Unseren Kolumnisten hat die Liebe nach Kasachstan verschlagen. Nun lebt er als deutscher Expat in Almaty. Jede Woche schreibt er über seine Erlebnisse und Beobachtungen in der Apfelstadt. Nicht selten kommt dabei seine Faszination für die Sowjetunion zum Tragen, deren Erbe noch häufig in Zentralasien sichtbar ist.

Es tut gut, mal für zwei oder drei Tage aus der Stadt zu fahren. Im Zentrum Almatys kann es doch einstweilen ganz schön heiß und stickig werden. So habe ich ein paar Tage in einem alten, sowjetischen Sanatorium in den Bergen oberhalb der Stadt verbracht. Die frische Luft und das angenehm kühle Klima auf den knapp 1.500 Metern, auf denen das Sanatorium liegt, sind sehr angenehm, wenn über Almaty mal wieder die Smogglocke hängt.

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Obwohl ich gelegentlich von Rückenschmerzen geplagt werde und dann eine Rückenmassage genau das Richtige ist, bin ich natürlich noch keine 80 Jahre alt und habe weder Rheuma, noch Bluthochdruck oder Blasenschwäche. Ich bin topfit! Trotzdem zieht es mich in diese alten, sowjetischen Sanatorien und Kurorte. Orte, wie aus der Zeit gefallen und mit einer ganz eigenen, bizarren Atmosphäre. Nebenbei bemerkt habe ich gewisses Talent darin, mich selbst älter zu machen, als ich eigentlich bin. Also verschränke ich die Arme hinter dem Rücken und schlendere los. Aber bloß nicht zu schnell!

Viele Architekturdenkmäler der ehemaligen Sowjetunion sind in ihrer Existenz bedroht oder bereits ganz verschwunden. Ich bin ein großer Freund sowjetischer Architektur, und darin liegt der Kern meiner merkwürdigen Faszination für sowjetische Heilanstalten. Sie sind oft wahre Architekturschätze der Sowjetmoderne. Sanatorien sind die wahren, modernistischen Paläste des Proletariats, ihre Formensprache ist nicht selten extravagant und futuristisch, großzügig ausgestattet mit kunstvollen Mosaiken, Reliefs und Plastiken.

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Der sowjetische Arbeiter hatte einen Anspruch auf jährliche, staatlich finanzierte Kuraufenthalte. Die Schwarzmeerküsten und die Hänge des Kaukasus sind vollgebaut mit Kuranlagen, Hotels und Krankenhäusern, in denen die sowjetische Arbeiterschaft im milden Klima und bei guter Luft zu neuen Kräften für ihre sozialistische Arbeit kommen sollte. Dazu kommen Therapieformen und Behandlungsmethoden, die heute überaus sonderbar anmuten und deren Wirkung zumindest bezweifelt werden darf. In Belarus errichtete man ein komplettes Sanatorium unterirdisch in einem Salzstollen; das aserbaidschanische Naftalan setzt bis heute auf Badekuren in Rohöl.

Das Sanatorium, in welchem ich ein paar Tage verbrachte, erscheint dagegen schlicht und trostlos, ohne jede Extravaganz. Das Gebäude hat seine besten Tage schon lange hinter sich. Die Inneneinrichtung in gedeckten Pastelltönen, aber auch sämtliches Personal, das Essen in der Kantine oder die medizinischen Behandlungen scheinen aus der Sowjetunion entsprungen zu sein. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein, und zwar gefühlt ziemlich genau im Jahr 1976. Die lieblose Dekoration auf den Gängen und die unzähligen, grünen Topfpflanzen, die sich auf das ganze Gebäude verteilen – ein erschreckend trister und gleichzeitig faszinierend atmosphärischer Ort.

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Der Aufenthalt in einem solchen Sanatorium ist unschlagbar günstig. Im Preis enthalten sind fünf Mahlzeiten am Tag, die allerdings generalstabsmäßig in dem mit grellen Energiesparlampen beleuchteten Speisesaal gereicht werden. Für die Zeit meines Aufenthalts sind Tischnummer und Sitzplatz festgelegt, ebenso die Anzahl der Buletten oder Brotscheiben, die mir zu jeder Mahlzeit zustehen. Die Essenszeiten sind pünktlich einzuhalten, aber auch die Mittagspause und die Bettruhe am Abend.

Ich habe die Tage in den Bergen mit Massagebehandlungen für meinen Rücken verbracht. Ansonsten ist man wahrlich gezwungen, zur Ruhe zu kommen. Das Sanatorium liegt in einem dicht bewachsenen Waldstückchen. Der Lärm der Großstadt und die Annehmlichkeiten der Zivilisation, wie beispielsweise Internet, sind hier fern. Doch genau das ist ab und an sehr angenehm. Eine unbeschreibliche, schrullige Zeitreise in die Sowjetunion war noch gratis mit dabei. Ich bin auf jeden Fall überaus erholt, ausgeruht und mit neuen, überraschenden und sehr interessanten Eindrücken wieder nach Almaty zurückgekehrt.

Philipp Dippl

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