Muchtar Auesow widmete dem kasachischen Nationaldichter Abai Kunanbajew sein Lebenswerk. Dafür verehrt man ihn in Kasachstan noch heute. Selbst die sowjetischen Machthaber waren vom literarischen Schaffen des Schriftstellers angetan, obwohl auch Auesow zunächst unter der Stalinschen Repression zu leiden hatte.

Wer oft Spaziergänge durch die Stadt unternimmt und sich gerne zwischen dem Hotel Almaty, dem Abai-Opernhaus und der Panfilow-Straße aufhält, dem wird sicher ein interessantes Mosaik an der Fassade des Hotels Almaty aufgefallen sein. Direkt neben dem Eingang des Hotels befindet sich ein Werk der Künstler Moldachmet Kenbajew und Nikolai Ziwchinski aus dem Jahr 1965 mit dem Namen „Jenlik-Kebek“. Das Mosaik zeigt einen Mann in Kriegsmontur, der gegen seine Feinde um seine Geliebte kämpft. Die Szene stammt aus dem gleichnamigen kasachischen Volksepos „Jenlik-Kebek“.

1892 erschien zum ersten Mal in der Zeitung „Dala ualajaty“ – „Provinz der Steppe“ – ein Gedicht unter dem Titel „Wort, in Erinnerung an die Kasachen bewahrt“. Das Gedicht erzählt von der Liebe zwischen dem Dschigiten Kebek, einem berittenen Krieger, und der schönen Jenlik, sowie von ihrem tragischen Tod, zu dem sie durch die grausamen Bräuche ihrer Gesellschaft verurteilt wurden. In den folgenden Jahren erschien diese kasachische Version des Stoffes von Romeo und Julia in verschiedenen Adaptionen und Abwandlungen sowie unter verschiedenen Titeln. 1917 verarbeitete ein gewisser Muchtar Auesow die Geschichte zu einer Tragödie für die Theaterbühne.

Abais großer Einfluss auf Muchtar Auesow

Muchtar Omarchanowitsch Auesow wurde am 16. September 1897 in eine Nomadenfamilie geboren, die sich zu jener Zeit vermutlich irgendwo auf dem Bergrücken Schyngystau im Gebiet Semipalatinsk, Ostkasachstan aufhielt. Seinen Vater verlor der kleine Junge bereits 1900, die Mutter starb 1912. Muchtar wurde somit mit 15 Jahren zum Vollwaisen und wuchs bei seinem Onkel und den Großeltern auf. Sein Großvater brachte ihm Lesen und Schreiben bei. Nicht nur die traditionelle Lebensweise prägte ihn. Auch die Literatur des kasachischen Nationalschriftstellers Abai Kunanbajew, der ebenfalls aus der Region Semipalatinsk stammte, hatte großen Einfluss auf Auesow.

Sein Großvater war ein großer Bewunderer der Werke Abais. Diese beschäftigen sich mit der Kritik an den seinerzeit patriarchalischen, konservativen und halbfeudalen Gesellschaftsstrukturen. Zugleich riefen sie zum Studium russischer und westlicher Literatur sowie zur Modernisierung kasachischer Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft auf. Doch auch eine familiäre Verbindung zwischen der Familie Auesow und der des Poeten Abai bestand. So war der Vater Abais, Kunanbai mit der Tante Muchtars, Nurgan, verheiratet. Bei der Feierlichkeit zur Geburt Muchtars soll der bereits zu Lebzeiten hoch verehrte Poet Abai selbst anwesend gewesen sein.

Frühe Heirat, unglückliche Beziehung

Der junge Muchtar besuchte zunächst eine Madrasa, eine Koranschule in Semipalatinsk. Nach kurzer Zeit wurde er aber auf eine russische Schule geschickt. Nach Schulabschluss folgten ein Studium am pädagogischen Institut in Semipalatinsk sowie ab 1923 an der philologischen Fakultät der Staatlichen Universität Leningrad. Während dieser Studienjahre befasste sich Auesow mit russischer und ausländischer Literatur. Er schrieb und veröffentlichte zugleich kleinere Texte, Kurzgeschichten und Artikel. Anlässlich der Hochzeit einer Enkelin von Abai im Jahr 1917 verfasste er sein erstes Schauspiel „Jenlik-Kebek“.
Auesow selbst heiratete im gleichen Jahr ein erst 15-jähriges Mädchen, das im Jahr darauf eine Tochter zur Welt brachte. Ein Sohn, der ein weiteres Jahr später geboren wurde, verstarb im Kindesalter. Anders als bei dem Liebespaar Jenlik und Kebek scheint die Beziehung nicht sehr glücklich gewesen zu sein, sie wurde schon im Jahr 1920 wieder geschieden.

Bereits seit 1919 waren die Bolschewiken in Semipalatinsk an der Macht, und auch Muchtar Auesow trat der bolschewistischen Partei bei. Der noch junge Mann erlangte lokale Führungspositionen, war unter anderem Vorsitzender des Exekutivkomitees von Semipalatinsk sowie Sekretär des Kasachischen Zentralen Exekutivkomitees. Unter dem Vorwurf des Nationalismus musste er die Partei allerdings verlassen und beendete dann 1928 sein Studium in Leningrad. Darauf folgte die Promotion an der zentralasiatischen Universität Taschkent.

Muchtar Auesow und die Stalinsche Repression

Ab den frühen 1930er Jahren bekam auch Muchtar Auesow die Stalinschen Repressalien zu spüren. Eine zweijährige Haftstrafe musste er aufgrund der angeblichen Beteiligung in einer oppositionellen Organisation verbüßen und ging daraufhin nach Alma-Ata. Seit dieser Zeit widmete er sich mehr und mehr der Literatur und insbesondere dem Werk Abais. Noch 1933 veröffentlichte Auesow einen Gedichtband mit Texten von Abai. Doch die Geheimpolizei störte seine weitere Tätigkeit. Artikel wurden zensiert, Veröffentlichungen unterbunden, bereits erschienene Bücher verschwanden aus Bibliotheken und Verkauf.

Erst in den 1940er Jahren verbesserte sich die Situation für Auesow wieder. Er konnte in verschiedenen kulturellen Institutionen arbeiten und endlich wieder Texte veröffentlichen. Seine Arbeiten befassten sich nun oftmals mit dem Sozialismus in Kasachstan, doch seine Leidenschaft galt weiter dem Poeten Abai. Während der letzten zwanzig Jahre seines Lebens arbeitete Auesow an einem Roman namens „Abai“ sowie auch an dem vier Bände umfassenden Werk „Der Weg Abais“. Dies sollte sein Hauptwerk werden. 1959 erhielten die ersten beiden Bände von „Der Weg Abais“ den Leninpreis des Obersten Sowjets der Kasachischen SSR.

Das Haus von Muchtar Auesow wird zum Museum

Bereits 1949 hatte Auesow den Stalinpreis für sein literarisches Schaffen verliehen bekommen. Die Prämie war ein Grundstück im Zentrum von Alma-Ata, auf dem ihm der Architekt Georgi Gerassimow ein Haus baute. Dort wollte Auesow fortan leben und arbeiten. Das Monumentalwerk „Der Weg Abais“, welches den Lebensweg des großen Schriftstellers beschreibt, vollendete Auesow in seinem Wohnhaus in Alma-Ata. Dort verlebte er auch seine letzten Lebensjahre. Er starb am 27. Juni 1961 während einer Operation.

Bereits kurz nach seinem Tod entschied man auf höchster Ebene, das Erbe Auesows zu bewahren. Am 15. August 1961 wurde verordnet, sein Wohnhaus in ein Museum umzuwandeln. Direktorin des im Jahr 1963 eröffneten Museums war bis zu ihrem Tod 1993 Auesows Tochter aus dritter Ehe, Lejla Muchtarowna Auesowa. Auesows Hausmuseum, in dessen Besitz sich über 150.000 Exponate befinden, gehört bis heute zu den wichtigsten Literaturmuseen des Landes und zeigt in Hinterlassenschaften, Fotografien, Kunstwerken und anderen Gegenständen den Werdegang Auesows von der Kindheit bis ins hohe Alter sowie die Entstehungsgeschichte seiner berühmtesten Werke auf.

Der Name Muchtar Auesow wurde auch an anderer Stelle für die Ewigkeit bewahrt. In der Stadt Kyzylorda feierte am 13. Januar 1926 das neu gegründete Staatliche Kasachische Akademische Schauspielhaus seine Premiere mit Auesows Bühnenadaption von „Jenlik-Kebek“. Kurz darauf wurde dieses Theater nach Alma-Ata verlegt. Das Theaterensemble erhielt allerdings erst 1981 ein eigenes repräsentatives Gebäude im Stil des späten Sowjetmodernismus, dessen Fassaden aus Granit, Marmor und Muschelkalk seitdem die Landschaft nahe des Jessentai-Flusses überragen.

Verehrung für Muchtar Auesow überall zu spüren

Kurz vor seinem Lebensende hat Muchtar Auesow ebenfalls eine Monografie über das kirgisische Nationalepos „Manas“ veröffentlicht. Dafür wird er auch heute noch, insbesondere in Kirgisistan, hoch verehrt. In Kasachstan aber wird sein Name auf ewig mit seinem Spiel „Jenlik-Kebek“ sowie mit seinen Werken über den kasachischen Volksheld-Poeten Abai Kunanbajew verbunden bleiben. Diese Anerkennung seiner Person ist im modernen Kasachstan an vielen Ecken zu spüren.

Das Mosaik „Jenlik-Kebek“ an der Fassade des Hotels Almaty blickt wohl nicht ganz zufällig auf das ehrwürdige Opernhaus Abai. Seit der Eröffnung der Metro Almaty im Dezember 2011 kann man nicht weit davon in die Metrostation „Abai“ einsteigen und bis zur Station „Muchtar-Auezow-Theater“ fahren. In zahlreichen Städten Kasachstans finden sich nicht nur Abai-, sondern ebenso viele Auesow-Straßen. Die beiden Schriftsteller und Poeten – Abai Kunanbajew und Muchtar Auezow – haben alte kasachische Volksüberliefeungen künstlerisch verarbeitet, auf denen bis heute, besonders im unabhängigen Kasachstan, ein großer Teil der modernen kasachischen Identität beruht.

Philipp Dippl

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