Am Montag war Almaty erstmals nach fünf Tagen wieder mit dem Rest der Welt verbunden. Zumindest für ein paar Stunden. Nachdem auch die Seite der DAZ fast eine Woche lang nicht erreichbar war und kein Kontakt zu den Kollegen vor Ort bestand, konnten wir am Morgen ein paar Eindrücke über die Situation vor Ort einfangen.
Kasachstan beging den gestrigen Montag als nationalen Trauertag. Es gedachte damit der Menschen, die in der vergangenen Woche bei den anhaltenden Unruhen im Land ums Leben kamen. Wie viele es waren, bleibt bislang unklar, da es nach wie vor keine offiziell bestätigten Zahlen gibt. Von der Regierung offiziell bestätigt wurde indes, dass zum aktuellen Zeitpunkt fast 10.000 Menschen im Zuge der Einsätze der letzten Tage inhaftiert wurden.
Grundsätzlich hat sich die Situation in Almaty beruhigt. In einigen Stadtteilen halten die Einsätze der Sicherheitskräfte sowie Verhaftungen jedoch an. „Hier und da wird noch vereinzelt geschossen, es sterben unbeteiligte Personen“, berichtete ein Einwohner der Stadt am Montag. Schüsse gab es demnach sowohl in der Unterstadt als auch nahe des Zentrums; selbst auf Straßen wie der Sejfullina und Furmanova. Darüber hinaus wurde vor Ort über Verfolgungsjagden berichtet, bei denen Polizeikräfte Personen festnehmen, die Waffen im Kofferraum ihrer Pkws transportieren. An den Militär-Checkpoints an der Stadtgrenze, wo bis Sonntag noch jedes einzelne Fahrzeug kontrolliert wurde, komme es zudem vor, dass einzelne Fahrzeug aus den Schlangen ausscheren, sobald sie auf die Kontrollen aufmerksam werden, und dann von Sicherheitseinheiten verfolgt werden.
Buslinien und Bezahlsysteme wieder intakt
Ordnungskräfte waren derweil damit beschäftigt, die ausgebrannten Autowracks an den Brennpunkten der vorangegangenen Proteste zu beseitigen. Auch der abgebröckelte Putz und die Scherben, die von den Plünderungen in Geschäften künden, sind zu einem Großteil entfernt worden. Menschen waren am Sonntag und Montag bereits wieder in der Stadt unterwegs. Einige, um nachzuschauen, ob ihre Geschäfte, Bars oder Büroräume den Plünderungen der vergangenen Woche zum Opfer gefallen waren. Andere, um ein Stück Normalität nachzuempfinden und Alltagsdinge wie Einkäufe zu erledigen. „Die Menschen gehen durch die Stadt ohne Panik“, so ein Augenzeuge telefonisch.
Auch die wichtigsten Buslinien sind wieder intakt, auf den Straßen fahren Autos. Wiederhergestellt sind zudem die Bezahlsysteme etwa der Halyk-Bank und von kaspi.kz. In Supermärkten und Läden können die Nutzer unabhängig von funktionierendem Internet damit zahlen, das aber seit Dienstag offenbar vollständig wiederhergestellt ist. Am Montag noch hatte es lediglich zeitlich begrenzten Zugang gegeben, laut Einwohnern zwischen 9 und 13 Uhr kasachischer Ortszeit.
Ebenfalls wiedereröffnet wurden inzwischen die großen Einkaufszentren im Stadtgebiet und die Almatiner Börse. Am Dienstag meldete das Wirtschaftsministerium darüber hinaus, dass der Flughafen Almaty „technisch“ zur Wiedereröffnung bereit sei. Der Flughafen war während der Unruhen vergangene Woche kurzzeitig in die Hand von gewaltbereiten Protestlern gefallen.
Tokajew: OVKS-Einsatz soll zeitnah enden
Und die russischen Militärkräfte, die im Rahmen der OVKS-Mission im Land eingesetzt werden? Von denen soll in Almaty nichts zu sehen sein. Sie hätten die Aufgabe, Gefängnisse, den Flughafen und andere strategische Gebäude zu schützen, um den kasachischen Sicherheitskräften den Rücken bei ihren Einsätzen freizuhalten, so Beobachter.
Ohnehin dürfte der Einsatz der Friedenstruppen aus Russland und fünf weiteren Ländern sehr rasch enden. In einer Ansprache vor dem Unterhaus, wo am Dienstag Alichan Smailow zum neuen Premierminister Kasachstans gewählt wurde, verkündete Präsident Tokajew das Ende der „heißen Phase“ der Antiterroroperation. Die Hauptmission des OVKS-Bündnisses sei abgeschlossen. Am Donnerstag beginne der Abzug der Truppen. Dieser werde nicht länger als zehn Tage dauern.
Putin will „Farbenrevolutionen“ nicht dulden
Schon am Montag hatte Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Videokonferenz der OVKS-Staaten, an der auch Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew teilnahm, betont, dass deren Truppen nur für begrenzte Zeit im Land blieben. Man würde sie abziehen, sobald die Mission erfüllt sei. Zugleich betonte er, dass man in den Ländern des Bündnisses auch künftig keine „Farbenrevolutionen“ dulden würde. Zuvor hatten einige westliche Politiker vor einer dauerhaften russischen Militärpräsenz in Kasachstan gewarnt.
Tokajew hatte am Montagnachmittag (MEZ) auch mit dem Präsidenten des Europäischen Rats Charles Michel telefoniert. Der kasachische Staatschef informierte Michel dabei über die Situation im Land, die er als „beispiellosen Akt der Aggression“ und einen „Angriff auf unsere Staatlichkeit“ bezeichnete. Michel drückte Tokajew anlässlich des Gedenktages sein Bedauern über die Todesopfer aus und unterstrich die Bedeutung der Partnerschaft zwischen Kasachstan und der EU. Zudem betonte er die Unterstützung der EU für Souveränität, Sicherheit und Stabilität und mahnte die Einhaltung von Menschenrechten und fundamentalen Freiheiten an.