Deutsches Trauerspiel der Extraklasse Armes Deutschland. Erst eine Wahl, die keine klaren Mehrheitsverhältnisse schafft. Dann eine Koalition, die schon auseinanderfällt, bevor sie überhaupt noch steht. Nicht einmal drei Wochen nach Beginn der Bauarbeiten für eine große Koalition sind der Bundeskanzlerin in spe, CDU-Chefin Angela Merkel, die zwei wichtigsten Stützen dieser vermeintlich stabilen Konstruktion abhanden gekommen. Der eine, Franz Müntefering, will nicht mehr Vorsitzender der SPD sein. Und der andere, CSU-Chef Edmund Stoiber, ist plötzlich draufgekommen, dass er nun doch lieber bayerischer Ministerpräsident bleibt, statt Bundeswirtschaftsminister zu werden. Am besten wäre es, das schwarz-rote Projekt gleich vor dem Anpfiff abzublasen und Neuwahlen anzusetzen. Denn was sich derartig dilettantisch anlässt, kann kein gutes Ende nehmen. In der Union mag es zwar den einen oder anderen Hasardeur geben, der gerne die Neuwahl-Karte zöge. Doch wer die Chancen nüchtern abwägt, weiß: Mit Merkel als Spitzenkandidatin ist der schwarz-gelbe Jackpot nicht zu holen. Schließlich könnte die SPD derzeit noch ihre Wahlkampfmaschine Schröder aus der Garage holen. Wobei auch die Sozialdemokraten nach der Galavorstellung der letzten Tage damit rechnen müssten, massenhaft Stimmen an die Linkspartei zu verlieren. Nein, zu Neuwahlen wird es nicht kommen. Zu groß ist die Angst vor der Rache der genervten Bürger. Und auch die schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition, nach der nun die FDP ruft, ist keine Option; die Grünen haben einfach keine Lust auf die Reise nach Jamaika. Und Rot-Rot-Grün? Auch wenn nach der Demontage Münteferings Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der SPD-Führung erlaubt sein müssen: Kein verantwortungsvoller Sozialdemokrat, der halbwegs bei Trost ist, ginge ein Bündnis mit den Marx-Brothers Gysi und Lafontaine ein. Bleibt als einzige Verlegenheitslösung – wie gehabt – die große Koalition. Merkel ist auch ohne Müntefering und Stoiber zur Elefantenhochzeit verdammt. Eine lange Lebensdauer dürfte dem Zweckbündnis aber kaum beschieden sein. Schon unter rot-grünen Vorzeichen hatte SPD-Bundeskanzler Schröder größte Mühe, die Parteilinke auf Reformkurs zu halten. Deren Quertreiberei war der Hauptgrund, weshalb er im Februar 2003 entnervt zu Gunsten Münteferings auf den Parteivorsitz verzichtete. Und auch als Schröder heuer seinen Wunsch nach vorgezogenen Wahlen begründen musste, bezog er sich auf die Bremsspur der linken SPD-Truppe: Er könne sich der parlamentarischen Unterstützung nicht mehr sicher sein, hieß es. Es ist nicht zu erwarten, dass die SPD-Linke einer CDU-Bundeskanzlerin freudiger folgt als Schröder. Heftige interne Richtungsstreitigkeiten sind programmiert. Die Wahl der Linksauslegerin Andrea Nahles zur Generalsekretärin und der dadurch ausgelöste Rücktritt Münteferings waren nur ein Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen. Wer immer zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählt wird, es wird ihm noch schwerer als Müntefering fallen, die Partei zusammenzuhalten. Denn keiner der Kandidaten ist auch nur annähernd so beliebt und verankert in der Partei wie der Sauerländer. Die SPD hat es seit Jahren versäumt, Klarheit über ihre inhaltliche Ausrichtung zu finden. Die Partei hatte Slogans, aber keine Konzepte, als sie 1998 an die Macht kam. Und als Schröder  viel zu spät  die bittere Realität erkannte und die Agenda 2010 verkündete, folgte die Sozialdemokratie nur missmutig, nicht aus Überzeugung. Mit seinem fulminanten Wahlkampf hat Schröder die Orientierungslosigkeit der SPD ein letztes Mal überdeckt. Jetzt, da die Partei auch noch kopflos ist, wird der Richtungskampf voll ausbrechen. Merkel kann sich auf einiges gefasst machen. Denn Nahles & Co. werden mit aller Macht versuchen, die Partei nach links zu ziehen. Ihr stärkstes Argument: Die SPD ist gezwungen, der Linkspartei das Wasser abzugraben. Es wäre die große Chance für die Union gewesen, sich in den Berliner Chaostagen als Stabilitätsanker zu erweisen. Doch einer wollte wieder einmal nicht mitspielen, der Kapitän aus München. Stoiber nützte Münteferings Rückzug als Gelegenheit, um schnell noch selbst von Bord der großen Koalition zu gehen. Um die Groteske perfekt zu machen, fehlt eigentlich nur noch, dass auch Merkel abserviert wird. Deutschland wäre glücklich, wenn es sich das Trauerspiel der Extraklasse, das derzeit in Berlin gegeben wird, leisten könnte. Kann es aber nicht.

(www.diepresse.at)

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