Jamshid Normatov forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität für Weltwirtschaft und Diplomatie in Taschkent, Usbekistan. In seinen Arbeiten widmet er sich den Bereichen wirtschaftliche Transition, Finanzmarktregulation und Internationale Ökonomie mit einem Fokus auf Zentralasien. Wir haben mit ihm über die EAWU und die Aussichten für Usbekistan gesprochen.
Herr Normatov, seit dem Tod des Präsidenten Islam Karimow vor vier Jahren erlebt Usbekistan eine große Liberalisierung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Was hat die Regierung von Karimows Nachfolger, Shavkat Mirziyoyev, innerhalb des Landes bereits verändert und was ist seine Intention?
Tatsächlich hat der neue Präsident Shavkat Mirziyoev ehrgeizige Reformen im politischen und wirtschaftlichen Bereich eingeleitet. Politisch wurde das Land offener. Insbesondere die Redefreiheit wurde verbessert und die Rolle unabhängiger Medien in der Gesellschaft gestärkt. Die Menschenrechtslage hat sich zudem verbessert. Wirtschaftlich hat Usbekistan wichtige Reformen in den Bereichen Währung, Steuern und anderen eingeleitet. Im Jahr 2017 wurde die Währungsreform durchgeführt, um das Devisensystem zu liberalisieren. Dies führte zu einem deutlichen Anstieg der Geschäfts- und Wirtschaftstätigkeit im Land. 2019 wurde die Steuerreform umgesetzt, um ein unternehmensfreundliches Umfeld zu schaffen. Die Regierung plant in den kommenden Jahren Agrar- und Finanzreformen. Usbekistan unternahm aber auch Schritte zur Öffnung für die Welt – das Land verpflichtete sich somit, seine Beziehungen zu den Nachbarn zu verbessern und seinen Beitrittsprozess zur Welthandelsorganisation (WTO) wieder aufzunehmen.
Trotz dieser Erfolge hat das Land noch einen langen Weg vor sich, um sich in eine effiziente Marktwirtschaft und Demokratie zu verwandeln. Die ersten wichtigen Schritte dahin müssen durch weitere entscheidende Transformationen vorangetrieben werden, um diesen Fortschritt dauerhaft und unumkehrbar zu machen.
Nach den jüngsten Erklärungen politischer Entscheidungsträger plant Usbekistan auch, der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) als Beobachter beizutreten. Welche Vorteile erwartet Usbekistan durch eine engere Zusammenarbeit mit der EAWU?
Die EAWU-Länder (Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Russland) sind ein wichtiges Ziel für usbekische Exporte und Importe. Etwa 30 Prozent des Außenhandels Usbekistans entfallen dabei auf die EAWU. Die EAWU-Länder sind darüber hinaus ein wichtiges Ziel für usbekische Arbeitsmigranten, welche eine enorme Einkommensquelle in Höhe von etwa 15 Prozent des usbekischen BIPs darstellen. Die Mitgliedschaft in der EAWU würde es Usbekistan ermöglichen, den Marktzugang für seine Exporte zu sichern und den Schutz seiner in den EAWU-Ländern tätigen Bürger zu verbessern sowie das Volumen der Überweisungen nach Usbekistan zu steigern. Zu anderen Vorteilen als der wirtschaftlichen Integration könnten ein verbessertes Unternehmensumfeld und diverse Spillover-Effekte (wie etwa in der Zusammenarbeit bei Bildung, Wissenschaft und Technologieentwicklung) gehören.
Wie würden Sie den Charakter der EAWU anhand politischer, wirtschaftlicher, verwaltungspolitischer Aspekte und ihrer Abhängigkeit von Russland beschreiben?
Die EAWU wird manchmal als politischer Block Russlands zur Wiederherstellung der Sowjetunion bezeichnet. Das ist nicht korrekt. Die EAWU ist eine wirtschaftspolitische Organisation mit supranationalem Charakter, die der Europäischen Union mit einer ganz ähnlichen institutionellen Struktur nachempfunden ist. Die EAWU hat einen gemeinsamen Binnenmarkt mit einem freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Kapital sowie der Aufrechterhaltung gemeinsamer Außenzölle gegenüber Drittländern. Die Entscheidungsfindung in der Organisation basiert auf einem Konsens oder auf qualifizierter Mehrheit, was es für ein Land schwierig, wenn nicht gar unmöglich macht, seine Interessen auf Kosten anderer Mitglieder durchzusetzen. Ein Beispiel ist derzeit das russische Embargo für verschiedene EU-Produkte. Trotz gemeinsamer Außenhandelspolitik haben sich andere EAWU-Länder dem russischen Einfuhrverbot nicht angeschlossen. Tatsächlich ist die EAWU derzeit keine geeignete Plattform, um politische Ziele zu verfolgen.
Allerdings ist sie in technischer Hinsicht stärker von Russland abhängig als von anderen Mitgliedern. Russland ist die größte Volkswirtschaft der Union, was eine bessere Verhandlungsmacht bei den Verhandlungen zwischen den Mitgliedern ermöglicht. Dass der Standort der Eurasischen Wirtschaftskommission als Entscheidungsorgan der EAWU in Moskau ist, könnte möglicherweise auch für Russland einen Vorteil bedeuten.
Warum will Usbekistan Beobachter in der EAWU und (noch) nicht Vollmitglied werden?
Offenbar ist Usbekistan schlichtweg nicht bereit für eine Vollmitgliedschaft. Das Land gehörte bis vor kurzem zu jenen Volkswirtschaften, deren Märkte gänzlich verschlossen für ausländische Investoren waren. Die Wirtschaft Usbekistans liegt in Bezug auf Marktreformen und wirtschaftliche Offenheit hinter den EAWU-Ländern. Mit Ausnahme von Belarus sind alle Länder der EAWU zudem Mitglieder der WTO. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte es für Usbekistan eine Herausforderung sein, kurzfristig die EAWU-Standards zu erfüllen. Somit wurde der Beobachterstatus offenbar als Übergangsphase zur Vollmitgliedschaft gewählt.
Usbekistan steht im Zuge der Marktöffnung vor mehreren Problemen, da seine Wirtschaft nicht lebenswichtig genug ist, um auf dem Weltmarkt zu überleben. Wie kann sich Usbekistan auf den globalen Märkten behaupten?
Die Welterfahrung zeigt, dass sich kein Landkreis isoliert entwickeln kann. Protektionismus führt bei langer Dauer zu Ineffizienz, Korruption und Misswirtschaft der Ressourcen und damit zu ineffizienter Wirtschaft. Eine geschlossene Wirtschaft, die wettbewerbsfähig werden will, hat keine andere Wahl, als sich langfristig zu öffnen. Der Übergang verläuft nie reibungslos und bringt manchmal schmerzhafte Reformen mit sich. In Usbekistan ist der Staat in der Wirtschaft präsent und staatliche Unternehmen dominieren in vielen Sektoren, darunter Banken, Energie, Landwirtschaft, verarbeitendes Gewerbe und andere. Diese Unternehmen sind eng miteinander verflochten, was einzelne Probleme oft auf andere Sektoren übergreifen lässt.
Beispielsweise geschehen staatliche Direktdarlehen über ihre Banken an andere staatliche Unternehmen im Energie- oder Agrarsektor verständlicherweise zu nicht marktwirtschaftlichen Konditionen und führen damit zu Marktverzerrungen. Die Öffnung der Märkte für den internationalen Wettbewerb wird ineffiziente Unternehmen an erster Stelle treffen, und die Praxis zeigt, dass die Regierung selten ein effizienter Unternehmer ist. Natürlich haben diese Unternehmen viel zu verlieren und werden eine Liberalisierung nicht begrüßen. Der Widerstand gegen Veränderungen bleibt in der einen oder anderen Form bestehen. Die große Sorge ist, wie erfolgreich die usbekische Regierung bei der Umsetzung von Reformen im wahrsten Sinne des Wortes sein wird.
Wie schätzen Sie Usbekistans Bemühungen zur Verbesserung der Nachbarschafts- und Wirtschaftspolitik in Zentralasien neben der möglichen Mitgliedschaft in der EAWU ein?
Präsident Mirziyoev hat die Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarn als eine Priorität seiner Regierung genannt. Das Land hat seine Beziehungen zu seinen Nachbarn dramatisch verbessert: Die Grenzbeschränkungen für den Warenverkehr wurden reduziert und die Visabeschränkungen für Personen aufgehoben (mit Ausnahme von Afghanistan).
Usbekistans neue Nachbarschaftspolitik passt gut zu den Reformzielen des Landes und wird ein wesentliches Element für den Erfolg der Reform sein. Die benachbarten Länder sind wichtige Handelspartner Usbekistans. Darüber hinaus braucht Usbekistan seine Nachbarn, um mit dem Rest der Welt Handel zu treiben, da das Land ein doppeltes Binnenland ist. Usbekistan ist an Transportkorridoren durch die Gebiete der Nachbarn interessiert, um seine Handelsbeziehungen zu diversifizieren und deren Umfang zu erweitern. In Zukunft können wir mehr Zusammenarbeit Usbekistans mit seinen Nachbarn erwarten, was gut für wirtschaftlichen Wohlstand, Frieden und Stabilität in Zentralasien ist.