Mehr Windenergie, mehr Solarenergie, Kohleausstieg: Deutschland hat große Ziele. Im November 2016 einigte sich die Bundesregierung auf den Klimaschutzplan 2050 und will sich damit auf den „Weg zum treibhausgasneutralen Deutschland“ machen. Bis 2050 sollen 80 Prozent der Energie erneuerbar sein. Bis 2040 wird das letzte Kohlekraftwerk stillgelegt und nach 2030 darf kein Neuwagen mit fossilem Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Umweltbewusstsein gehört in Deutschland zum guten Ton, die Energiewende gilt als einvernehmliches Ziel. Aber wie nachhaltig leben wir wirklich?

Um diese ehrgeizigen Ziele umzusetzen, braucht es die Unterstützung der Bevölkerung in Deutschland. Deshalb wurde sie bei der Entwicklung des Klimaschutzplans einbezogen. Zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger besuchten Seminare zum Thema und sollten anschließend Empfehlungen aussprechen. Man wollte ausloten, wozu die Deutschen bereit sind – auf das Auto zu verzichten, finden die meisten zum Beispiel schwierig.

Umweltbewusst? Sind wir doch alle!

Grüne Idylle – noch ist Musterknabe Deutschland weit von dem Ideal einer nachhaltigen Gesellschaft entfernt. | Foto: pixabay

„Die Energiewende ist auch eine Lebensstilwende“, erklärt Steven Engler vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Neben der Entwicklung von erneuerbaren Energiequellen sei es vor allem wichtig, weniger zu verbrauchen. Glaubt man einer repräsentativen Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2016, dürfte das kein Problem sein. 97 Prozent der Deutschen geben nämlich an, dass jeder Einzelne Verantwortung für die Umwelt trägt. Mehr als zwei Drittel finden, dass unsere Wirtschaft und unsere Lebensweise grundlegend umgestaltet werden sollten.

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Aber inwiefern schlägt sich diese Einstellung tatsächlich im Alltag nieder? „Oftmals ist das, was man zu tun vorgibt, weit von dem entfernt, was man wirklich tut“, glaubt Professor Ortwin Renn, der am Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam zu Nachhaltigkeit, Partizipation und Risikoregulierung forscht. Der Materialverbrauch in Deutschland steige stetig, der Markt für Bio-Lebensmittel stagniere, und vor allem Wärme sei ein problematisches Thema. „Ganz plakativ gesagt: 80 Prozent unserer Häuser stehen 80 Prozent der Zeit leer und werden trotzdem den ganzen Tag beheizt.“

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Renn schätzt, dass diejenigen, die ihre Überzeugungen tatsächlich im eigenen Konsumverhalten umsetzen, nur 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. „Dann gibt es noch diejenigen, die sich nur für die Energiewende aussprechen, weil das sozial erwünscht ist, und diejenigen, die zwar problembewusst sind, bei denen im Zweifel aber die Konsumlust siegt.“ Während man bei der zweiten Gruppe mit effektiver Kommunikation einen nachhaltigeren Konsumstil anregen könnte, werde man erstere nur schwer zu einer Verhaltensänderung bewegen können. Aber wieso fühlen sie sich trotzdem verpflichtet, sich für Nachhaltigkeit auszusprechen?

Wer prägt den öffentlichen Diskurs?

„Die Zivilgesellschaft hat großen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung, ist aber nicht unbedingt repräsentativ für den Rest der Bevölkerung“, erklärt Renn. Stiftungen oder Institutionen wie zum Beispiel Greenpeace, WWF oder NABU sind wichtige Stimmen im öffentlichen Diskurs. Auch wirtschaftliche Akteure haben Einfluss auf das positive Image der Energiewende.

Während einige von ihnen durch den Strukturwandel profitieren, verlieren andere deutlich. Trotzdem gebe es hierzulande kaum wirtschaftliche Interessensvertreter, die sich öffentlich gegen die Energiewende aussprechen. „Sie sagen höchstens, dass die Energiewende besser umgesetzt werden muss“, erklärt Renn. Das sei ein Unterschied zu Frankreich, Großbritannien oder den USA, wo bedeutende Firmenchefs den Klimawandel nach wie vor als Märchen bezeichnen.

Die Grundvoraussetzungen für die Energiewende sind in Deutschland also eigentlich gegeben. Nun müssen nur noch möglichst viele ins Boot geholt werden. Für Renn mangelt es vor allem an sozialer Nachhaltigkeit. „Es ist zum Beispiel schwer, Menschen mit geringem Einkommen zu vermitteln, dass ihre Stromrechnung stetig steigt. Es wäre gerechter, die Umstellung über Steuern zu regeln als über Strompreise.“ Auch denen, die durch den Kohleausstieg ihre Arbeitsplätze verlieren, müsse man Perspektiven bieten. Ungerechte Lastenverteilung müsse vermieden werden, um Unzufriedenheit in der Bevölkerung erst gar nicht aufkommen zu lassen.

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Friderike Werner

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