Nach der Wahl in Deutschland geht es nun um die Frage, wer künftig in welcher Konstellation koalieren wird. Die Blicke richten sich dabei vor allem auf Grüne und FDP, die als Königsmacher für den kommenden Regierungschef gelten. Dabei treten große Unterschiede zutage, aber auch Gemeinsamkeiten – vor allem in der Außenpolitik.

Die Bundestagswahl in Deutschland ist gelaufen, und klar ist: Nichts ist klar. Welche Koalition am Ende regieren wird – bislang völlig offen. Nach der schweren Wahlniederlage der Union mit dem schwächsten Ergebnis der Parteigeschichte liegt der Auftrag zur Regierungsbildung nun zunächst bei der SPD, die stärkste Kraft wurde. Als Königs- oder im gegebenen Fall Kanzlermacher gelten aber die Wahlsieger aus der zweiten Reihe: Christian Lindners FDP und die Grünen um ihre Doppelspitze Robert Habeck und Annalena Baerbock. Sie beide wurden insbesondere von Jungwählern bevorzugt, denen die Themen Freiheit oder Klimaschutz besonders unter den Nägeln brannten. So ist die FDP bei Erstwählern sogar stärkste Partei geworden – knapp vor den Grünen.

CDU mit sich selbst beschäftigt

Dass eine Koalition ohne Grüne und FDP gebildet werden kann, ist höchst unwahrscheinlich – wenn man sich die CDU, die 16 Jahre die Kanzlerin gestellt hat, nicht als Juniorpartner in einer neuen, für beide Partner durchaus ermüdenden Großen Koalition vorstellen will. Gemäß der politischen Farbenlehre kommen ansonsten nur Dreierbündnisse infrage – ein Trend, bei dem Deutschland letztlich vielen europäischen Staat folgt.

Am wahrscheinlichsten erscheint aktuell eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Nicht nur, weil die SPD am Sonntag die meisten Stimmen holte und mit ihr auch die Grünen diese Variante bevorzugen. Sondern auch, weil die CDU bei der Aufarbeitung des Wahldesasters momentan so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, dass FDP-Vize Wolfgang Kubicki am Dienstag in Frage stellte, ob es dort überhaupt einen starken Ansprechpartner gebe, mit dem man über eine Jamaika-Koalition verhandeln könne. Das schwarz-grün-gelbe Bündnis wird von Union und FDP bevorzugt.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Grünen und FDP

Klar ist: Besonders FDP und Grüne liegen bei vielen Themen meilenweit auseinander. So haben die Liberalen im Wahlkampf betont, dass Steuererhöhungen für sie eine rote Linie seien. Sowohl Grüne als auch SPD streben indes genau das an – weshalb SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans sich noch am Montag zu der Bemerkung hinreißen ließ, die FDP betreibe finanzpolitisches „Voodoo“. Das Pikante daran ist, dass die FDP – gleich in welcher Koalition – genau auf das Finanzministerium Anspruch erhebt.

Auch mit Blick auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit liegt man weit auseinander. Während etwa die Grünen für den gesetzlichen Mindestlohn und mehr Hartz IV plädieren, will die FDP den Kündigungsschutz lockern. Und dann ist da noch der Klimaschutz, den die Grünen eher mit mehr Staat, die FDP dagegen mit weniger gestalten wollen. Und so verwundert es nicht, dass im Zuge der aktuellen Vorsondierungen zwischen FDP und Grünen Robert Habeck anmerkte, hier träfen Welten aufeinander.

Dass auch die Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis vor vier Jahren vor allem an Differenzen zwischen Liberalen und Grünen zerbrachen, sollte allerdings nicht über die inhaltlichen Schnittmengen hinwegtäuschen, die es zwischen beiden fraglos ebenso gibt. Beide treten für mehr Tempo bei der Digitalisierung ein und sehen sich als Parteien für die Stärkung der Bürgerrechte. Außenpolitisch stehen beide für eine kritischere Haltung gegenüber Moskau und Peking, wollen in diesem Kontext vor allem auch Menschenrechtsfragen stärker in den Mittelpunkt stellen, und sehen das EU-Investitionsabkommen mit China kritisch. Ende Mai überraschte Grünen-Chef Robert Habeck die eigene Partei, als er Waffenexporte für die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland forderte.

Frankreich in Sorge vor langer Hängepartie

In Europa blickt man derweil mit Skepsis auf das Wahlergebnis in Deutschland, das eine lange Phase des Wartens auf eine neue Regierung erahnen lässt. Vor allem Frankreich ist hier besorgt, da es sich gerade auf die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet und dabei von Deutschland in einer solchen Phase wenig Unterstützung erwarten kann. Die Sorge ist, dass sich die Koalitionsbildung bis ins kommende Jahr hineinziehen könnte.

Eine so lange Hängepartie will man beim Wahlsieger SPD unbedingt vermeiden. So drängte Fraktionschef Rolf Mützenich bereits am Dienstag in der Fraktionssitzung auf schnelle Gespräche mit Grünen und FDP. Beide seien eingeladen worden, mit uns, wenn sie wollen, auch in dieser Woche bereits Sondierungsgespräche zu führen“. Zuvor wollen allerdings die beiden Adressaten ihr Verhältnis zueinander klären. Immerhin: Ein Instagram-Selfie mit den gelb-grünen Verhandlungsführern von Dienstagnacht zeigt, dass die „Zitrus“-Sondierungen bereits einen Tag früher begonnen haben als ursprünglich erwartet.

cstr.

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