Welche Bedeutung hat grenzüberschreitendes Wassermanagement für Zentralasien? DAZ sprach mit Dr. Alfred Diebold, dem Technischen Direktor des Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees, über Chancen und Herausforderungen.

DAZ: Herr Diebold, Sie haben vor kurzem das Buch „From the Glaciers to the Aral Sea – Water Unites“ herausgegeben. Was möchten Sie den Lesern mit der Veröffentlichung dieses Buches vermitteln?

Die Veröffentlichung meines Buches „Water Unites“ war ein sehr wichtiges Anliegen für mich. Vor allem, weil ich damit meine Verbundenheit mit meinen Kollegen bei der Internationalen Stiftung zur Rettung des Aralsees und den Menschen in Zentralasien zum Ausdruck bringen wollte. Ein Buch zum Thema Wasser, wo der Mensch im Vordergrund steht, könnte meiner Meinung nach sehr gut zum Verständnis dazu beitragen, wie das viele Wasser des Amudarja und des Syrdarja letztendlich in dieser Region besser genutzt werden kann.

Hier müssen wir aus der Vergangenheit lernen. Ich denke da nur an die Versalzung der Böden oder die Aralsee-Katastrophe, an den Klimawandel. All diese Themen spielen eine immens wichtige Rolle für die Zukunft Zentralasiens und auch für die Menschen in dieser Region. Sie sind auch entscheidend für die Aufgabenstellung für das Exekutivkomitee der Internationalen Stiftung zur Rettung des Aralsees, als dessen technischer Direktor ich tätig bin.

Außerdem möchte ich mit dem Buch dem Leser vermitteln, wie vielfältig unsere Aufgabenstellungen bei der Internationalen Stiftung sind, wie die Probleme im Wassermanagement aussehen und vor allem welche Ansätze es zur Lösung dieser Probleme gibt. Durch einen theoretischen, erzählerischen und einen Bildteil wollen wir die Region den Lesern in Zentralasien und letztendlich auch in der ganzen Welt näher bringen.

Was umfasst Ihr Aufgabengebiet als Technischer Direktor des Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees?

Meine Aufgabe besteht primär darin, den Vorsitzenden des Exekutiv-Komitees zu beraten, die Stiftung nach außen zu vertreten und mit internationalen Gebern verhandeln.

Als sogenannte Integrierte Fachkraft wurde ich von der Bundesregierung über die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit nach Almaty entsandt. Das bedeutet, dass die Bundesregierung Deutschland die Stiftung zur Rettung des Aralsees unterstützt.
Unsere Aufgabe muss man jedoch im umfassenden Kontext der deutschen Entwicklungsarbeit sehen. Es existiert der sogenannte „Berlin-Prozess“, der im Jahre 2008 durch den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier initiiert wurde. In dieser Vereinbarung geht es darum, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Zentralasienstrategie der Europäischen Union die Länder Zentralasiens dabei unterstützt, die Arbeit im grenzüberschreitenden Wassermanagement zu optimieren. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich als Berater gemeinsam mit internationalen und lokalen Experten das „Aralsee-Programm 3“ erarbeitet. Mittlerweile umfasst das Programm insgesamt 45 Projektvorschläge, nicht nur zur Rettung des Aralsees sondern viel mehr um insgesamt die Wassernutzung in der Region zu verbessern. Die Projekte sollen nach Wunsch der zentralasiatischen Präsidenten mit Unterstützung von internationalen Gebern, wie der Weltbank, USAID, der SWISS Development Corporation, der GIZ und anderen Organisationen nach und nach implementiert werden. Damit besteht meine Aufgabe zum einen im Management, zum anderen ist es eine stark inhaltlich geprägte Aufgabe, die stets vom Leitgedanken des integrierten Wasserressourcenmanagements getragen wird. Das bedeutet, dass wir und unsere Partner das Thema „Wasser“ nicht unabhängig von der Umwelt, der Landwirtschaft, der Industrie und anderen vielfältigen alternativen Nutzungsmöglichkeiten betrachten.

Welche Bedeutung hat das „grenzüberschreitende Element“ im Wasserressourcen-Management?

Wenn wir vorausschicken, dass die Internationale Stiftung zur Rettung des Aralsees den fünf zentralasiatischen Ländern gehört, liegt es nahe, dass das grenzüberschreitende Element ein eindeutiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist. Mit einem Blick auf die Karte wird das anschaulicher: Die Flüsse Amudarja, Serafschan und Syrdarja entspringen im Hochgebirge und fließen dann in die Ebenen nach Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan. Hier ist es unser wichtigstes Anliegen, zwischen den fünf zentralasiatischen Ländern grenzüberschreitend einen Ausgleich zu schaffen. Sowohl die oberen Anrainer dieser zentralasiatischen Wasseradern als auch die unteren Bewohner sollen in der Lage sein, das Wasser so nutzen zu können, dass es insgesamt für alle reicht und einen maximalen Nutzen stiftet.

Inwiefern unterstützt Deutschland die Ausbildung des einheimischen Personals und die Weiterqualifizierung der Fachkräfte vor Ort?

Bezüglich der Ausbildung der lokalen Kräfte besteht meine Aufgabe auch darin, einen Teil der Erfahrungen, die wir in Europa gesammelt haben, den Fachkräften vor Ort zu vermitteln. Wir versuchen ein Beispiel zu geben, wie wir in Europa mit bestimmten Problemen umgehen. Zugleich nehme ich aber auch viele Ideen und Gedanken vor Ort auf, um die Situation besser einschätzen zu können, das ist selbstverständlich.

Wir wollen mit unserer Arbeit Denkanstöße geben und Diskussionsprozesse initiieren. Uns kommt es hauptsächlich darauf an, dass die Länder Zentralasiens untereinander besser kommunizieren, interagieren und sich auf gemeinsame Strategien einigen.

Beispielsweise gibt es Unstimmigkeiten zwischen Tadschikistan und Usbekistan, die sich gerade im Bereich der Wassernutzung auswirken. Ich spiele auf das große Staudammprojekt „Rogun“ an, das für Tadschikistan von enormer Bedeutung sein könnte. Usbekistan sieht in diesem Staudammprojekt für sich nicht zwingend einen Nutzen, weil es viel mehr befürchtet, dass die Wasserversorgung in Zukunft nicht gewährleistet wäre.

In der Tat gibt es verschiedene Auffassungen diesbezüglich. Hier ist unsere Stiftung aufgefordert, am Dialog zwischen den fünf zentralasiatischen Staaten und den internationalen Organisationen und Gebern mitzuarbeiten.

Wir haben auch als Bundesrepublik ein Interesse daran, dass sich die Länder und die Region gut entwickeln, dass die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme gelöst werden.

In Ihrem Buch gibt es ein Kapitel mit der Frage „Wem gehört das Wasser?“ Das ist eine interessante Frage mit juristischer Konnotation. Mit welchen Herausforderungen haben Sie diesbezüglich zu kämpfen?

Das ist tatsächlich ein hochinteressantes Thema. Wir beziehen uns auf die Internationale Helsinki-Konvention von 1992, die häufig als Grundlage für juristische Auseinandersetzungen zu verschiedenen Wasserfragen herangezogen wird.

Die Konvention fordert von den Unterzeichnerstaaten, dass Wasser gerecht verteilt wird, dass es nicht belastet wird und dass Dialogprozesse als Grundlage dieser Vereinbarung zwischen den genannten Ländern stattfinden.

Leider sind nur Usbekistan und Kasachstan dieser Konvention beigetreten, die oberen Anrainer der Flußgebiete Amudarja, Serafshan und Syrdarja haben die Vereinbarung noch nicht unterzeichnet. Dies bedeutet, dass diese internationalen gesetzlichen Grundlagen hinsichtlich grenzüberschreitender Fragen noch nicht für die ganze Region greifen.

Es gibt durchaus auch noch andere Modelle, die geeignet wären, hier in Zentralasien angewendet zu werden, wie beispielsweise die European Water Framwork Directive, mit der wir in Europa die besten Erfahrungen gemacht haben. Aber um solche Konzepte umzusetzen bedarf es großer Überzeugungsarbeit. Interessante Aspekte eröffnen sich auch mit der Fragestellung nach dem Wert des Wassers. Usbekistan beispielsweise steht auf dem Standpunkt, dass Wasser ein von Gott gegebenes Geschenk oder Gut ist. „Water is a God-given good“. Nach dieser Interpretation könne es keinen Geldwert haben. Dies geht letzten Endes auf islamische Vorstellungen zurück, die besagen, dass jeder, der Wasser braucht, es nutzen darf und in angemessener Menge zur Verfügung haben sollte. Kirgistan vertritt dahingegen den Standpunkt, dass die Wasserressourcen im eigenen Land auch Kirgistan gehören. Das heißt, der Staat Kirgistan ist entsprechend der Eigentümer des Wassers. Wasser an sich habe nach dieser kirgisischen Interpretation einen Wert, der auch bezahlt werden muss.

Stichwort Aralsee: Wie lautet Ihre Prognose zur ökologischen Situation des Aralsees? Welche Ansätze zur „Rettung des Aralsees“ gibt es?

Dazu möchte ich auf ein Kapitel in unserem Buch „From the Glaciers to the Aral Sea – Water unites“ verweisen. Dort arbeiten wir die Geschichte des Aralsees auf. Bis 1960 war der Aralsee der viertgrößte Binnensüßwassersee der Welt. Bis zum heutigen Tage ist er flächenmäßig um 90 % geschrumpft. Der See hat auch ähnlich große Mengen an Wasservolumen verloren, weil aus bekannten Gründen das Wasser nicht mehr über die natürlichen Zuflüsse in den Aralsee gelangt.

Am Fluss Amudarja wurde das Wasser nach Turkmenistan in den Karakum-Kanal geleitet. Im Fergana-Tal und in Südkasachstan wurde im Verlaufe der Jahre sehr viel Wasser für den Baumwollanbau abgeleitet. Dies hat in der Konsequenz dazu geführt, dass sich der Wasserzufluss drastisch reduziert hat. Im Jahre 2006 hat Kasachstan den Deich“ Kokaral“ gebaut. Dieser Deich hat zu dem positiven Effekt geführt, dass der Aralsee gestaut wird, was das Mikroklima des Sees verändert hat. Das ist eine richtige Erfolgsstory, es gab einen enormen Anstieg der Fischpopulation. Heute wird wieder Fischfang betrieben, und die Lebenssituation in den umliegenden Dörfern des nördlichen Aralsees hat sich wirklich deutlich verbessert.

Im nördlichen Bereich des Aralsees fließt ja bekanntlich der Fluss Syrdarja, der im Hochgebirge des Tienschans in Kirgistan entspringt und nach Westen fließt. Wenn das Wasser auf dem Weg dorthin schon verbraucht werden würde, gäbe es kein Wasser mehr im Aralsee. Hier müssen also Verhandlungen mit allen Anrainer-Ländern geführt werden, dass ein Minimum von 5 Kubikkilometern Wasser pro Jahr im Aralsee einfließen müssen. Diese Menge wird mindestens benötigt, um den jetzigen Wasserstand des Sees zu halten. In sehr trockenen Jahren kann es durchaus passieren, dass kein Wasser zum See gelangt. Daher ist dafür Sorge zu tragen, dass die Wassermenge über Jahre hinweg gut ausgeglichen wird.

Auf welches Netzwerk von Partnern können Sie in Ihrer Arbeit zurückgreifen?

Insbesondere bei grenzüberschreitenden Aufgaben ist es wichtig, mit den Regierungen der zentralasiatischen Länder zusammenzuarbeiten. Diese Kooperation hat höchste Priorität. Außerdem existieren in allen fünf Ländern sogenannte Wasserkomitees, das Internationale Komitee zur Koordinierung der Wassernutzung mit dem wir uns eng abstimmen. Weitere wichtige Partner für uns sind die Weltbank, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Gelder für das Wassermanagement zur Verfügung stellen. Es würde den Rahmen sprengen, alle Organisationen aufzuzählen, die sich mit dem Thema Wasser beschäftigen. Doch trotz institutioneller Schwächen kann man sagen, dass die Zusammenarbeit immerhin zwischen allen Beteiligten dazu geführt hat, den Frieden in der Region zu erhalten.

Was wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Arbeit im Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees?

Ich bin mit meiner Arbeit und vor allem mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Allerdings würde ich mir wünschen, dass das, was wir bei der Internationalen Stiftung zur Rettung des Aralsees erarbeitet haben, auch in die Praxis umgesetzt wird. Es wäre optimal, wenn wir durch presse- und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen noch deutlicher auf die Problematik der knappen Ressource Wasser aufmerksam machen würden. Dann wären die Chancen noch besser, dass alle Entscheider und Akteure in einen gemeinsamen Dialog über die Wasserressourcennutzung eintreten würden, der zu nachhaltigen Übereinkommen führen würde und nicht nur zu sogenannten Ad-Hoc-Abkommen, die sehr kurzlebig sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Malina Weindl.

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BUCHEMPFEHLUNG: From the Glaciers to the Aral Sea. 1st edition 2012, 256 pages, color print, 233 photos, 26 maps, 20 diagrams – english – ISBN 978-3-89794-800-6 24,95 Euro. Trescher Verlag.

DER AUTOR:
Alfred Diebold ist der Technische Direktor des Exekutivkomitees der Internationalen Stiftung zur Rettung des Aralsees in Almaty / Kasachstan. Er hält einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften von der Universität Stuttgart / Deutschland. Seine Interessen liegen im Bereich der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen, der Integration ökonomischer, ökologischer und politischer Erwägungen im grenzüberschreitenden Wasserressourcenmanagement. Er hat auch eine Ausbildung als Fotograf und Filmemacher an der Tisch School of the Arts in New York / USA durchlaufen. Seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn arbeitete er bei den Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen und privaten Unternehmen in Asien, Afrika und Europa. Er produzierte Filme, schrieb Bücher und Artikel. Ein weiteres Buch über das Reisen in der Arktis an Bord von Expeditionsschiffen wurde im gleichen Verlag im Jahr 2011 veröffentlicht.

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