Familie oder Fortsetzung der Schauspielkarriere: Für Katharina Rissling stellte sich die Frage, nachdem sie 1992 mit ihrem Mann und den Kindern von Kasachstan nach Deutschland gekommen war. Am Ende schlug sie einen anderen Werdegang ein, blieb ihrer Leidenschaft zum Theater aber nebenbei trotzdem treu.
Es ist nicht einfach, das eigene Leben mit einem Wort zu definieren, denn der bunte Mix aus einmaligen fröhlichen sowie traurigen Begebenheiten, die jeden von uns tagtäglich begleiten, reift irgendwann heran und umhüllt uns in Form eines durchsichtigen Schleiers aus verflossenen Motiven des Erlebten, die unmöglich zu trennen sind. Wenn man die frühere Schauspielerin des Deutschen Theaters in Kasachstan, Katharina Rissling, fragt, wie sie ihr Leben kurz einschätzen würde, gibt sie lächelnd zurück: „Positiv und voll Erfüllung.“ Und damit hat sie gar nicht so unrecht, obwohl ihre Definition auch etwas länger ausfällt.
Als sie mit ihrer Familie 1992 nach Deutschland kam und nach langtägigen Strapazen und Behördengängen in Bayern landete, konnte sie ihre eigenen Erwartungen an die Zukunft nicht exakt konkretisieren. Ihrem Mann und ihr selbst ging es zu diesem Zeitpunkt vor allem um die Kinder, denen sie eine glückliche Zukunft ermöglichen wollten. Um diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen, nutzten sie jede Gelegenheit. Die eigenen persönlichen Träume, auch in Deutschland den gelernten Beruf auszuüben, stellten sie dafür erst einmal hintan.
Von Kasachstan ans Bayerische Staatstheater
Dank eines glücklichen Zufalls hatte Katharina die vielversprechende Chance, an einer dreimonatigen berufsorientierten Maßnahme der Otto-Benecke-Stiftung teilzunehmen, und bekam erfreulicherweise ein Praktikum am Bayerischen Staatstheater. Während des Praktikums wurde sie in einem Stück von Ostrowski als Schauspielerin engagiert und spielte die Rolle des Mütterchens Russlands, deren Gestalt die gesamte Inszenierung durchzog. Gemeinsam mit der Regisseurin Amelie Niermeyer, die Katharina am Theater in Kasachstan kennengelernt hatte, brachte sie einige anziehende szenische Elemente in die Aufführung ein; beide ernteten dafür lobenswerte Kritik.
Diese ergiebige Erfahrung erfüllte Katharina mit Stolz, Zuversicht und klarer Überzeugung, dass sie auch an einem Theater in Deutschland Erfolg haben könnte. Doch das eigentliche Ziel, ein Leben für die Familie zu führen, überwog diese Gemütsbewegungen. Auf das Angebot, am Bayerischen Staatstheater ihrem Schauspielberuf nachzugehen, verzichtete sie, weil sie sich nicht für längere Zeit von Kindern und Mann trennen konnte.
So entschied die ausgebildete Schauspielerin schließlich, sich eine berufliche Zukunft als Erzieherin aufzubauen. Sie trat so in die Fußstapfen ihrer Mutter, die ebenfalls Erzieherin war. Katharina besuchte sie oft in ihren Studentenferien im Kindergarten und konnte sich gut vorstellen, in diesem Beruf zu arbeiten. Die Ausbildung schloss sie an der Fachakademie Maria Stern ab und begann ihren neuen Werdegang im Hort von Maria Stern, wo sie bis 2006 tätig war. Das Erreichte war ihr aber zu wenig, und sie wechselte zum Hort St. Martin, fing wieder klein an und beteiligte sich am Ausbau der Gruppen. Heute ist sie in der Hortbereichsleitung tätig und fühlt sich überglücklich. Sie ist überzeugt, am richtigen Ort gelandet zu sein.
Und wieder ruft das Theater
Katharinas Glück wäre mit Sicherheit bescheidener ausgefallen, wenn sie eines Tages das Angebot ausgeschlagen hätte, nebenbei als Theaterpädagogin an der Fachakademie für Sozialpädagogik anzufangen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Bereits die erste Aufführung von „Der gestiefelte Kater“ wurde vom Publikum bejubelt und mit Begeisterung aufgenommen. Das machte Mut und bestätigte ihre Entscheidung, Pädagogik mit Regie zu verbinden. Seit elf Jahren ist Katharina dabei, ihre „ganze Leidenschaft zum Theater mit den Studierenden zu teilen“. Jährlich bringt sie als Regisseurin eine Inszenierung mit den Jugendlichen auf die Bühne und der gegenseitige Fleiß zahlt sich gut aus: die Vorstellungen der Theatergruppe erhalten immer große Resonanz und haben sich im Programm der Rieser Kulturtage nicht nur bei den Veranstaltern, sondern auch beim Publikum fest etabliert.
Das Einzige, woran die angehende Regisseurin sich nicht gewöhnen konnte, war der ständige Wechsel der „Schauspieler“, was aber andererseits mehr Möglichkeiten für das schöpferische Wachstum bot. In diesem Jahr inszenierte Katharina das Rockmusical „Löwenherz“ von Andreas Schmittberger. Aus bekannten Gründen wurde die Premiere auf das nächste Jahr verschoben. Katharina schätzt diesen „Nebenjob“ und die Aussicht, mit jungen Leuten ihre eigene Liebe zum Theater auszuleben. Immer wieder betont sie, dass man „das Schauspielstudium als Fundament für einen sozialen Beruf betrachten kann“, und, dass es ihr „persönlich geholfen hat, den Umgang mit Menschen positiv zu gestalten“.
Erinnerungen an die Zeit des Deutschen Theaters in Kasachstan
Ihre Liebe zum Theater passt ausgezeichnet mit der Hinwendung zur russlanddeutschen Folklore zusammen. Die musikalischen Auftritte vor unseren Landsleuten in Deutschland kommen ihr als kostbare Quelle vor, aus der sie Harmonie und Stärke schöpft. Das Gefühl einer unglaublichen Verbundenheit durch das mit diesen Menschen geteilte Schicksal erfüllt sie mit Frieden und Sympathie. Es erinnert sie an die längst verflossenen Zeiten, in denen das Deutsche Theater in Kasachstan durch das Land reiste. Dieses Gefühl verspürte sie auch 2006 in Argentinien, wo sie mit anderen Musikern und Sängern unter den dortigen Landsleuten dieselbe „unfassbare“ Atmosphäre der Einstimmigkeit und Eintracht genoss, die sie in Kasachstan empfand und jetzt auch in Deutschland fühlt.
Für Katharina Rissling gibt es viele Gründe, die Vergangenheit wach zu halten. Die Jahre, die sie am Deutschen Theater verbrachte, waren eine große Erfüllung. Die erschöpfenden Proben, der gewaltige Rückhall nach den Premieren und die unvergesslichen Gastspielreisen wird sie nie vergessen können. Vieles aus dieser Vergangenheit vermisst sie heute, in erster Linie sind es aber der allgemeine „Spaß am Theatermachen, der Zusammenhalt, die fast familiäre Atmosphäre“ die damals das junge Ensemble prägten. Die Faszination der jugendlichen Leichtigkeit, die sie in diesen Zeiten beschwingte, ist verflogen, aber an die Momente des beseelten Zusammenseins erinnert sich Katharina heute noch sehr gerne.