Ich stehe im Innenhof eines Privathauses in Kyzylorda. Es ist Mittagszeit, 43 Grad im Schatten. Ich schwitze fürchterlich in meinem dunkelgrauen Anzug. Aus den Lautsprechern dröhnt kasachische Popmusik, ein Mann mit Mikrofon fordert die Anwesenden zum Tanzen auf, der Innenhof ist festlich dekoriert. Dann fahren mehrere Autos vor, Menschen steigen aus, werden feierlich begrüßt und ins Haus begleitet. Es ist Hochzeitstag.

Kasachische Hochzeiten sind hochformelle und sehr traditionelle Angelegenheiten, die einem strikten, jahrhundertealten Plan folgen und sich über mehrere Tage hinziehen. Alles beginnt mit dem ersten, beinahe wichtigsten Teil jeder Hochzeit, dem sogenannten „Kudalyk“, bei dem die Eltern der Braut die Familie des Bräutigams in ihr Haus einladen und bewirten. Noch in alten Zeiten wurde bei diesem bedeutenden Treffen der Preis für die Braut, die manchmal noch nicht einmal geboren war, ausgehandelt. Einigte man sich über den Brautpreis und die Mitgift der Braut, wurde ein Hammel geschlachtet, um das „Geschäft“ zu besiegeln. Wir, die jungen Leute, müssen an diesem Anlass mitsamt dem zukünftigen Brautpaar, im Nebenraum Platz nehmen, während sich die Ältesten aus beiden Familien an einer festlichen Tafel über Hammelfleisch und Wodka stürzen. Ein Unterhalter sorgt mit Trinksprüchen, einem Akkordeon und alten russischen Liedern für die richtige Stimmung. Es gibt edle Geschenke für die Familie des Bräutigams, kleine Souvenirs und Süßigkeiten für alle anwesenden Gäste.

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Am nächsten Tag folgt der zweite Teil der Hochzeit, das sogenannte „Kys Usatu“. An diesem, eigentlich traurigen Tag verlässt die Braut die eigene Familie. Aus diesem Grund wird ein großes Bankett für die Brautfamilie veranstaltet und dem Brautpaar in einer langen Zeremonie Glückwünsche und Trinksprüche von den anwesenden Gästen dargebracht. Diese Veranstaltung kann sich über Stunden hinziehen, wobei es sich alle bei der reich gedeckten Tafel gut gehen lassen und gemeinsam die Gläser auf das Brautpaar erheben, welches dazu verdammt ist, stundenlang in Stille auf einer Bühne sitzend alles über sich ergehen zu lassen. Der Abend endet damit, dass die Braut über ein langes, weißes Tuch symbolisch aus der Familie und hin zum Bräutigam geführt wird. Der nimmt seine Braut in die Arme und verschwindet mit ihr in aller Schnelle in die Hochzeitsnacht.

Die Feierlichkeiten finden am dritten Tag ihr Ende, es ist der Tag der eigentlichen Hochzeit. Die Familie des Bräutigams empfängt die Braut in der Familie und organisiert ein großes Fest für ihre Verwandten. Ich, als Gast der Brautfamilie, bekam ebenfalls einen Platz am Tisch der Familienältesten zugewiesen und ein dickes Stück vom Hammelkopf, dem schmackhaftesten und ehrenvollsten Teil des Schafes, überreicht. Der Abend ist begleitet von glitzernden Tanz- und Showeinlagen und wiederum halten alle Teile beider Familien bis in die späte Nacht ausschweifende Tricksprüche auf das Brautpaar.

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Der Tradition nach kennt die kasachische Hochzeit noch weit mehr offizielle Teile als diese drei, die heutzutage üblich sind. Ich bin zwar begeistert von der Opulenz, doch auch irgendwie glücklich, als das Fest endlich ein Ende gefunden hat. Ob in Deutschland oder in Kasachstan, Hochzeiten scheinen immer größer zu werden. Man überbietet sich gegenseitig bei den Geschenken, dem Veranstaltungsort, dem Musikprogramm oder den Showeinlagen. Mit riesigen Hochzeitslimousinen werden Rundfahrten unternommen, und ganze Teams aus Fotografen und Kameramännern halten jeden Moment in Bild und Ton fest. In Tadschikistan hat man gar per Gesetz die Zahl der Hochzeitsgäste und den Höchstwert von Hochzeitsgeschenken festgelegt, um dem Hochzeitswahnsinn Einhalt zu gebieten. Dabei ist es bei all dem Prunk noch nicht einmal sicher, dass die Ehen besonders lange halten: Laut aktuellen Statistiken werden in Kasachstan knapp 40 Prozent bereits innerhalb der ersten fünf Jahre wieder geschieden.

Philipp Dippl

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