Seit Neujahr hat Russland den prestigeträchtigen Vorsitz in der Staatengruppe der G-8 inne. Im Konzert der führenden Industrieländer kann Moskau nach langen Jahren der Vorbereitung endlich die erste Geige spielen. Dass der Gas-Streit mit der Ukraine ausgerechnet zum Auftakt des G-8-Engagements eskalierte, mag dem Westen wie ein Patzer klingen. In Moskau gelten die schrillen Töne dagegen als Ausdruck neuen Selbstbewusstseins. Vorbei scheint die Zeit, da sich Russland als fairer Partner in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten präsentierte. Die Signale stehen auf Sturm: Lautstark und dominant setzt sich der Kreml in Szene.

Seit Jahren gibt sich Präsident Wladimir Putin alle Mühe, die Machtvertikale in seiner Heimat zu stärken. Nach den wirren neunziger Jahren soll allein die Administration die Richtung vorgeben. Russlands direkte Nachbarn und auch der Westen schauen staunend zu, in welchem rasanten Tempo der äußerlich zurückhaltend wirkende Staatschef das Riesenreich umkrempelt. Viele Russen betrachten diese Kehrtwende mit Wohlwollen. Ihnen erscheint es als Trostpflaster, wenn der Staat zu alter Größe zurückfindet, auch wenn sie selbst in Armut darben.

Mit dem Gas-Streit schlägt der Präsident neue Saiten an. Er demonstriert der gesamten Welt, dass der Kreml wieder die Zähne zeigen kann und im Zweifelsfall auch gewillt ist, zuzubeißen. Putin, der frühere Geheimdienstoffizier und erklärte Freund der Uniformierten, hat nie Zweifel daran gelassen, dass er die Welt in militärische Kategorien einteilt. Seit Jahren bedient er sich ohne Scheu der Symbolik zaristischer und sowjetischer Militärtraditionen. Nun hat er eine Waffe entdeckt, die er gegen potenzielle Gegner hoch effektiv einsetzen kann: Mit Erdgas und Erdöl lassen sich feindliche Kräfte niederringen und Allianzen schmieden. Der erste Streich traf Georgien: Nachdem sich Tiflis mit der Rosenrevolution aus der russischen Zwangsumarmung befreit hatte, wurde es umgehend zur Kasse gebeten. Der zweite Stoß trifft die Ukraine mit voller Wucht, sie hatte sich mit der orangefarbenen Revolution aufmüpfig gezeigt. Dem kremlhörigen Weißrussland bietet Gazprom seine Rohstoffe dagegen weiterhin zum Schnäppchenpreis an.

Von einer Auseinandersetzung unter Geschäftspartnern ist das Ringen um die Gaspreise weit entfernt. Das freie Spiel marktwirtschaftlicher Kräfte findet im Osten ohnehin auf immer kleinerem Raum statt. Massenhaft erklärte der Kreml in jüngster Zeit Großbetriebe zu strategisch bedeutsamen Unternehmen, um den ausländischen Einfluss zu schwächen. Allein mit dem Schutz von Rüstungsgütern, wie es auch im Westen üblich ist, lässt sich das nicht begründen. Es geht um nichts anderes, als darum, die Wirtschaft zu einem gefügigen Orchester zu formen, das sich ausschließlich am Dirigenten orientiert.

Tonangebend erweist sich dabei der Konzern Gazprom, der mehr als ein Energieriese ist. Das Unternehmen arbeitet sowohl als Global Player als auch als direktes Instrument des Staates. Dass unter der Regie von Gazprom die Ostseepipeline gebaut wird und bald sogar einige deutsche Stadtwerke von Moskau aus geführt werden könnten, mag in Zeiten der Globalisierung als nichts Besonderes erscheinen. Tatsächlich aber weitet der russische Staat, und in erster Linie der Präsident, seine Macht aus. Nicht alle in Russland teilen das neue Selbstbewusstsein. So warnte die Zeitung „Moskowski Komsomolez” vor allzu viel Ehrgeiz im Gas-Streit: „Falls Westeuropa nur zwei Tage in der Kälte zittern muss, wäre das eine Katastrophe für uns.”

Immerhin galt Russland 30 Jahre lang als verlässlicher Energielieferant des Westens. Trotz aller Umbrüche wurde der Handel konstant betrieben. Davon profitierten beide Seiten. Doch jetzt ist das Image ramponiert. Es ist bedrückend zu sehen, wie gering der Einfluss der EU auf Russland ist. Die Appelle von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und seinen EU-Kollegen verpuffen ohne Wirkung. Der Koloss im Osten lässt sich weit weniger dirigieren, als es Brüssel und Berlin vermuten. Angefangen von den Demokratiedefiziten vor der eigenen Haustür bis hin zu eigenwilligen Hilfen für zwielichtige Regimes in Zentralasien und im Nahen und Mittleren Osten fährt Moskau einen Kurs, bei dem sich westliche Diplomaten nicht selten die Haare raufen. Ob der Versuch gelingt, Russland im Kreise der G-8-Länder stärker einzubinden, muss bezweifelt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor einer Gratwanderung, wenn sie Mitte Januar zum Antrittsbesuch nach Moskau fliegt. Sie darf sich nicht zum Helfershelfer dieser Kreml-Politik machen lassen und muss zugleich gegenüber dem Rohstofflieferanten geschmeidig bleiben.

Stefan Koch

13/01/06

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