„Nur Wölfe essen mehr Fleisch als Kasachen“ lautet ein Sprichwort. Dabei gibt es auch in Kasachstan Menschen, die auf Tiere in ihrem Essen verzichten. Ein Leben als Vegetarier ist hier zwar oft schwierig, aber nicht unmöglich. Denn gerade in den Städten wird das Angebot größer.

In einer Facebook-Gruppe fragte vor wenigen Wochen eine junge Amerikanerin nach veganen oder vegetarischen Angeboten in Kasachstan. Was sie erntete, waren zynische Kommentare: „Ja, bei allen Restaurants findet du vegetarische Kühe, Schafe und Ziegen! Die ernähren sich alle vegetarisch!“, antwortete einer. „Was für ein sinnloses Thema! Leute macht etwas produktives!“, ärgerte sich ein anderer.

In Kasachstan Vegetarier zu sein, scheint geradezu subversiv. Fleisch essen ist tief in der kasachischen Kultur verankert und hat Tradition. Als das Land noch zum Großteil von Nomaden bevölkert war, galt Fleisch als überlebenswichtiges Nahrungsmittel. Der Gemüseanbau war wenig verbreitet und Fleisch lieferte den Nomaden die nötige Energie, um durch den rauen Winter zu kommen.

Vor allem deshalb ist die kasachische Küche geprägt von Fleisch. Nationalgerichte wie Beschbarmak oder Manti werden für gewöhnlich mit Fleisch serviert. Genauso wie alles andere. In fast jeder Suppe, jedem Samsa oder Plow findet man Fleisch.

In den meisten Restaurants Kasachstans ist es schwer, überhaupt vegetarische Hauptgerichte zu finden. Vorspeisen und Beilagen sind oft die einzige Alternative zu Fleischgerichten. Es scheint fast unmöglich, sich in Kasachstan rein vegetarisch zu ernähren – zumindest bis vor kurzem.

Vegetarier in Kasachstan auf dem Vormarsch

Weltweit entscheiden sich Menschen immer häufiger dafür, auf Fleisch in ihrer Ernährung zu verzichten. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Manche tun es für die Umwelt oder den Tieren zuliebe, andere um sich gesünder zu ernähren.

Der Trend macht auch vor Kasachstan nicht Halt. Es gibt zwar keine genauen Zahlen darüber, wie viele Vegetarier hierzulande leben. Zu beobachten ist aber, dass in den vergangenen Jahren zunehmend vegetarische Angebote entstehen.

In Städten wie Almaty oder Nur-Sultan gibt es viele Restaurants, die fleischlose Hauptgerichte führen. In Almaty findet man sogar mehrere, die ausschließlich vegetarische Gerichte servieren.

Eines der ältesten davon ist Govinda’s Vegetarian Café, ein indisches Restaurant im Norden Almatys. Betritt man das Café, schauen die Mitarbeiter etwas erschrocken – als seien sie fast nicht vorbereitet für den Fall, dass überhaupt Gäste das Restaurant betreten. Dennoch zaubern die Köche gutes indisches Essen –  ganz ohne Fleisch.

Kaum ein Koch in Kasachstan ist selbst Vegetarier

Dabei ist Govinda’s Vegetarian Café nicht mehr die einzige vegetarische Option in der Stadt. Viele Restaurants in Almaty schließen sich dem Trend an und bieten mittlerweile „gesunde Karten“ an, die vegetarischen Gerichten führen.

Das Problem: Kaum ein Koch in Kasachstan ist selber Vegetarier oder kennt sich mit vegetarischer Küche aus. Deshalb ist das Essen oft geschmacklos oder gar nicht wirklich vegetarisch. „Manche werfen einfach statt Fleisch Tofu in das Essen, verwenden aber trotzdem Rinderbrühe“, erzählt Martina über Restaurants in Almaty.

Martina ist seit knapp zehn Jahren selbst Vegetarierin und kommt ursprünglich aus Öskemen im Osten Kasachstans. „Outet man sich als Vegetarier, sind viele darüber verwundert, wie man ohne Fleisch überleben kann“, erzählt sie lachend. „Kasachen sind süchtig nach Fleisch.“

Doch auch sie beobachtet, dass allmählich eine vegetarische Szene in Kasachstan entwickelt. „Mehr und mehr Leute wollen sich bewusster ernähren. Deshalb verzichten viele mittlerweile auf Fleisch.“

Neues Essen für Almaty

Als Martina vor ein paar Jahren bei einer Freundin in den USA zu Besuch war,  die dort selbst ein vegetarisches Restaurant führt, kam ihr die Idee: Warum nicht auch in Kasachstan ein rein vegetarisches Restaurant eröffnen?

Zusammen mit einer Freundin eröffnete sie schließlich im Oktober 2019 das Bliss Blossoms in Almaty. Das kleine Restaurant im Zentrum der Stadt kommt sogar vollkommen ohne tierische Produkte aus – und das bisher erfolgreich. „Viele junge Leute kommen und freuen sich darüber, ein rein vegetarisches Restaurant in Almaty zu haben“, erzählt Martina.

Almaty ist laut Martina für Vegetarier der beste Ort in Kasachstan. „Hier leben viele Leute aus anderen Teilen der Welt, die es gewohnt sind, sich vegetarisch zu ernähren. Außerdem gibt es hier durch die Lage ein viel größeres Angebot an Gemüse und Obst.“

Bisher kann man jedoch hauptsächlich in Kasachstans Städten vegetarische Optionen finden. Auf dem Land fehlt es dagegen oft an Alternativen. Das Problem bei einem vegetarischen Lebensstil in Kasachstan bleibt das mangelnde Angebot.

Fleisch ist Tradition

Die Kultur, in der man aufwächst, ist einer der Hauptfaktoren dafür, ob man Fleisch isst. In Kasachstan ist Fleisch fester Teil der Kultur. Viele Gerichte mit Fleisch haben traditionellen Wert. Keines zu essen bedeutet für manche, sich von der eigenen Kultur zu entfremden.

Ähnlich beschrieb kürzlich Alicia Wittmeyer in einem Kommentar der New York Times. Als Kind von malaysisch-chinesischen Einwanderern in den USA ist für sie Familie und Tradition eng mit dem Essen ihrer Eltern verbunden – und das bedeutet auch Fleisch. Um diese Verbindung zu ihrer eigenen Kultur nicht zu verlieren, könnte sie nie vollständig mit dem Fleisch essen aufhören.

Das bedeutet aber nicht, sich darauf auszuruhen. „Die Lösung ist nicht Sturheit, sondern sich erwachsen zu verhalten. Wir sind alle fähig, zwischen sinnvollem und sinnlosem Fleisch zu unterscheiden”, fasst Alicia Wittmeyer zusammen. So muss auch in Kasachstan nicht jedes Samsa mit Hack gefüllt sein, nicht jeder Salat mit Huhn bedeckt werden. Man glaubt es kaum, aber die meiste Zeit merkt man den Unterschied gar nicht.

Für alle Interessierten hat die junge Amerikanerin, die kürzlich auf Facebook Hohn für ihren Vegetarier-Beitrag erntete, mittlerweile eine eigene Gruppe in dem Netzwerk gegründet. Unter “Vegans & Vegetarians of Kazakhstan and Central Asia” findet man sie. Hier tauschen sich die Mitglieder über das Thema sowie über vegane und vegetarische Restaurants in Kasachstan aus. Findet man trotzdem keine Restaurants in der Nähe, die fleischlose Gerichte anbieten, gibt es immer einen einfachen Weg, an vegetarisches Essen zu kommen: selber kochen.

Antonio Prokscha

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