Ein Gespenst geht gegenwärtig in der deutschen Presse- und Politiklandschaft um. Nein, nicht das Gespenst des Kommunismus, wie im Kommunistischen Manifest von Marx beschworen wurde, wohl aber das Gespenst China.

Das bevölkerungsreichste Land der Welt, das in den letzten Jahren eine beeindruckende Wirtschaftsentwicklung hingelegt hat, wird sich auch weiter rasant entwickeln, seine Marktanteile in der Welt vergrößern, Produktionen an traditionsreichen Orten in Europa und anderswo niederkonkurrieren und das sehr oft nicht mit den feinsten Mitteln. Bereits in einigen Jahren wird China Deutschland von der jetzt dritten Stelle auf der Skala der Wirtschaftsmächte verdrängt haben. In weniger als 30 Jahren steht es dann auf Platz eins. Schon heute arbeiten in China etwa 2.500 deutsche Firmen, die im letzten Jahr etwa 1,5 Mrd. Euro dort investiert haben, z. T. auch nach Schließung ihrer Werke in Deutschland selbst. Dieser Trend wird sich fortsetzen, eher wohl verstärkt, als abgeschwächt. So lauten zumindest die Prognosen. Angst macht zudem der in China eher übliche Technologieklau, die große Masse an Absolventen technischer Hochschulen (die in Deutschland und Kasachstan gleichsam eher zur Mangelware werden), der Aufkauf einer Reihe europäischer Firmen durch chinesische Unternehmen u.ä. Dennoch sollte man Ruhe bewahren und die Dinge etwas differenzierter sehen. Da gibt es zum Beispiel auch die ähnliche Erfahrung mit dem aufstrebenden Japan der 1980er und 1990er Jahre. Sicher, China ist rein von der Masse her größer und gewichtiger, der Grundprozess bleibt aber der gleiche. Wodurch erzielt die Mehrzahl der chinesischen Unternehmen heute ihre Erfolge auf den Weltmärkten? Überwiegend durch niedrige Kosten, bei allerdings zunehmender Qualität. Die niedrigen Kosten haben aber auch Ursachen. Zu den wesentlichen gehört das, was Marx schon im o. g. Manifest beschrieben hat: Ausbeutung pur. Die ist in China tägliche Praxis. Die Arbeitszeiten sind lang, die Erholungszeiten kurz, soziale und ökologische Mindeststandards gibt es eigentlich nicht, die Währung ist um etwa 20 Prozent unterbewertet. All das wird auf Dauer nicht so bleiben. Zwar wird die Bevölkerung noch durch ein repressives System ruhig gehalten, doch die Regierung hat begriffen, dass dies auf Dauer nicht geht. Es ist das Ziel gesetzt worden, die enormen Wohlstandsgefälle im Land abzubauen und generell die einseitige Exportorientierung zugunsten einer stärkeren Ausweitung des Binnenverbrauchs aufzulockern. Schon steigen vielerorts die Löhne, Gewerkschaften erobern der Reihe nach Betriebe und werden dort tätig, Nichtregierungsorganisationen beginnen (wenn auch noch sehr zurückhaltend) zu arbeiten und soziale und ökologische Standards einzufordern. Der Umweltzustand behindert mittlerweile vielerorts den Wirtschaftsaufschwung, bereits jetzt müssen 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Umweltschutz ausgegeben werden. Zur Lösung der Umweltprobleme muss sich dieser Anteil in Richtung Verdopplung bewegen. Die Lohn-, Sozial- und Umweltkosten werden also auf jeden Fall steigen. Damit wird sich die preisliche Konkurrenzfähigkeit chinesischer Waren verschlechtern. Hinzu kommt, dass China sehr stark von Rohstoffimporten abhängig ist, deren Preisniveau langfristig eher hoch bleiben wird. Von der durchaus gewaltigen Zahl von Absolventen technischer Hochschulen entsprechen im Moment nur 10 Prozent den europäischen Anforderungen. Den größten Beitrag zur mittelfristigen Verringerung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Waren wird allerings die unvermeidliche Aufwertung des Renminbi, der chinesischen Währung, spielen. Bisher weigert sich die chinesischer Regierung noch erfolgreich, den Wechselkurs freizugeben. Doch der internationale Druck nimmt zu, so dass dies nur eine Frage der Zeit ist. Die dann anstehende Aufwertung des Renminbi führt zu einer Verringerung der Exporterlöse und zu einer Erhöhung der Importpreise in nationaler Währung. Folglich werden Exporte weniger attraktiv und Importe billiger, die jetzt stark zugunsten Chinas ungleichgewichtige Außenhandelsbilanz (wesentlich mehr Exporte als Importe) kommt ins Gleichgewicht. Dieses Szenario wird natürlich nicht verhindern, dass die Karten neu gemischt werden, also die internationale Arbeitsteilung sich weiter vertieft. Gewonnen haben bisher  bei diesen Prozessen letztlich alle Beteiligten. Warum sollte es diesmal anders sein? Allerdings hilft Angst nicht, diese Vorteile zu nutzen. Natürlich sind aktive Maßnahmen, z. B. gegen Technologieklau, notwendig, wichtiger ist jedoch, die Chancen der chinesischen Märkte nicht zu verpassen. Manche Marktlücke in China könnte nämlich größer sein als der gesamte nationale Markt anderswo.

Bodo Lochmann

03/11/06

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