Zuletzt im Taxi. Es war sehr früh in der Früh. Angeblich hat ja Morgenstund Gold im Mund, was mir schleierhaft bleibt, aber da Schweigen Gold ist, passt es wiederum, wenn ich mich gülden-schweigend in der Morgenmuffelei zurückziehe. So fanden der Taxifahrer und ich in kein Gespräch, was in erster Linie an mir lag und lauschten stattdessen den anderen Gesprächen im Taxifunk, was wir nur mit Kichern, Grunzen, bejahendem oder verneinendem Grummeln kommentierten.
Dann folgende Töne: „Hier ist kein Monelli!“ rief ein Taxifahrer empört durch den Taxifunk. Die Zentrale: „Dingsbumsstraße Nummer 32.“ „Ja, bin ich ja, aber der Name steht hier nirgendwo.“ Die Taxizentrale riet: „Dann nimm irgendeinen anderen ausländischen Namen.“
Nanu, was war denn das für eine Logik?! Allmählich wurde ich wach.
Wenn ich das richtig nachvollzogen habe, sollte das heißen: Wenn der eine ausländische Fahrgast nicht da ist, nimmt man eben irgendeinen anderen Ausländer und fährt ihn irgendwohin. Hauptsache, es ist ein ausländischer Fahrgast. Womit wir sehr nahe an der Aussage wären: Ausländer sind alle gleich. Oder, Erklärungsvariante B: Ausländer rotten sich immer zusammen, denn wenn der Ausländer Molinelli nicht selber dort wohnt, wo er vom Taxi abgeholt werden möchte, hält er sich mit Sicherheit bei einem anderen Ausländer auf.
Doch der Dialog ging weiter. „Soll das ein Witz sein, hier sind alle Namen ausländisch!“ empörte sich der Taxifahrer erneut. Die Taxizentrale, die immer einen Rat wissen muss: „Dann klingel eben überall, die haben ja eh nichts zu tun.“ Alles klar! Da werden mal eben mirnichtsdirnichts ca. zehn ausländische Familien in Allerherrgottsfrühe aufgeschreckt, als gäbe es unter ihnen keine Morgenmuffel. Ein amüsiertes Grunzen meines Taxifahrers, ein empörtes Grummeln meinerseits.
Ich überlegte kurz, dass es jetzt an der richtigen Zeit wäre, Zivilcourage zu zeigen. Irgendetwas sollte ich tun oder sagen. Doch was und wie? Das Funkdingsbums an mich reißen und der Taxizentrale und den Fahrern via Funk eine Standpauke halten? Oder zumindest meinen Taxifahrer läutern? Ich muss zugeben – so auf Anhieb fehlten mir schlicht die passenden Worte und Taten.
Getreu dem Motto, wenn du nicht weißt, was du tun sollst, tu besser erst mal gar nichts, hielt ich einfach die Klappe und ruhte mich auf der Rechtfertigung aus, dass ich mit einer Standpauke nicht alle Taxiangestellten meiner Kleinstadt umerziehen könne. Auch heute, nach ein, zwei, drei Nächten Drüberschlafen, Nachdenkens und Reflektierens fällt mir kein schlagfertiger Satz ein, den ich beim nächsten Mal, gäbe es ein nächstes Mal, in den Taxifunk blöken würde. Befriedigend ist das nicht.
Zivilcourage ist gar nicht so einfach, muss ich sagen. DASS man was tun soll, wenn diskriminierungsverdächtige Taten und Worte am Werke sind, bleibt glasklar. Aber WAS man tun oder sagen soll, bleibt mir immer wieder ein Rätsel. Ich würde mal so ganz spontan und pauschal sagen, irgendwas ist besser als gar nichts, dann haben die Worte und/ oder Taten wenigstens den Hauch einer Chance, Wirkung zu entfalten. Im Zweifelsfall verpufft die Zivilcourage eben ungehört oder unverstanden im Raum. Aber man kann zumindest mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen.
Zugegeben, das ist jetzt nicht so ganz die Meinung der Experten, darunter die Polizei, die sagen, dass man sich mit allzu offensivem Eingreifen nur selber in Gefahr bringt und damit auch niemandem nützt. Wohl wahr, ich hätte mir in einigen Fällen fast eine Tracht Prügel eingehandelt, das war haarscharf. Aber über diese Situationen habe ich mir wenigstens keinen Wolf reflektiert.
So lange mir nichts Besseres einfällt, bleibt es wohl bei der Methode: Drauflos zetern und dann ganz schnell weglaufen. Und wenn das schiefgeht, sehe ich mir trotzdem lieber mit einem blauen Auge in den Spiegel als gar nicht.
Julia Siebert
05/02/10