Wer in Kasachstan billig einkaufen will, der fährt in die Freihandelszone Khorgos. Drei Jahre war die wegen der Pandemie geschlossen – doch nun strömen die Schnäppchenjäger wieder nach China. Auch wir haben uns auf den Weg gemacht.

Sechs Euro kostet die Einkaufstour nach China. Doch zunächst geht es zur Passkontrolle. Fasziniert blättert der Beamte durch unsere Pässe. Deutsche sind an diesem Kontrollpunkt im Osten der kasachischen Steppe wohl eher selten zu sehen. Doch nachdem sein Kollege alle Pässe abgestempelt hat, können wir endlich den Bus Richtung China besteigen. Langsam geht es durch das mit Stacheldraht eingezäunte Niemandsland, und nach zwei weiteren Kontrollen sind wir da: im International Center for Border Cooperation Khorgos (ICBC).

2011 wurde die Freihandelszone an der kasachisch-chinesischen Grenze eröffnet und als das „Dubai“ an der neuen Seidenstraße beworben. Die großen Träume von der kasachisch-chinesischen Zusammenarbeit manifestieren sich architektonisch an dem großen Tor, das die beiden Teile der Zone verbindet. Reliefs sollen an die früheren Zeiten erinnern, als hier die Karawanen von China nach Europa zogen. Doch der daneben verlaufende Stacheldrahtzaun zeigt, dass es hier trotz aller Zusammenarbeit immer noch eine stark bewachte Grenze gibt, die jederzeit wieder geschlossen werden kann.

Skeptisch mustern die chinesischen Polizisten unsere Pässe. Die Frage, ob wir Journalisten sind, verneinen wir lieber, dennoch macht uns ein Beamter klar: Interviews führen und filmen ist hier nicht erwünscht. Endlich in China angekommen, treffen wir zwei junge Tadschiken wieder, die wir am Vortag im Zug Richtung Khorgos kennengelernt haben. Mit einem Schlauchboot, Rettungswesten und mehreren Kartons mit neuen Nike-Sneakern treten sie den Rückweg nach Kasachstan an. Unser Einkauf im chinesischen Shoppingparadies steht hingegen erst noch bevor.

Gleich hinter der Grenze stehen schon die ersten beiden chinesischen Einkaufszentren. Eine blecherne Computerstimme informiert auf Russisch über das Angebot der Mall King Kong: „Besuchen Sie auch unser komfortables Hotel.“ Dieses Angebot nehmen wir gerne an und checken ein für eine Nacht.

Analoges Amazon

Doch die Mall King Kong ist eher enttäuschend. Hier gibt es fast nur Pelzmäntel – aber wer braucht so etwas bei 38 Grad? Dann doch lieber in die Mall nebenan, die einen vom Angebot her fast erschlägt: Waschmaschinen und Handys, Kinderspielzeug und Kleidung, Bettwäsche und Schlauchboote, Autoreifen und Teppiche und vieles mehr. In jedem der engen Korridore sind andere Waren zu entdecken. Käufer wuseln umher, während Händler mit ein paar Brocken Russisch ihre Waren anpreisen. Denn die meisten Kunden hier kommen aus Kasachstan und versuchen, billige Waren Made in China noch billiger zu bekommen.

Khorgos ist eine Art analoges Amazon. Es gibt hier nichts, was es nicht gibt, und alles zu Spottpreisen. Sechs Euro kostet hier das Paar Adidas-Sneaker, und es stellt sich die Frage, ob echt oder gefälscht – aber am Ende kommt beides eh aus China. Meine Kollegin kauft sich eine neue Handyhülle für vier Euro – wohl auch eine Fälschung. Einen kitschigen Teddybären aus Fakerosenblättern gibt es gratis dazu. Und plötzlich ist dann ein Vibrieren im Nacken zu spüren – ein älterer Herr rennt uns hinterher und versucht penetrant, uns seine Massagepistolen zu verkaufen. Khorgos ist ein Ort des billigen Ramsches.

China will Bild von Ordnung und Sauberkeit vermitteln

Doch nicht nur billig einkaufen geht hier, sondern auch chinesisch essen. In einem großen Foodcourt bieten zwanzig Stände ungefähr die gleichen zwanzig Gerichte an. Wir entscheiden uns für gut gewürzte Nudeln mit Gemüse und Rindfleisch. Das ist lecker, aber mit wenig Erfahrung im Stäbchenessen auch eine ziemliche Sauerei. Doch eine noch größere Sauerei erwartet einen beim Gang auf die Toilette: ein Pissoir, dessen Inhalt auf den Boden fließt, Zigarettenstummel und Rauchgestank. Dass es kein Klopapier gibt, ist angesichts dieser Zustände fast schon nicht mehr erwähnenswert.

Diese Schmuddelecken passen eher nicht in das Bild, das China hier vermitteln will. Immer wieder ermahnen Schilder zu Sauberkeit und Ordnung: „Abroad, you represent your country“, steht dort etwa auf Chinesisch, Kasachisch und Englisch geschrieben. Oder: „Litters smash landscape, manners promote civilization.“ Dazu überall Kameras – mutmaßlich mit Gesichtserkennung – und Stacheldrahtzäune, die die Freihandelszone wie ein Freiluftgefängnis vom „richtigen China“ abtrennen. Und wer dem Stacheldraht zu nahe kommt, macht sofort Bekanntschaft mit chinesischen Polizisten, die einen ermahnen von der Grenze wegzugehen.

Nicht nur Kommerz, sondern auch Kultur

China versucht in Khorgos nicht nur, seine Waren zu verkaufen, sondern auch seine Kultur. Ein knallroter Bau beherbergt ein Museum zur chinesischen Kultur. Gezeigt werden Mythen aus der chinesischen Geschichte, Traditionen wie chinesische Philosophie und chinesisches Theater und Erfindungen aus China wie Papier und Seide. Auch ein Raum zur „glorreichen Geschichte“ der Kommunistischen Partei darf nicht fehlen. Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao hängen hier noch in Eintracht nebeneinander.

Doch die wahre Attraktion hier sind wir selbst. Eine chinesische Reisegruppe aus Henan und Gansu macht Dutzende Fotos mit uns – Europäer sind hier in Khorgos eine Seltenheit. Zum Dank schenkt uns ein Kaligraphiemeister aus der Gruppe zwei frisch gepinselte Kaligraphien mit traditionellen chinesischen Gedichten.

Große Träume, leere Hallen

Das Museum, traditionelle Pagoden und große Glastürme zeigen, welches Potential sich China von der Freihandelszone erhofft. Und an vielen Stellen wird auch noch gebaut. Bei unserer Tour treffen wir ein paar Arbeiter aus Ürümqi, die ohne jegliche Schutzmaske in einer neuen Mall schweißen. Eine Million Menschen sollen in wenigen Jahren an der direkt an der Freihandelszone liegenden neuen Stadt Khorgos leben, während in der Nähe die Frachtzüge auf der Neuen Seidenstraße von China Richtung Europa fahren.

Doch trotz großer Visionen steht auch vieles leer: Riesige Hallen für Kongresse, die niemand hier veranstalten will. Hinzu kommt, dass auch Corona in Khorgos seine Spuren hinterlassen hat. Über drei Jahre waren die Einkaufszentren aufgrund der restriktiven Pandemiemaßnahmen der Volksrepublik geschlossen und niemand konnte in die Freihandelszone einreisen. In manchen Malls stehen ganze Etagen leer. Aufgegebene Geschäfte mit leeren Regalen und eingeschlagenen Fenstern sind nur wenige Meter vom bunten Konsumtreiben entfernt.

608 Hektar Billigmarkt

Noch trostloser ist es auf der kasachischen Seite: Bis auf ein paar Duty-Free-Shops, die belarusischen Wodka und Wein mit Stalin-Etiketten an Chinesen verkaufen gibt es hier nur Steppe. Auch Kasachstan hat sich von der Freihandelszone an der neuen Seidenstraße viel erhofft. Doch es zeigt sich hier umso mehr, dass Kasachstan vor allem ein Land für billiges Gas und Öl ist, während die Chinesen den Ton angeben. Was bleibt, sind Kasachen, Kirgisen und sogar Usbeken, die billig chinesische und russische Produkte kaufen, um sie dann an ihren Heimatorten weiterzuverkaufen.

Und auf diese Kundschaft haben sich auch viele Geschäfte in Khorgos eingerichtet. Vor einem Duty-Free-Shop begrüßen zwei riesige aufblasbare Matroschkas die Kunden. „Wir haben hier fast nur russische Produkte, vor allem Süßigkeiten“, sagt Aidana, die aus dem chinesischen Ili kommt und seit drei Monaten in dem Geschäft arbeitet. Am beliebtesten sei dabei russisches Milchpulver. Das muss hier so billig sein, dass viele die Hunderte Kilometer lange Anfahrt auf sich nehmen. Denn am Ende ist Khorgos trotz der Träume von kasachisch-chinesischer Freundschaft nicht mehr als ein 608 Hektar großer Billigmarkt.

Johann Stephanowitz

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