von Pferden lieferten hohe Phosphatgehalte in speziellen Erdgruben.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das Przewalski-Pferd, benannt nach dem russischen Expeditionsreisenden Nikolai M. Przewalski. Dieser brachte 1878 von einer seiner Expeditionen nach Zentralasien Haut und Schädel der in der westlichen Welt weitgehend unbekannten Pferdeart nach Sankt Petersburg. Als besondere Kennzeichen der Przewalski-Pferde können der kompakte Körperbau, die Stehmähne, die relativ dunkle Fellfärbung und die Ausbildung von langen Haaren nur in der unteren Hälfte des Schwanzes genannt werden.
2018 wurde im wissenschaftlichen Magazin „Science“ berichtet, dass die Przewalski-Pferde entdomestizierte Botai-Pferde sind, die bereits vor etwa 5.000 Jahren verwilderten. Zudem fand sich im Erbgut der eurasischen Pferde aus den vergangenen 4.000 Jahren keine Übereinstimmung mit den Botai-Pferden. Es wird von den Forschern angenommen, dass eine andere Gruppe Pferde ab dem 3. Jahrtausend die Vorfahren der heutigen Pferde sind. Die Suche nach diesen Vorfahren konzentriert sich auf Gebiete in Zentralasien, im Westen der Eurasischen Steppe und in Anatolien.
Die Rettung des Przewalski-Pferdes
Stefan Schomann, der Autor des Buches „Auf der Suche nach den wilden Pferden“, welches in diversen Feuilletons sehr gut rezensiert wurde, erzählte von seiner Reise nach Kasachstan, wo er sich auf die Suche nach den Przewalski Pferden begab. In seinem Buch, aus dem er dem Publikum einige Passagen vortrug, nimmt er den Leser auf atemberaubende und humorvolle Reise in die Steppen Kasachstans mit, lässt ihn in die Welt der Wildpferde eintauchen und enthüllt die komplexe Beziehung zwischen Mensch und Natur.
Zum Zeitpunkt seiner wissenschaftlichen Benennung war das Przewalski-Pferd bereits sehr selten. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es nur rund 30 Individuen in menschlicher Obhut. Lediglich im Tierpark Hellabrunn in München und im Prager Zoo kamen noch Fohlen der Art zur Welt. Das letzte freilebende Exemplar wurde 1969 gesichtet. Durch engagierte Zuchtprogramme konnte das Überleben des Przewalski-Pferdes jedoch bis heute gesichert werden.
In diesem Zusammenhang begrüßten die Teilnehmer die Pläne der Berliner- und Prager Zoos jeweils vier Przewalski-Pferde in ihren natürlichen Lebensraum in Kasachstan, in das Naturreservat Altyn Dala, im Juni dieses Jahres zu überführen.
Die Altyn Dala Conservation Initiative (ADCI) ist eine seit langem bestehende Partnerschaft zwischen nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen und der kasachischen Regierung, die sich für den Schutz und die Wiederherstellung der vielfältigen Steppen-, Wüsten- und Feuchtgebietsökosysteme Kasachstans einsetzt, was sowohl den Wildtieren als auch den Menschen zu Gute kommt. Schätzungsweise gibt es weltweit circa 2.000 Przewalski-Pferde.
Wundergetränk Kumys
Als dritter Experte des ersten Stammtisches referierte Hans Zollmann, Gründer und Geschäftsführer der Zollmann GmbH, die seit mehr als sechs Jahrzehnten in Deutschland Kumys und verschiedene kosmetische Produkte aus Stutenmilch herstellt (die DAZ berichtete). Er sprach über die wohltuenden Eigenschaften und die therapeutische Wirkung von Kumys auf die Gesundheit.
Stutenmilch liefert wichtige Nährstoffe für den Körper. Sie enthält Eiweiße, leicht verdauliches Fett und liefert für den Körper gut verwertbare Kohlenhydrate in Form des Milchzuckers Laktose. Besonders bedeutsam ist der hohe Gehalt an den Mineralstoffen Kalzium, dem hohen Vitamin C Gehalt und den wasserlöslichen Vitaminen der B-Gruppe, vor allem Vitamin B12. Kumys ist ein leicht verdauliches, magenfreundliches Getränk und kann unter anderem auch als Nahrungsersatz für die Muttermilch eingesetzt werden.
Des Weiteren berichtete Unternehmer Hans Zollmann über die logistischen Herausforderungen, die in der engen Beziehung zwischen Fohlen, Stute und dem Melkvorgang bestehen. Drei bis vier Mal pro Tag wird eine Stute gemolken. Der Melkvorgang an sich dauert ein bis zwei Minuten. Im Durchschnitt werden 1,5 bis 2,0 Liter Stutenmilch pro Melkvorgang gemolken. Circa zwei Drittel der Stutenmilch verbleiben beim Fohlen und ein Drittel wird abgegeben. Aktuell befinden sich auf dem landwirtschaftlichen Betrieb circa. 200 Melkstuten und 350 Pferde.
Streng geheimes Rezept
In der Volksmedizin war die Kumys-Behandlung in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Zu diesem Zweck wurden spezielle Krankenhäuser eröffnet. Nützliche Eigenschaften von Kumys sind seit langem von der traditionellen Medizin bestätigt worden. Kumys wurde zur Behandlung von Lungentuberkulose und anderen Erkrankungen des Atmungssystems sowie bei Anämie, allgemeinem körperlichen Abbau und einigen Magen-Darm-Erkrankungen angewendet. Es wurden spezialisierte Sanatorien und Ressorts eröffnet, in denen mit Kumys behandelt wurde. Besonders bekannt waren solche Ressorts in Baschkortostan und Kasachstan.
Kumys wurde von den Nomadenstämmen in Zentralasien und der Mongolei zubereitet, und das Geheimnis der Herstellung dieses Heilgetränk wurde streng geheim gehalten. Heute ist Kumys in Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan, der Mongolei und in Baschkirien sehr beliebt.
Eintauchen ins Steppenleben
In einer anschließenden, sehr lebhaften Diskussion erörterten die Teilnehmer verschiedene Aspekte der Pferdedomestizierung, tauschten Meinungen aus und besprachen mögliche Ansätze für die weitere Forschung zu diesem Thema.
Am Ende der Abendveranstaltung hatten die Diskussionsteilnehmer die Möglichkeit, ins Steppenleben einzutauchen. Sie konnten eine echte kasachische Jurte im Garten der Botschaft besichtigen. Gleichzeitig wurde den Gästen der Aufbau einer Jurte und deren charakteristische Eigenschaften erklärt. In einem abschließenden Empfang mit nationalen Köstlichkeiten wurde der erste Stammtischabend erfolgreich abgerundet.