Valentin Tchepenko zog vor dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 aus Kirgisistan nach Deutschland. Heute ist er ein recht beliebter Musiker und professioneller Boxtrainer (Lizenz „IBA 1 Star Coach“). Im Gespräch mit der DAZ erzählt Valentin von seiner Kindheit in Zentralasien und äußert sich zu den Problemen des modernen Sports in Deutschland. Auch zur Politik hat er etwas zu sagen.

Valentin, Boxen oder Musik? Was ist Ihnen wichtiger? Und warum?

Das ist so wie die Frage: „Wen von deinen Kindern liebst mehr?“ Beide sind sehr wichtige und prägende Facetten meines Lebens, und auf keine der beiden würde ich verzichten wollen, wenn es nicht zwingend sein müsste. In beidem bin ich ziemlich gut und erfolgreich, beides scheint in meinem Leben zu rotieren und jeweils zu seiner gekommenen Zeit die „Pole-Position“ zu übernehmen. Erst gab es das Boxen. Dann kam die Musik, und das Boxen ruhte lange. Aktuell ruht die Musik, und das Boxen ist allgegenwärtig. Die Musik ist aus meinem Leben mit großer Sicherheit nicht verbannt und wird wiederkehren! Das habe ich meinen Fans versprochen, und so wird es früher oder später kommen. Es warten sehr viele von mir geschriebene Songs darauf, in die weite Welt entlassen zu werden.

Im Juli 2018 eröffneten wir mit meiner wundervollen Geschäftspartnerin Zdenka Klinger in Frankfurt die „Art of Boxing“ Gym. Mittlerweile sind wir zu einem ziemlich bekannten Club herangewachsen, in dem mehrere Deutsche Meister, Europa-Medaillisten und Profis trainieren. Aktuell ist das mein Hauptberuf, damit verdiene ich den Unterhalt für meine Familie. Sobald ich es schaffe, etwas mehr Freizeit zu erlangen, werde ich mich wieder der Musik zuwenden.

Was hat Ihnen bei der Integration in Ihr neues Leben geholfen?

Ich kam mit neun Jahren nach Deutschland und kann mich aktuell, wenn ich zurückdenke, an keine Schwierigkeiten erinnern. Das Gehirn eines Kindes ist wie ein trockener Schwamm, es nimmt extremst schnell das auf, womit es begossen wird. Somit war die Sprachbarriere wohl ultraschnell beseitigt und „fast“ gar nicht existent. Ich denke, meine Eltern, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind, gebildet und erzogen wurden, hatten natürlich ihre Schwierigkeiten, aber die waren und sind nicht besonders erwähnenswert. Hatten wir damals als Aussiedler in Frankfurt ansonsten irgendwelche besonderen Probleme, Schwierigkeiten? – Nein, hatten wir nicht!

Viele Menschen kämpfen im Ring, um Geld zu verdienen. Was hat Sie zum Boxen bewegt: der Durst nach Adrenalin?

Die viel bessere Aussage wäre „Viele Menschen träumen davon, im Ring Geld zu verdienen“. Ich habe viele Sportarten in meiner Kindheit ausprobiert, und es war von Anfang an klar, dass ich kein Mannschaftssportler bin. Den ersten Kontakt mit dem Boxen gab es, als ich sechs Jahre alt war in Kirgisistan. Mein Vater kaufte zwei Paar Handschuhe (sie waren damals noch mit Pferdehaaren gestopft), zog mir welche an, und holte Jungs, die auf der Straße unterwegs waren, zu uns in den Hof, damit wir uns gegenseitig was auf die Mütze hauen konnten.

Wir sind generell damals auf der Straße aufgewachsen. Es gab keine Computer, Handys oder sonstigen Kram, der die Kinder heute zuhause in den vier Wänden hält, und es war für viele Eltern sowie natürlich auch für meine sehr wichtig, dass ihre Söhne stark sind und sich verteidigen können. Bei uns hieß es „Wenn du nur eine kleine Vorahnung hast, dass es eine Schlägerei geben könnte, hau zuerst! Besser er liegt als du.“ So brachte mich mein Vater zu einer Boxschule im damaligen Frunze, heute Bischkek, und ich verbrachte dort einige Zeit und erlernte einige wichtige Basiselemente.

In Deutschland bin ich mit knapp 14 Jahren zum Boxen gekommen und man sagte gleich, ich wäre sehr begabt. Ich habe gespürt, dass ich zu den besten im Land gehöre, und das hat mich natürlich motiviert, sehr hart zu trainieren, um weiter dieses wundervolle Erfolgsgefühl und die Anerkennung zu spüren. Ein Mann braucht das in seinem Leben. Es muss Momente von Errungenschaften und Erfolgen geben, sonst vegetiert er wie eine Zucchini vor sich hin und ist zu nichts zu gebrauchen. Zumindest ist es bei mir so.

Denken Sie, dass sich das kasachische und kirgisische Boxen immer noch von seiner besten Seite zeigt?

Unsere zentralasiatischen Freunde – Länder wie Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und weitere – haben schon zur Zeit der Sowjetunion zu den stärksten Boxnationen der Welt gehört. Es gab ein Tief, ja, aber aktuell sind sie wieder sehr steil auf dem Weg nach oben. Das sieht man an den Medaillenspiegeln vergangener Weltmeisterschaften und großer internationaler Turniere.

Im Jahr 2005 wurde Ihre Musikgruppe Briz in der deutschen Stadt Frankfurt am Main geboren. Was hat Sie dazu bewogen, die Gruppe zu gründen?

Der Traum, ein Rockstar zu werden. Ich fing an, Gitarre zu spielen, zu singen und im Nachhinein eigene Lieder zu schreiben, was stets in allen Kreisen, in denen ich mich befand, sehr positive Reaktionen hervorrief. Das schrie danach, weiterzumachen. Wie ich schon in der Frage über das Boxen erwähnte, macht es mich glücklich, gut zu sein und positives Feedback über das zu erhalten, was ich zu tun liebe. Ich bemühe mich generell, keine Sekunde meiner Lebenszeit in etwas zu investieren, was mir keinen Spaß macht oder worin ich nicht gut bin. Wie der von mir hoch geehrte Bruce Lee eins sagte: „Das Wertvollste im Leben ist die Zeit: Leben heißt, mit der Zeit richtig umzugehen. Selbst wenn ich, Bruce Lee, eines Tages ohne Erfüllung meines Strebens sterben sollte – ich bedauere nichts. Ich tat, was ich tun wollte.“

Es wird angenommen, dass die moderne Kultur politisiert ist. Glauben Sie, dass das wahr ist? Was sind heute die größten Herausforderungen der Popkultur in Deutschland?

Die größte Herausforderung ist, standhaft zu bleiben und du selbst zu sein. Sich nicht in die Mainstream-Lawinen gegen deinen Willen reinpressen zu lassen. Wo auf einmal ist z.B. Xavier Naidoo, nachdem er seine ehrliche Meinung zu Corona offenlegte? Wie dem auch sei. „Ein toter Fisch schwimmt mit der Strömung, ein lebendiger dagegen.“ Musik ist generell politisiert, der Sport ist es ebenfalls. Vieles davon ist meiner Meinung nach politisch und global extrem sexualisiert und erzwungen. Was haben Sport oder Musik mit der Politik zu tun? Sie dürften nichts mit der Politik zu tun haben! Tun sie aber…Sie werden wie alles andere, was auf Aufmerksamkeit der breiten Masse trifft, zu politisch niederen Zwecken instrumentalisiert. Offensichtlich „versucht“ hier der anscheinend unaufhaltbare moderne Zivilisationsprogress mit all seinen guten und schlechten Erscheinungen, die Kultur komplett zu verschlingen. Und mit ihr, wie es aussieht, die allgemeinen moralischen Werte der Menschheit. Die Welt degradiert extremst…

Wo kann man mehr verdienen: im Sport oder in der Musik?

Es hängt von der Art der Musik, des Sports und der Qualität beider ab, wobei die Qualität teils nebensächlich ist, wenn man die Masse glücklich macht! Meistens lässt sich die Masse auch durch moral- und qualitätslosen Müll amüsieren und gibt viel Geld dafür aus.

Ein Beispiel für Musik: Von Gott mit Talent gesegnete, ultra-talentierte, in ihren Kreisen hoch- und teils weltbekannte Jazz-Musiker werden wohl niemals auch nur annähernd so viel Geld verdienen wie ein durch die Massen popularisierter, gehypter, gutaussehender junger Popsänger, der mit den für ihn von seiner Plattenfirma geschriebenen Schnulzensongs Millionen 11- bis 13-jährige Teenie-Mädels zum Weinen bringt. Im Sport ist es sehr ähnlich. Die Massenhaftigkeit und die Simplizität entscheidet und regelt. Ein sehr simples Beispiel für Sport: Ein begabter Fußballer verdient in der Bundesliga zwischen 40.000 und 90.000 Euro im Monat. Ein gleichbegabter Boxer, der in der Bundesliga boxt, bekommt mit großem Glück und sehr netten Sponsoren seine 1000 Euro pro Kampf – wenn es hochkommt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Marina Angaldt

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