Ein Kloster ist etwas für alte Menschen. Da leben Ordensleute, die in einer Art gleichgeschlechtlicher Wohngemeinschaft in kleinen Kammern wohnen, mehrmals täglich beten, in großen Speisesälen essen und meistens andächtig schweigen. Das denken wohl die meisten. Anders sieht das Leben im Kloster der Kanisius-Schwestern in Fribourg in der Schweiz aus. Dort sind zehn Studentinnen zu Hause – und das ganz ohne Nonnenrock, Selbstkasteiung und fleißiges Beten.

Fünf Gehminuten entfernt von der Universität „Miséricorde” steht das Kloster der Freiburger Kanisius-Schwestern. Mitten in jenem Quartier, in dem gepflegte Gartenanlagen Häuser mit ausladenden Giebeln vor dem Lärm der Straße bewahren. Hier liegt das mattgelbe, rechteckige Klostergebäude, an dessen Fassade Wind und Wetter ihre Spuren hinterlassen haben, im Schatten der St. Peterskirche. Auf dem silbrigen Briefkasten steht „Foyer Kanisius”, ein Wohnheim also. In der milchglasscheibigen Eingangstür erscheint ein Schatten, der größer und größer wird. Und just vor dem Eintreten in das heilige Heim dröhnt vom Kirchenturm her noch ein Glockenschlag, gerade so, als wolle er einem noch ein letztes Mal den Mahnefinger zeigen.

Jeans statt Soutane

„Ach, es schlägt gerade halb sieben”, erklärt die junge Frau, die unter dem Türrahmen im hellen Licht erschienen ist. Sie trägt Jeans und keine Soutane, ihre schulterlangen braunen Haare sind so offen wie ihr Lächeln. Denise ist keine Nonne, sondern studiert in Fribourg Religionswissenschaften und Pädagogik. Im Wohnheim des Kanisius-Klosters mietet sie ein Zimmer. „Ich arbeite und wohne eigentlich in Zürich und für die vier Tage, die ich in Fribourg bin, ist das Wohnheim für mich optimal”, erzählt sie von ihren durchaus weltlichen Erwägungen, hier einzuziehen.

Die Gänge des Klostertrakts sind leer. Menschenleer. Am Ende eines Ganges steht ein einzelner grüner Ledersessel. Ab und zu trifft man auf ein verblasstes Schild mit einem „Gott-liebt-Dich,-weil…-Spruch”. Einzig das gesprenkelte Muster des spiegelglatten Steinbodens bietet etwas Abwechslung. Im Treppenhaus hängt einsam ein bleiches Stoffgewebe. Irgendwo schreit ein kleiner Wandteppich nach Aufmerksamkeit.

Das Foyer, ein Wohnheim für Studentinnen, wurde in den 70er Jahren erbaut und ist durch einen gläsernen Gang mit dem Wohntrakt der Nonnen verbunden. Nur eine Ordensschwester hat ihr Zimmer im Foyer, es ist die Leiterin, Schwester Mirjam. Mit eiserner Hand führt sie Regie im Frauenhaus und mahnt die Bewohnerinnen stets zur Stille, spätestens aber nach zehn Uhr abends. Sie sieht es nicht gerne, wenn Männer in ihr Reich eindringen. Zimmer und Küche sind für männliche Besucher sowieso tabu und Rauchen ist auch verboten. Aber Denise erklärt: „Schwester Mirjam ist eben zur Zeit gerade in den Ferien. Ist die Katze aus dem Haus, dann tanzt die Maus.” Und die Mäuse sind in diesem Falle neun weitere Studentinnen, die in den Zellen des Foyers wohnen. Jede dieser Zellen trägt ein mit zittriger Schrift beschriebenes Namensschild.

Tief über Denises Bett im Zimmer hängt ein schlichtes Kreuz. Es gehört zur Standardausrüstung. Genauso wie das schmale Holzbett, ein hölzernes in die Jahre gekommenes Pult und ein kleines Gestell, auf dem die Bibel Pädagogikbüchern weichen musste. Das Waschbecken versteckt sich in einem der drei Einbauschränke. Dusche und Toilette befinden sich auf dem Gang. Die knallrote Bettwäsche lässt die grauen Tapeten bleich erscheinen und auf dem Pult steht verlassen ein Notebook. Bilder gibt es keine in Denises Zimmer. Sie kennt die Klostermentalität: „Als Kind habe ich einmal für kurze Zeit in einem Internat gelebt, das von Nonnen geführt wurde. Aber die waren damals richtig streng. Das hier ist natürlich kein Vergleich.”

Immer was los im Kloster

Aus der Küche riecht es ein wenig verbrannt. Weiße Handtücher hängen dort an einem ausziehbaren Halter. Mit rotem Zwirn ist eine Initiale auf die Tücher gestickt. Zwischen Herdplatte und Einbauschrank lugt das spitze Gesicht einer jungen Frau hervor. „Das ist Mela”, stellt Denise ihre Mitbewohnerin vor, die gerade die aufgewärmten Teigwaren aus der Mikrowelle nimmt und zu den Spiegeleiern kippt. Mela ist quirlig, 21 und studiert Medizin. Sie wird nach zwei Jahren ihr Studium in Basel fortsetzen und meint: „Ich hatte vor Studienbeginn einfach keine Zeit, mir eine WG zu suchen und war froh, dass ich hier einziehen konnte. Es ist immer etwas los mit zehn Studentinnen. Und wenn ich in Ruhe lernen will, gehe ich einfach auf mein Zimmer.” Von Ambitionen auf ein späteres Klosterleben keine Spur. Denise ergänzt: „Obwohl es hier im Foyer sicher ruhiger zugeht, als an anderen Orten, ist die Atmosphäre doch nicht anonym. Es ist zudem zentral gelegen und billig obendrein.“
Gerade mal 300 Franken kostet ein Zimmer im Monat, Putzfrau und Stromkosten inklusive. Bezahlt wird bar und quittiert von Hand durch Schwester Mirjam. Die sucht sich ihre Schäfchen übrigens höchstpersönlich aus. „Sie hat mir erzählt, sie könne schon am Telefon entscheiden, ob jemand ins Foyer passt, oder nicht”, verrät Mela.

Unterdessen haben sich Sophie und Silvia in der Küche ausgebreitet. Die zwei Walliserinnen sind gerade von einem Erasmus-Jahr zurückgekommen. Sophie brät „Fotzelschnitten”. Die vier Frauen essen und reden und kichern und Mela fragt plötzlich, ob jemand jeweils morgens um sieben Uhr zur Messe in die hauseigene Kapelle gehe. Silvia und Sophie bejahen, doch mehr ist nicht zu erfahren. Nur Denise sagt: „Ich bin schon mal mitten in der Nacht rübergegangen. Ein spezielles Erlebnis, diese Totenstille in der Kapelle.”

Die Kapelle befindet sich auf der anderen Seite des Ganges, im Wohntrakt der Nonnen. Ein Mann ohne Priesterweihe darf hier außerhalb der Gottesdienstzeiten nur mit besonderer Erlaubnis rein. Schwester Juliana, die Leiterin des Klosters, übernimmt gerne die kleine Führung. Seit 50 Jahren ist die gebürtige Baslerin bereits in Fribourg und kümmert sich als eine der Jüngsten der übrig gebliebenen 25 Ordensschwestern um die Verwaltung und Administration des Klosters. Ihre überdimensionale Drahtbrille ist mit durchsichtigen Gummihaltern bestückt, die ihren Nasenrücken links und rechts säumen. Das lange, grauweiße Haar schaut demütig unter der Kopfhaube hervor, und ihr grauer Rock hat eingebügelte Falten. Sie schreitet voraus, bestimmt, aber nicht energisch. Im Nonnentrakt hängt eine matt glänzende Glocke an einem brüchigen Lederriemen „Ja, die läuten wir jeweils zur Messe”, bestätigt Schwester Juliana mit einem gutmütigen Lächeln. Neben der Glocke hängt ein schwarzer, blinkender Plastikkasten, aus dem einige Kabel hervorkommen und an der weiß getünchten Wand entlang in einem Zimmer verschwinden. Auch das Kanisius-Kloster ist online.

Die Nonnen seien zwischen 65 und 93 Jahre alt, sagt Schwester Juliana und erzählt: „Im Jahre 1898 hat unser Orden damit begonnen, den deutschen Mädchen zu helfen, die nach Fribourg kamen, um französisch zu lernen. Wenn diese mit ihrer Gastfamilie Probleme hatten, boten ihnen die Kanisius-Schwestern Unterschlupf.” Der Bau des Foyers in den 70er Jahren sollte eigentlich dazu dienen, jung und alt zusammenzubringen, erklärt Schwester Juliana. Wenn das Kloster schon seit gut 40 Jahren keinen Neueintritt mehr hatte, so wollte man doch wenigstens junge Laien im Klostergebäude einquartieren. Schwester Juliana schaut ein wenig wehmütig drein. „Manchmal ist es etwas bedrückend mit all den alten Frauen. Ich würde gerne mit jungen Leuten arbeiten”, gesteht sie. „Aber es gibt eben niemanden Jüngeren unter uns, der die Verwaltungsaufgaben übernehmen kann.” Auf die strikten Hausregeln ihrer Mitschwester und Leiterin des Foyers angesprochen, gesteht sie: „Manchmal frage ich mich, ob Schwester Mirjam nicht zu streng ist mit den Mädchen. Sie erklärt dann, die Eltern würden sich das wünschen, und wem das nicht passe, der bleibe sowieso nicht lange hier.”

Und die Nachfrage scheint es zu bestätigen: Etwa dreimal könnten sie das Haus füllen, so viele interessierte Studentinnen gäbe es, meint Schwester Juliana.

Denise und Mela sitzen bereits im Fernsehzimmer im Keller. „Normalerweise streckt Schwester Mirjam routinemässig ihren Kopf ins Zimmer, schaut, was im Fernsehen läuft, und mahnt schon mal präventiv, wir sollen nicht zu laut sein”, scherzt Mela von der grünen Couch aus. Doch eigentlich haben die Bewohnerinnen des Foyers ihre Freiheit. Jede hat einen Schlüssel für die Haustür und nur am Dienstag wird zusammen gegessen.

Schwester Juliana, die Junggebliebene

Es ist spät geworden. Schon gestern habe ihr eine Schwester gesagt, es sei bereits zum dritten Mal in Folge ein Herr im Foyer zu Besuch gewesen, sagt Schwester Juliana und lächelt verlegen. „Ich persönlich habe nichts dagegen, dass auch Männer hier sind, schließlich wohnen ab und zu auch männliche Gäste im Foyer.” Aber Übernachten in den Zimmern der Studentinnen ist den Herren untersagt. „Man würde wahrscheinlich das Foyer verlassen müssen, wenn Schwester Mirjam dahinterkäme”, deutet Mela an. Obwohl: „Eine Studentin schafft es immer wieder, ihren Freund auch über Nacht hier zu behalten. Und am morgen kann dann ja niemand mehr etwas bemängeln.”

An der Eingangstür angelangt, verabschiedet sich Denise. Dann fällt die Tür ins Schloss, und die Frauenwelt ist wieder unter sich. Draußen schlägt die Kirchenglocke zur vollen Stunde.

Von David Kunz

03/02/06

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