Ein Gespräch mit Generalkonsulin Christiana Markert über die Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, ihre Bedeutung für Zentralasien und die deutsch-kasachischen Beziehungen in Zeiten von Corona.

Frau Markert, vor zwei Wochen hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Worin liegen da die Prioritäten?

Die Corona-Pandemie, die ja noch nicht vorbei ist, hat uns dazu gezwungen, unser Präsidentschaftsprogramm anzupassen. Europa erlebt die schwerste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Daher hat die wirtschaftliche und soziale Erholung Europas für uns oberste Priorität. Deutschland und Frankreich haben sehr umfassende Vorschläge gemacht für einen Fonds in Höhe von 500 Mrd. Euro zur wirtschaftlichen Erholung. Die EU-Kommission hat – um es etwas salopp zu sagen – noch einen „draufgesetzt“. Die Mitgliedstaaten in Brüssel beraten derzeit über ein Wiederaufbauprogramm mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro. Wir wollen die Arbeiten an diesem Plan unter deutscher Präsidentschaft abschließen, damit die Mittel Anfang des Jahres 2021 auch tatsächlich bereit stehen.

Wie relevant ist die Ratspräsidentschaft auch für die deutsch-kasachischen Beziehungen?

Das „Mega-Thema“ Klimaschutz, aber auch die Digitalisierung werden durch Corona natürlich nicht weniger wichtiger, ganz im Gegenteil. Laut Ansicht aller Wissenschaftler werden Zoonosen (Infektionskrankheiten, die von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbar sind, Anm. Red.) in Zukunft häufiger werden. D.h. ein achtsamer Umgang mit der Natur wird immer wichtiger. In Deutschland ist die Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, wir sollten den Einschnitt durch Corona als Chance nutzen, das globale Wirtschaftssystem nachhaltiger und ökologischer zu gestalten. Deutschland hat im Juni ein nationales Konjunkturpaket mit einer stark ökologischen Komponente verabschiedet. Vorgesehen sind beispielsweise erhebliche Investitionen in Wasserstofftechnologien.

Der neue EU-Haushalt 2021-2027, der ebenfalls während unserer Präsidentschaft verabschiedet werden muss, hat das Ziel, den Wandel unserer Volkswirtschaften hin zu mehr Klimafreundlichkeit und Digitalisierung zu unterstützen. Auch in Kasachstan genießen Umwelt- und Klimathemen inzwischen erhöhte Aufmerksamkeit, die Stadt Almaty plant eine Reihe von Umweltprojekten. Deutschland engagiert sich bereits seit langem im Bereich Klima und Wasserressourcenmanagement in Zentralasien. Im Rahmen unserer neuen Initiative „Green Central Asia“ wollen wir den Dialog hierzu auch auf europäischer Ebene mit den zentralasiatischen Außenministern im November d.J. fortsetzen.

Im Zusammenhang mit der Corona-Krise betont die deutsche Ratspräsidentschaft die internationale Verantwortung der EU. Wie haben die EU und ihre zentralasiatischen Partner bislang bei der Bewältigung der Krise zusammengearbeitet und was könnte die EU noch tun, um die Länder hierbei zu unterstützen?

Die Pandemie hat uns alle „kalt“ erwischt. Somit waren die meisten Länder am Anfang vor allem mit nationalen Gegenmaßnahmen beschäftigt, wie z.B. Grenzschließungen, die teilweise unabgestimmt waren. Deutschland ist der Auffassung, dass nur internationale Kooperation und Koordination der Schlüssel für eine wirksame globale Antwort auf Covid-19 und die sich bereits abzeichnenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen sind. Wir wollen daher auch im Rahmen unserer derzeitigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der VN und als Mitglied der G7 die Initiativen internationaler Organisationen zur Bewältigung der Krise und ihrer Folgen unterstützen. Das betrifft insbesondere die WHO, aber auch die Weltbank und den IWF. Wir setzen uns darüber hinaus für eine global gerechte Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid ein.

Im Punkt VI. des Programms zur Ratspräsidentschaft wird die weitere Implementierung der EU-Zentralasienstrategie als Ziel genannt. In welchen Bereichen ist deren Umsetzung bislang besonders gut vorangekommen und wo gibt es die größten Baustellen? Wie kann Deutschland hier im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft für neue Impulse sorgen?

Die Covid-Pandemie hat die zentralasiatischen Staaten leider hart getroffen. Somit setzt die EU-Zentralasienstrategie die richtigen Schwerpunkte: Stärkung von Resilienz und wirtschaftlichem Wohlstand, Stärkung der Kooperation der Staaten untereinander. Ich habe den Eindruck, dass diese Ziele auch von den zentralasiatischen Staaten geteilt werden. Die Strategie muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Während unserer Ratspräsidentschaft werden mit der Verabschiedung des neuen EU-Haushalts Entscheidungen getroffen, die sich auf die finanzielle Ausstattung des Ausgabenprogramms zur Umsetzung der Strategie sowie auf die EU-Asien-Konnektivitätsstrategie auswirken werden. Im neuen Haushalt soll beispielsweise die Förderung von Infrastrukturprojekten in Drittstaaten erheblich ausgebaut werden. Dies wird auch Zentralasien zugute kommen.

Die weitere Umsetzung der Konnektivitätsstrategie zwischen der EU und Asien wird ebenfalls erwähnt. Gleichzeitig haben es wir aktuell mit geschlossenen Grenzen, stillgelegten Verkehrsrouten und Rufen nach mehr Lokalisierung in der Produktion zu tun. Wie relevant ist da die Strategie noch – auch mit Blick auf deutsche Unternehmen in Kasachstan?

Trotz aller Einschränkungen, die wir derzeit beobachten, glaube ich nicht, dass die Globalisierung zurückgedreht werden kann. Wir werden sie in manchen Bereichen anders gestalten müssen. Wie ich bereits gesagt habe, müssen wir nachhaltiger und ökologischer wirtschaften, außerdem widerstandsfähiger und digitaler werden. Vor allem die digitale Transformation unserer Volkswirtschaften hat durch die Pandemie noch einmal einen ganz anderen Schub erhalten. Die kasachische Regierung strebt den Übergang zu einer modernen, digitalen Wirtschaft an, will die Entwicklung der künstlichen Intelligenz vorantreiben. Ich sehe hier gute Chancen für deutsche Unternehmen für eine enge Zusammenarbeit. Wir wollen darüber hinaus, dass die EU-Asien-Konnektivitätsstrategie zum Ausbau der Transport- und Logistiknetze in Zentralasien sowie der digitalen Datenflüsse beiträgt.

Auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit hat die deutsche Ratspräsidentschaft Ziele formuliert. Diese solle „schneller, innovativer und flexibler“ sein als bisher. Dagegen will Entwicklungsminister Gerd Müller die Zusammenarbeit mit einem Drittel der Entwicklungsländer beenden, darunter mit Kasachstan. Wie passt das zusammen?

Das deutsche Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) hat in einem rund einjährigen Strategie-und Reformprozess darüber diskutiert, wie die deutsche Entwicklungspolitik noch wirksamer und gezielter werden kann. Ergebnis war, die bilaterale staatliche Zusammenarbeit künftig auf rund 50 Partner zu fokussieren. Dies bedeutet eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit den ärmsten Ländern der Welt, den sogenannten LDCs. Kasachstan ist bereits seit 2008 aufgrund seiner positiven wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr Partnerland der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit des BMZ. In die regionalen Vorhaben der technischen Zusammenarbeit mit Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan, die den Schwerpunkt auf nachhaltige Wirtschaftsentwicklung legen, bleibt Kasachstan aber weiter eingebunden.

Plant das Generalkonsulat für die kommenden Monate Veranstaltungen oder andere Aktionen, um das Interesse an der deutschen Ratspräsidentschaft auch in Kasachstan zu fördern?

Leider sind derzeit viele unserer Pläne wegen Corona und der damit verbundenen Einschränkungen „on hold“. Wir planen daher, zunächst vermehrt online über unsere Aktivitäten im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zu unterrichten. Persönlich würde ich mich allerdings wieder sehr über „Direktkontakte“ freuen. „Online“-Formate haben natürlich auch ihre Grenzen.

Vielen Dank für das Gespräch

Die Fragen stellte Christoph Strauch.

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