Mit der Adaption eines Gorki-Gedichtes inszeniert die Regisseurin Irina Simonowa am Deutschen Theater in Almaty ein jahrhundertealtes Sujet: die große Liebe und die Endlichkeit allen Daseins. In dem Stück „Das Mädchen und der Tod“, das auf Deutsch aufgeführt und als ein „Märchen für Erwachsene“ angekündigt wurde, entkommt eine junge Frau der Macht des Todes dank ihrer Liebe.
Die große Liebe, die den Tod besiegt. Wer diese Thematik auf einer Bühne inszenieren will, bewegt sich von vorneherein auf sehr dünnem Eis. Schnell kann die Darstellung großer Gefühle in Kitsch abgleiten, die Gefahr, in Klischees zu verharren, ist groß.
Mit dem Stück „Das Mädchen und der Tod“, das derzeit am Deutschen Theater in Almaty aufgeführt wird, scheint die Regisseurin Irina Simonowa dieser Problematik auf ihre ganz eigene Weise entgehen zu wollen.
Es werden alle Register gezogen: Die Schauspieler agieren übertrieben theatralisch, die Klangkulisse ist pompös und nimmt mit zunehmender Dramatik eine ohrenbetäubende Lautstärke an. Liebesszenen werden nicht nur angedeutet, sondern erschöpfend bis ins letzte Detail dargestellt. Minutenlang küssen sich die Darsteller, wälzen sich auf dem Boden, verschränken ihre Hände ineinander und blicken sich tief in die Augen. Als Krönung geht auf dem Höhepunkt dieser endlosen Sequenz rührseliger Liebesszenen über den Köpfen der Schauspieler gar ein Regen aus Rosenblättern nieder.
Es scheint, als versuche Simonowa den Klischees zu entkommen, indem sie sie bis ins äußerste Extrem überzeichnet. Soviel Pathos kann nicht ernst gemeint sein. Zumindest nicht nach europäischen Maßstäben. Dass jedoch die Uhren in Kasachstan auch in Bezug auf das Theater etwas anders ticken, verrät schon ein Blick in das Programmheft. Um ein „Märchen für Erwachsene“ handele es sich, um die Darstellung der „ersten und echten Liebe“, eines Gefühls, das „die ganze Welt bewegt“.
Auch die Regisseurin sieht in ihrem Stück, dessen Handlung sie dem gleichnamigen Gedicht von Maxim Gorki entlehnte, ein Loblied auf die ganz großen Gefühle, sozusagen „eine Liebeserklärung an die Liebe“.
Die Handlung ist schnell erzählt: Zwei junge Menschen finden zueinander, ihr Glück ist jedoch bedroht. Gevatter Tod, dargestellt von der sehr überzeugenden Lydia Hahn, will das Mädchen mit sich nehmen, ist jedoch von der Inbrunst, mit der sich das Paar seinen Gefühlen hingibt, überwältigt. Er entdeckt daraufhin, dass auch er ein Herz besitzt und lässt die Liebenden ziehen. Die Pointe: Der Sensenmann kann fortan nicht mehr ohne die Liebe leben und beschließt, sie zu begleiten.
Dieses Sujet, der Tod, der hinter jedem romantischen Gefühl lauert, sollte eigentlich genug Potenzial für eine überzeugende Aufführung besitzen. Schade nur, dass dieses Motiv in „Das Mädchen und der Tod“ erst ganz zum Schluss und nur sehr oberflächlich präsentiert wird.
Eher irritierend wirken auch die klamaukhaften Tanz- und Gesangseinlagen, welche die Handlung immer wieder unterbrechen. Wenn etwa der Tod zu Discoklängen und einer Lichtorgel für seine Lakaien tanzt, bietet dies zwar zunächst eine willkommene Abwechslung zu der anstrengenden Sentimentalität des Stückes, aber die Komik, die dabei entsteht, dürfte kaum freiwilliger Natur sein.
Auch die äußeren Umstände der Aufführungen im Deutschen Theater tragen ihren Teil dazu bei, dass die Inszenierung in ihrem Verlauf zunehmend befremdlich wirkt. Dass ein in russischer Sprache verfasstes Theaterstück ins Deutsche übersetzt und dann von russischen Schauspielern, die der deutschen Sprache nicht unbedingt mächtig sind, in eben dieser vorgetragen wird, ist schon ungewöhnlich genug. Dass die Dialoge jedoch über Kopfhörer wieder zurück ins Russische übersetzt werden müssen, damit die anwesenden Besucher diese auch verstehen, verleiht dem Stück eine Absurdität, die – wäre sie beabsichtigt – eine interessante Idee für ein Experimentaltheater darstellen würde.
Doch angesichts der Tatsache, dass Aussprache und Betonung der Texte den Eindruck erwecken, als würden die Darsteller kaum verstehen, was sie sagen, ist die schauspielerische Leistung beachtlich. Vor allem die beiden weiblichen Hauptrollen, Larissa Fatejewa als das Mädchen und die bereits erwähnte Lydia Hahn, zeigen immer wieder eine erstaunliche Präsenz und verleihen dem Stück in seinen guten Momenten einen gewissen Glanz. Auch das sehr reduzierte Bühnenbild steht glücklicherweise in deutlichem Kontrast zur Schwülstigkeit der Handlung.
Dass es sich bei „Das Mädchen und der Tod“ tatsächlich um ein Märchen handelt, steht also außer Frage. Ob dies jedoch nun wirklich „für Erwachsene“ geeignet ist, und ob unfreiwillige Komik und Absurdität einen gelungenen Theaterabend ausmachen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Sehenswert ist das Stück dennoch, so oder so.
Von Jan Peter
15/12/06