Das Friedensstiftende Projekt der Robert-Bosch-Stiftung ermuntert junge Menschen aus dem Ferghanatal dazu, die Generationen ihrer Eltern und Großeltern als Zeitzeugen blutiger Konflikte in der Region zu befragen. Diesmal der Einblick in die Familiengeschichte des Schülers Faridundschon Chusainow (Foto).

Große rote Wände, ein runder Holztisch und ein abgesessener Lederstuhl, der dort wahrscheinlich schon seit 20 Jahren steht: Mittendrin ein 15-jähriger Junge, Faridun Chusainow – schwarze, glattgekämmte Haare und ein zufriedenes Lächeln. Wie jeden Morgen isst er mit seiner Familie das schmackhafte Frühstück, das seine Mutter zubereitet hat. Schön, dass heute Sonntag ist, ansonsten hätte jeder schnell aufgegessen und wäre zur Arbeit oder in die Schule gefahren. Auch der wolkenlose Himmel und die hell scheinende Sonne über der Stadt Chudschand (Tadschikistan) sorgen für gute Laune. „Endlich gibt es einen sonnigen Tag nach zwei Wochen Regen“, sagt Fariduns Großmutter, mit der sich der Junge gerne über die Familiengeschichte oder einfach über Alltagsthemen unterhält. Man kann ohne jeden Zweifel sagen, dass für jeden hier die Familie das Wichtigste ist.

Die Großmutter erzählt eine Geschichte über ihre Jugend, und die Enkel hören aufmerksam zu, denn für sie ist es interessant zu hören, wie es früher war. „Als ich ein Kind war, gab es in unserer Stadt nur ein Eiscafe, das von unserem Haus fünf Kilometer entfernt war. Aber heute zählt man selbst in unserer Gegend drei davon“, berichtet sie. Man könnte ihr 24 Stunden lang hören und würde sich nicht langweilen. Die alte Familienwanduhr, die Fariduns Opa von einem Freund aus Polen als Geschenk bekommen hat, zeigt 11 Uhr. Es bedeutet, es ist die Zeit gekommen, sich umzuziehen und in einen anderen Teil der Stadt zu fahren, um das älteste Familienmitglied, den Bruder von Fariduns Großvater – Umedschon Chusainow – zu besuchen. Bald wird er 70, und das Bewegen fällt ihm schwer, seitdem er im Bürgerkrieg 1992-1997 gekämpft hat. Ihr Gespräch verläuft in einer zwanglosen Atmosphäre. Die Kinder machen Witze über seinen etwa 20 cm langen Schnurbart, um seine Laune zu heben.
Die Familie diskutiert darüber, wie man seinen Geburtstag feiern könnte. Eigentlich versammelt sich die Familie bei jedem Fest und zu fast jedem Geburtstag. Sie treffen sich nicht in einem Cafe oder Restaurant, wie viele andere, sondern zu Hause, im Kreis der Familie. „Hier fühlen wir uns am wohlsten“, erläutert Fariduns Vater. Wenn die Gäste zur Sprache kommen, erinnert sich die Familie an Onkel Fitrat, den Cousin von Fariduns Vater. Er ist mit einer Russin verheiratet und lebt zurzeit in Holland.

Der Familienälteste wird traurig, denn er hat Fitrat bereits seit zwölf Jahren nicht gesehen. „Wenn er doch bei uns wäre“, sagt er mit einem tiefen Schwermut. Er bittet, dass sie Onkel Fitrat anrufen und ihn zu seinem 70. Geburtstag einladen. „Ich bemühe mich zu kommen“, verspricht Onkel Fitrat am anderen Ende der Leitung. Umedschon wird freudiger, aber an seiner Mimik ist gut zu erkennen, dass er seinem Neffen kaum glaubt.

„Schon zwei Uhr?“, fragt Faridun. „Ich habe vergessen, dass ich mit Freunden zum Bowling verabredet bin.“ Er verabschiedet sich schnell von allen und macht sich auf den Weg. Die zweite Hälfte des Tages verbringt Faridun oft mit seinen Freunden. Aber um 20 Uhr geht er nach Hause, um sich auf den nächsten Schultag vorzubereiten. Er besucht ein Gymnasium. Das ist anspruchsvoller als die Mittelschulen, die seine Freunde besuchen. Er ist nicht traurig darüber, die Schule gewechselt zu haben. Es ist das Beste, was ihm passieren konnte, denn sein Leben hat sich kardinal geändert. „Ich lerne jetzt viel mehr. Ich vergeude die Zeit nicht. Mein Ziel – ein Medizinstudium in Deutschland – werde ich mit aller Kraft verfolgen“,– sagt Faridun und macht die Mathehausaufgaben weiter.

Es war ein ganz normaler Tag in Fariduns Familie. Und doch entdeckt man darin die Geschichte vieler Einzelschicksale und die einer ganzen Region. Man kann so unendlich viele Tage mit unzähligen Familien im Fergana-Tal verbringen. Nun beginnt eine neue Schulwoche, und dann fangen die Sommerferien an. Faridun kann dann noch mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Wahrscheinlich wird seine Oma noch einige spannenden Geschichten erzählen.

Elvira Bakyt Kysy, 18, Dschalalabad, Kirgisistan und Bachowaddin Chakimschonow, 16, Chudschand, Tadschikistan

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