Wenn Science-Fiction-Autoren in ihren Büchern vor ein paar hundert Jahren die Weltordnung des XXI. Jahrhunderts vorausgesagt haben, so wurde sie zweifellos durch den Höhenflug der modernen Vermarkter angepasst.

Die virtuelle Realität hat dem „Heiligen“ von gestern den Kampf angesagt und droht mit der Wirklichkeit zu konkurrieren. Aber nicht alles ist so traurig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag: Zu den positiven Aspekten gehören die Eröffnung und Entwicklung neuer Möglichkeiten im Internet. Der Begriff „remote“ hat heute eine erholsame Bedeutung erlangt – er ist relevant, modisch und hat viele Vorteile. Ein Beispiel dafür ist das Online-Shopping. Der Kauf von Waren über das Internet ist alltäglich geworden – die Anforderungen und Vorlieben der Verbraucher steigen stündlich, nicht täglich. Der E-Commerce-Markt wächst und mit ihm eine Generation, für die Marktplätze und Online-Shops eine helfende Hand aus dem Ausland und ein Ersatz für den nächsten Bäcker um die Ecke sind.

Wir sprachen mit Aset Beisenow über die Aussichten für kasachisch-deutsche Geschäfte im Online-Handel und darüber, was Kasachstaner am häufigsten online kaufen. Aset Beisenow ist in Deutschland eine recht bekannte Persönlichkeit: Unternehmer, Leiter der Wirtschaftsförderung und öffentliche Persönlichkeit.

Herr Beisenow, soweit ich gehört habe, begann Ihr beruflicher Start in Deutschland mit Marketingaktivitäten. Stimmt das?

Ja, ich habe mich mit Marketing in der Gastronomie und Hotellerie beschäftigt: den Markt studiert, neue Mechanismen identifiziert. Natürlich nicht allein – ich habe einem Team von Fachleuten geholfen. Sie verstehen schon: ein fremdes Land, eine andere Mentalität. Ein Jahr später trat ich in ein bestehendes Bauunternehmen als einer der Gesellschafter und Geschäftsführer ein. Damals waren meine Deutschkenntnisse auf B1-Niveau, und ich habe sie ein bisschen verbessert: Ich kann mit Fehlern sprechen, es gibt einen Akzent, aber ich lese Literatur und sehe mir Filme an. Alle Fragen, die persönliche Angelegenheiten betreffen, löse ich leicht und selbständig. Übrigens beschäftige ich mich jetzt mit E-Commerce und dem Handel zwischen Kasachstan und Europa. Wir arbeiten an der Einrichtung eines Online-Shops für den Verkauf europäischer Waren in Kasachstan.

Handelt es sich um ein Geschäft und nicht um einen Marktplatz wie Wildberries?

Es wird ein kasachstanisches Geschäft mit einer kasachstanischen Marke, DeDe, und kasachstanischen Aktionären sein. Unsere Aufgabe ist es, Hilfe zu leisten, also das richtige Produkt zu einem guten Preis zu finden und es so schnell wie möglich zu liefern. Der Rest der Arbeit wird von unserem Komplementär mit einem Team von Fachleuten – Kasachstaner, die in Astana und Almaty leben – erledigt. Es ist geplant, dass etwa 10 % unserer Präsenz offline sein werden – in Form von Einzelhandelsgeschäften und Lieferstellen. Es wird notwendig sein, alle Regionen des Landes zu erreichen… Heute versuchen die Menschen entweder selbst oder durch Freunde, Bekannte, Verwandte sowie durch so genannte „Buyer“ verschiedene Waren auf europäischen Websites zu kaufen. Wir wollen das Leben für alle einfacher machen. Wir planen, mit einer kleinen Kategorie von Verbrauchern zu beginnen, aber dann wollen wir eine große Website schaffen, auf der eine maximale Anzahl von Waren präsentiert wird, die die Bedürfnisse aller Käufer befriedigen können. Alles, was in Europa gefragt ist, wollen wir übertragen und den Verbrauchern in Kasachstan anbieten. Die Waren können auf der Website mit jeder kasachstanischen Bankkarte einfach gekauft werden – alle Einkäufe werden an jeden Ort in Kasachstan geliefert.

Wird die Logistik nicht an Sanktionen und anderen Schwierigkeiten scheitern? Schwierige Lieferprobleme bereiten Online-Käufern, Herstellern von Waren und ihren Zwischenhändlern Kopfzerbrechen.

Wir konzentrieren uns jetzt auf die Paketzustellung, vor allem per Flugzeug – das ist schneller als der Bodentransport. Der Prozess startete im September 2023 – wir verkaufen bereits, aber wir tun es über Instagram und Telegram, um den Verkauf und die Liefermechanismen aufzubauen. Vor allem aber sind wir an Statistiken interessiert, welche Waren von von den Menschen in Kasachstan bevorzugt werden.

Was kaufen Kasachstaner am häufigsten online?

Sie kaufen absolut alles. Als wir den Verkauf und die Lieferung von Waren aus Europa sozusagen durch Mundpropaganda ankündigten, dachten wir, dass sie hauptsächlich Kleidungsstücke und Parfüm kaufen würden. Aber das Erste, was sie kauften, war Geschirr sowie Waren für Küche und Haushalt. Dann kam der Verkauf von Kleidung, Parfüm, Kosmetik, Kurzwaren. Jetzt kaufen die Menschen sogar deutsche Haushaltsgeräte, zum Beispiel Staubsauger. Auch Spielzeug und deutsche Schokolade sind gefragt.

Wann ist die offizielle Eröffnung des Online-Shops geplant?

Im April 2024 – die Arbeit, die zu tun ist, ist nicht einfach: Wir müssen nicht nur Zahlungssysteme integrieren, sondern auch Spediteure, die die kasachstanische Seite mit den europäischen Seiten verbinden… Es muss alles wie ein Schweizer Uhrwerk funktionieren.

Wie lange sind Sie schon in Deutschland?

Seit vier Jahren. Ich bin in Semipalatinsk geboren, habe an der Universität in Almaty studiert und bin dann nach Astana gezogen. In den Jahren 2016-2017 war ich beruflich oft in Deutschland, und generell bin ich viel in Europa herumgereist. Die europäische Kultur, das Alltagsleben, die Werte und die Lebenseinstellung haben sich in meine Seele eingeprägt. Wissen Sie, diese ruhige, harmonische Lebensweise… Man kümmert sich eher um sich selbst und um die Menschen, die einem sehr nahestehen, als um die Prozesse, die um einen herum ablaufen. Die Europäer lassen sich nicht von Dingen und Menschen ablenken, die sie wenig interessieren oder gar in ihre Lebensprozesse eingreifen. Die Liberalität, die ich natürlich auch in Amerika gespürt habe, ist in Europa sanfter und ruhiger. Ich mochte die Natur, das gemäßigte Klima: warm im Winter und nicht zu heiß im Sommer. Ich war beeindruckt von den alten Gebäuden, von der Geschichte, die Europa geprägt hat – ich wollte das alles tiefer kennenlernen, hier leben und nicht nur als Tourist anwesend sein. Es gab viele Gründe, hierher zu ziehen. Ich war auch um die Bildung meiner Kinder besorgt: In Kasachstan besuchten sie eine Privatschule, aber ich dachte, dass eine westliche Bildung ihnen helfen würde, sich im späteren Leben besser zu verwirklichen.

Was hat Ihre Familie von der Idee des Umzugs gehalten?

Zuerst habe ich mit niemandem darüber gesprochen, ich habe alle Aspekte für mich allein untersucht. Ich wollte sichergehen, dass mein Wunsch es wirklich wert ist, darüber nachzudenken und laut darüber zu sprechen. Erst nach einiger Zeit habe ich meiner Frau von der Idee erzählt – sie war begeistert. Wir planten gemeinsam weitere Reisen nach Europa. Auf unseren Reisen durch Österreich, Deutschland, die Schweiz und Frankreich sahen wir uns diese Länder, Städte und Menschen an… Aber der vielleicht wichtigste Faktor in dieser Angelegenheit war meine Mutter, die, gelinde ausgedrückt, dagegen war. Meine verbalen Argumente, dass das Leben eins ist und ich nicht nur an mich, sondern auch an meine Kinder denken sollte, überzeugten meine Mutter schließlich, und sie gab grünes Licht.

Ich weiß, dass Sie ein aktives Leben in Deutschland haben….

Ich versuche es. Seit ich hierher gezogen bin, habe ich angefangen, alle möglichen Veranstaltungen zu besuchen, bei denen Kasachstaner und Spätaussiedler aus Kasachstan zusammenkommen. Ich lernte ihre Gemeinschaften und Vereine kennen – und das in ganz unterschiedlichen Städten. Um ehrlich zu sein, habe ich mir damals eine solche Kommunikation anders vorgestellt, in einem anderen Format. Ich dachte, dass diese Vereinigungen stärker und freundlicher sein sollten, aber leider… Die Gemeinschaften waren meist klein, mit kleinen Missionen. Ich dachte daran, alle unter einem Dach zu vereinen, mit dem Ziel der gemeinsamen Entwicklung, der Unterstützung, der gegenseitigen Hilfe. Nun, und natürlich zum Zweck einer vielversprechenderen Interaktion zwischen Kasachstan und Deutschland. Ich beobachtete, analysierte und erst 2023 begann ich, Aktivisten in Frankfurt zu versammeln…

Ich erzählte sowohl dem Generalkonsul als auch dem Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter Kasachstans in Deutschland von meiner Idee – sie waren daran interessiert. In diesem Jahr fand in Köln der Kurultai (Anm. Volksversammlung) der Kasachen in Europa statt, an dem Teilnehmer aus sechzehn europäischen Ländern teilnahmen. Einer der Organisatoren war der kasachische Fonds „Otandastar“, dessen direkte Aufgabe es ist, Landsleute in der ganzen Welt zu unterstützen. Ich hatte ein sehr langes Gespräch mit dem Leiter des Fonds, Absal Saparbekuly. Am Ende schüttelte er mir die Hand und sagte, dass er sich sehr freuen würde, wenn es mir gelänge, die Idee zu verwirklichen. Ich möchte erwähnen, dass unsere Gemeinschaft mit dem Namen „Deutsch-Kasachische Kulturgesellschaft Otandas“ im Moment offiziell registriert ist – wir werden bald alle rechtlichen Papiere in den Händen halten. Wir haben unsere eigenen Chaträume, ein Büro und Aktivisten. Für das nächste Jahr planen wir, so viele unserer Landsleute in Deutschland wie möglich zu erreichen – wir wollen in allen Regionen des Landes Veranstaltungen organisieren. Wir hoffen, dass wir zur größten Vereinigung von Kasachstanern in Deutschland heranwachsen werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Marina Angaldt

Übersetzung: Annabel Rosin

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