Es ist ein Novum: Kasachstan eröffnet einen eigenen Pavillon auf der 59. Biennale in Venedig. Das Land wird vertreten vom interdisziplinären Kollektiv ORTA, das sein Schaffen dem sowjetischen Künstler Sergej Kalmykow widmet. Unsere Autorin erläutert, wie Kasachstan dazu ankam.

Kasachstans Weg zur ältesten Prestigeausstellung für zeitgenössische Kunst nimmt seinen Anfang im Jahr 2005. Damals nahmen kasachstanische Künstler an der Biennale im Rahmen des zentralasiatischen Pavillons teil. Den Pavillon organisierte die Galerie „Kurama Art“ aus Bischkek mit der Unterstützung von kirgisischen Mäzenen. Schon bei der nächsten Biennale zwei Jahre später war es mit Julia Sorokina eine Kasachstanerin, die den zentralasiatischen Pavillon koordinierte.

2011 stellte das Kuratorium die Legitimität des Pavillons in Frage. Deswegen war die darauffolgende Ausstellung die letzte, auf der die zentralasiatische Kunstwelt gemeinsam auftrat. Parallel dazu präsentierte auf jener 55. Biennale die International Art Development Association (IADA) die erste Ausstellung für zeitgenössische Kunst Kasachstans unter dem Titel „ONE STEP/PE FORWARD“. 2017 waren Elena und Viktor Worobjow die ersten Künstler aus Kasachstan und Zentralasien, die am Hauptprogramm der Biennale teilnahmen.

Die offiziellen Behörden Kasachstans sträubten sich, die Künstler zu unterstützen. Deswegen organisierten die IADA und die Eurasian Cultural Alliance 2015 selbstständig einen „unsichtbaren Pavillon“ und einen „Pavillon mit beschränkter Haftung“. Erst 2017 gab das Nationalmuseum Kasachstans bekannt, einen eigenen Pavillon zu organisieren, aber das blieb zunächst nur eine Ankündigung.

2018 schickte der ehemalige Minister für Kultur und Sport Arystanbek Muchameduly einen Brief an den Präsidenten der Biennale über die Pläne Kasachstans, an der Biennale im Folgejahr teilzunehmen. Daraus wurde aber nichts – das Nationalmuseum hatte die erforderlichen Mittel nicht im Budget eingeplant. Darüber hinaus wechselte das Kulturministerium die Kuratoren des Pavillons ohne deren Benachrichtigung oder Zustimmung.

ORTA und Kalmykow

Die 59. Biennale Venedig findet nun vom 23. April bis 27. November 2022 statt. Das Thema dieses Jahres lautet „Milk of Dreams“, nach dem Kinderbuch der Surrealistin Leonora Carrington. Auf einer Pressekonferenz im Februar wurde bekannt gegeben, dass Kasachstan das interdisziplinäre Kollektiv ORTA vertreten wird, dem Alexandra Morosowa, Rustem Begenow, Daria Dschumelya, Alexander Bakanow und Sabina Kuangalijewa angehören. Sie sind gleichzeitig die Kuratoren des Pavillons. Die Künstler erschienen vor den Journalisten mit Roboterköpfen aus Pappe.

Das Team des kasachischen Pavillons

In den letzten fünf Jahren hat das Team aktiv das Erbe des Künstlers und Schriftstellers Sergej Kalmykow studiert, der bei seinem Tod 1967 noch unbekannt war. ORTA errichtete mehrere Installationen, die Kalmykow gewidmet waren, und veröffentlichte zusammen mit dem Verlag „Vlast“ das erste Buch mit seinen theoretischen Entwicklungen. Auf der Biennale präsentieren die Künstler eine Hommage an Kalmykow. Einzelheiten über die Ausstellung des kasachischen Pavillons und Auftritte von Künstlern werden nicht bekannt gegeben. Ein wichtiger Teil des Projekts ist das Parallelprogramm in Kasachstan – eine Veranstaltungsreihe, die während der Biennale in Venedig in sieben Städten Kasachstans stattfinden wird.

Die Kuratorin des kasachischen Pavillons Meruert Kalijewa ist auch die Gründerin der Aspan-Galerie in Almaty. Die Auswahl von Künstlern und Kuratoren erklärt sie folgendermaßen: «Ich habe das ORTA seit drei, vier Jahren kennengelernt und war sehr beeindruckt. Nach ihrer Performance in meiner Galerie wagten wir, das Risiko einzugehen und den Pavillon auf der Biennale zu organisieren. Es gab keine Zeit für einen offenen Aufruf. Außerdem gibt es keine bestimmte Formel, wie das Auswahlverfahren aussehen muss. Mit dem neuen Minister für Kultur und Sport besprachen wir die Möglichkeit, einen Sonderrat für die Auswahl der künftigen Teilnehmer zu schaffen.“

Diskussion um politisches Engagement

Bei der Biennale haben 29 Länder ihre eigenen Pavillons auf dem Gelände der Giardini, aber die Gesamtzahl der teilnehmenden Länder auf der vorigen Ausstellung belief sich auf 90. Wer keinen Pavillon hat, kann Räumlichkeiten in ganz Venedig mieten. Kasachstans Pavillon heißt Spazio Arco und hat den Zugang zum Kanal in unmittelbarer Nähe der V-A-C Foundation in Dorsoduro.

Die Kuratorin der Hauptausstellung der diesjährigen Biennale ist Cecilia Alemani, die erste Italienerin auf diesem Posten. Sie beabsichtigt, den Künstlern Stimme und Möglichkeit zu geben, ihre Vision und unsere Gesellschaft widerzuspiegeln. Auf der Pressekonferenz im Februar wurde heftig darüber diskutiert, inwieweit Künstler politisch aktiv sein müssen, und ob das ORTA die Januar-Ereignisse in ihre Ausstellung miteinbeziehen würde. Die Teammitglieder sagten, es sei zu früh, über die Unruhen im Land zu reflektieren. Außerdem werde das Ausstellungsprogramm im Voraus geplant und könne nicht geändert werden. Die Diskussion fasste Rustem Begenow philosophisch zusammen: „Man kann auf die Barrikaden oder in die Bibliothek gehen. Besser ist aber, zum Fluss zu gehen und das Wasser anzuschauen.“

Ein Skandal bei den Nachbarn

Kirgisistan und Usbekistan nehmen an der diesjährigen Biennale auch zum ersten Mal mit eigenen Pavillons teil. In Kirgisistan erfolgte die Ankündigung der Künstler allerdings nicht ohne Skandal. Das Land wird vertreten vom iranischen Künstler Firouz Farman Farmaaian mit seinem Werk „Gates of Turan“. Als Kuratorin wurde Janet Radi aus Großbritannien eingeladen, die Kommissarin des kirgisischen Pavillons ist die stellvertretende Kulturministerin Saltanat Amanowa.

Die Kunstmanagerin Aida Sulowa bezeichnete diese Zusammensetzung der kirgisischen Delegation als einen kurzsichtigen Fehlgriff des Kulturministeriums. „Private Unternehmen sponsern den Bau von Kunstzentren, Co-Working-Spaces und Stätten für die kulturelle Entwicklung unserer Gesellschaft. Handwerker jeden Alters verlassen ihre Komfortzone und lernen alles, was sie brauchen, um zu lernen, wie sie ihre Produkte verkaufen. Wozu? Damit das Ministerium später einen ausländischen Künstler, den niemand im Land kennt, als Gesicht des künstlerischen Ausdrucks des ganzen Landes präsentiert? Warum denken wir, dass alles, was importiert wird, besser ist als unser Eigenes?“, schreibt sie unter ihrem Facebook-Profil.

Bei den anderen Nachbarn sieht es ganz anders aus. Die usbekische Künstlerin Saodat Ismailowa nimmt an dem Hauptprogramm der Biennale teil, sie wurde von Cecilia Alemani selbst eingeladen. Wie das ORTA-Kollektiv kann auch sie die Einzelheiten ihres Werkes nicht enthüllen. Bekannt ist aber, dass ihre Videoinstallation Leinwände mit usbekischer Stickerei einschließt, und das Zentralthema der magischen Bedeutung der Zahl 40 gewidmet ist. Den nationalen Pavillons Usbekistans vertreten Charlie Tapp und Abror Zufarov aus dem Zentrum für moderne Kunst CCA Lab. Das Thema ihrer Ausstellung lautet „Dixit Algorizmi: Garden of Knowledge“.

2021 wurde bereits die Biennale für Architektur erstmals von einer usbekischen Ausstellung unter dem Titel „Mahalla: Urban Rural Living“ erobert. Für die Recherche dieser Art der gesellschaftlichen und räumlichen Organisation wurden damals die beiden Schweizer Architekten und ETH-Professoren Emanuel Christ und Christoph Gantenbein eingeladen.

Aizere Malaisarova

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