Nach den Januar-Ereignissen in Almaty sind die Folgen der Zerstörungen und Plünderungen in der Stadt nur noch sporadisch zu sehen. Die Betroffenen beschäftigt das Erlebte aber nach wie vor sehr. Unsere DAZ-Praktikantin Julia Tyukalova hat sich die Geschichte eines lokalen Geschäftsmannes angehört, der bei den Unruhen einen erheblichen Schaden erlitten hat.
Walerij, Sie betreiben ein Geschäft für Haushaltswaren im Einkaufszentrum „Promenad“ und waren selbst am 5. und 6. Januar von den Plünderungen in Almaty betroffen. Wie haben Sie das Ganze erlebt?
Das Management des Einkaufszentrums informierte uns per WhatsApp über den Einbruch und warnte, dass es zu unsicher sei, um herzukommen. Später wurde bekannt, dass dort weder Polizei noch sonstige Sicherheitskräfte waren. Ich hielt mich an die Ansage und blieb zuhause, weil ich mir der möglichen Folgen durchaus bewusst war. Mir war klar, dass ich die Plünderungen nicht verhindern würde. Mein Leben ist mir wichtiger, als ein paar Finanzen – obwohl wir jetzt alles wiederherstellen müssen, was wir uns über 15 Jahre erarbeitet haben.
Wie haben Sie sich in diesen Tagen gefühlt?
Während der ersten Tage war es am schlimmsten. Man ist den Dingen ausgeliefert, sitzt isoliert ohne Internet zuhause und hat keine Informationen darüber, was geschieht. Wir machten uns Sorgen, dass jeden Moment eine Gruppe von 50 bis 100 Leuten ins Haus reinplatzen kann. Es war sehr beängstigend für die Kinder, denn vom Fenster aus sahen wir Autos ohne Nummernschilder; wir sahen für zwei Tage Gesetzlosigkeit in der Stadt und Menschen mit asozialem Verhalten.
Was halten Sie von der Theorie, dass die Unruhen in Almaty zentral organisiert wurden? Und wer könnte die Angreifer gelenkt haben?
Fakt ist: Die Plünderer haben alles überfallen, was ihnen in die Quere kam. Man konnte sehen, dass sie bestimmten Routen folgten. Ja, es war eine organisierte, kontrollierte Menge. Eine Menge Verrückter, obwohl es am Anfang auch normale Leute aus der Zivilbevölkerung gab. Leute, die zunächst nicht wussten, was sie riskierten und wohin sie überhaupt gingen. Die dem Staat gegenüber ihre Unzufriedenheit ausdrücken wollten. Das waren friedliche Bürger.
Als die Situation jedoch in Aggressionen umschlug, zogen die sich zurück. Ich habe gesehen, wie Bürger die Demonstranten anfangs unterstützten, weil sie meinten, dass diese sich für die richtige Sache einsetzen, und ihre Gefühle teilten. Als die Lage eskalierte, änderten sie dann ihre Meinung und bangten um ihre Sicherheit. Einige berichteten sogar, dass sie ausgeraubt worden waren – von denselben Leuten, mit denen sie vorher in der Menge mitgegangen waren.
Es liegt auf der Hand, dass die jungen Leute aus den Vorstädten geschult und aufgehetzt waren. Sie wurden benutzt. Und ich glaube, die meisten von ihnen bedauern jetzt, daran teilgenommen zu haben. Denn Aggressivität ist keine Besonderheit des kasachischen Volkes, sie gehört nicht zu seiner Mentalität. Kasachen sind meist warmherzige und gutmütige Menschen, die nie anderen Schaden zufügen würden.
Wie geht es mit Ihrem Geschäft weiter? Wie lange wird es dauern, bis Sie es wiederaufbauen können?
Wir hatten einen sehr großen Schaden, der Laden war ja zwei Tage lang geplündert worden. Bzw. waren am ersten Tag die Plünderer da, und am zweiten Tag waren es Hooligans, die hinter den Plünderern her waren. Das Gebäude selbst war ohne Strom, weshalb es kein brauchbares Material von Überwachungskameras gab. Aber es gab Augenzeugen, die die Übergriffe gefilmt haben. Einigen von ihnen ist es sogar gelungen, Gesichter von Beteiligten aufzunehmen, und ich glaube, dass einige von ihnen festgenommen wurden. Die Einsatzkräfte arbeiten jetzt sehr gut und aktiv.
Mit dem Wiederaufbau müssen wir irgendwie vorankommen. Wir haben 15 Jahre in dieses Geschäft investiert. Wir haben noch einen anderen Laden, aber den werden wir leider schließen müssen, weil das geplünderte Geschäft eine Art Zentrale war, ohne die das Gesamtgeschäft nicht funktionieren kann. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, dieses wieder zu errichten.
An den Staat habe ich keine ernsthaften Erwartungen. Für mich sind jetzt Stabilität und die Atmosphäre der Sicherheit, die wir unter Tokajew haben, das Wichtigste. Ich befürchte, dass ich nicht in der Lage sein werde, meine finanziellen Verluste wieder reinzuholen, aber das stört mich nicht so sehr, obwohl es sich um eine verrückte Summe handelt. Viel wichtiger ist es für mich zu wissen, dass ich in Sicherheit bin und mich ruhig fühle, wenn meine Frau zum Einkaufen und mein Kind zur Schule geht.
Es gab Hotline-Nummern für betroffene Unternehmer. Haben Sie diese kontaktiert? Hat der Staat Ihnen Unterstützung gewährt?
Ja, ich habe mich natürlich beworben. Jeden Abend geht es in unseren Chats detailliert darum, wie, was und wo man repariert, wo man einen Antrag stellt, bei welchen Behörden, und wer Hilfe leisten kann. Jedem Einkaufszentrum wird ein staatlicher Mitarbeiter zugewiesen, der Unterstützung und Beratung bietet. Ich selbst musste einmal um 23 Uhr an diese Person schreiben, und er hat mir ein gutes Feedback gegeben. Der stellvertretende Bürgermeister und der Bürgermeister selbst kamen zum Ort des Geschehens. In den Palast der Republik wurden 1.500 Geschäftsleute wie ich eingeladen, um Fragen beantwortet zu bekommen. So viel Unterstützung hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet.
Glauben Sie, dass sich die Ereignisse vom Januar wiederholen könnten?
Ich denke, wenn Tokajew und sein Team standhaft bleiben, dann sind wir nicht in Gefahr, auch dank der Unterstützung unserer Nachbarn. Ich glaube, dass sich diese Ereignisse nicht wiederholen werden, weil heute intelligente Menschen am Ruder sind.
Sehen Sie Ihre Zukunft weiterhin in Kasachstan nach diesen Ereignissen? Wenn ja, wie sehen Sie sie?
Ich sehe meine Zukunft und die meiner Kinder in Kasachstan. Ich bin auch bereit, jeden Beitrag zu leisten, damit sich jeder Mensch, egal welcher nationalen, religiösen oder beruflichen Herkunft, so wohl fühlen kann, wie er sich immer gefühlt hat. Wir stehen nur heute vor einem Problem: Es wird jedes Jahr schwieriger, Personal einzustellen, weil die Qualität der Arbeitskräfte immer schlechter wird. Die Gesellschaft ist auch für die junge Generation verantwortlich, und die jungen Menschen – auch die, die neu zugezogen sind – sollten ein positives Lebensumfeld und eine gute Bildung genießen können. Daran haben wir nicht gedacht, und deshalb haben wir als Staat und Gesellschaft mit den Ereignissen im Januar ein solches Ergebnis erzielt. Es ist wichtig, dass unsere jungen Menschen einen starken kulturellen und erzieherischen Kern haben, der sie nicht in eine negative Richtung führt. Damit sie verstehen, dass sie durch Plünderung und Gesetzlosigkeit ihrem Land und sich schaden.
Einige ausländische Medien bewerten die Rolle der Staatsmacht bei den Ereignissen im Januar negativ, auch wegen der Entscheidung, Sicherheitskräften den Schießbefehl zu geben und die OVKS-Truppen um Hilfe zu bitten. Wie sehen Sie das?
Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass die meisten Demonstranten gewalttätige Leute waren, von denen viele selbst getötet haben – Banditen, Mörder und Räuber. Niemand wollte, dass Menschen sterben – auch nicht die, die selbst gewalttätig waren. Und ich spreche den Familien all derer, die bei diesen Ereignissen ums Leben kamen, mein Beileid aus. Doch die Banditen haben alle Grenzen der Menschlichkeit überschritten. Als der Präsident den Befehl gab, das Feuer zu eröffnen, war klar, dass alle gewarnt waren. Jeder vernünftige Mensch wäre zu dem Zeitpunkt längst weggelaufen. Aber jemand, der gekommen ist, um zu rauben und zu töten, um der Gesellschaft Schaden zuzufügen, kennt keine Grenzen.
Ich teile die Meinung des Präsidenten voll und ganz und denke, das Wichtigste für ihn ist jetzt, dass er sich mit Leuten umgibt, die nicht sagen: „Wie unser Präsident gesagt hat“, sondern die eine eigene, klar formulierte Meinung haben und mit ganzem Herzen zu ihrem Land stehen. Wir brauchen nicht zu sagen „Unser Präsident ist der Beste“, nein, er ist der Gebildetste. Das Wichtigste ist für mich wie gesagt, dass jetzt Sicherheit und Gewaltfreiheit herrschen, und die Ereignisse im Januar waren sowohl moralische als auch physische Gewalt. Ohne das harte Durchgreifen hätte diese Menschenmenge nicht aufgehalten werden können. Nur durch diese schwierige Entscheidung war es möglich, die Gewalt gegen unsere Bürger zu beenden.