Claus Dieter Storm ist im Rahmen des kasachstanisch-deutschen Lehrerentsendeabkommens als Fachberater für Deutsch in Kasachstan. Er betreut ausgewählte Schulen mit vertieftem Deutschunterricht und ist Prüfungsvorsitzender für das Deutsche Sprachdiplom

Traditionell endet der Unterricht für alle mit dem „Letzten Klingeln“ am 25. Mai. Der Gast dieser Feier erlebt eine lebendige, bunte, würdige Feierstunde mit Ansprachen, Übergabe der Auszeichnungen für Schüler und Lehrer, kulturellen oder sportlichen Vorführungen – und mit nicht zu übersehenden Signalen, wo die Schule sich in der Gesellschaft sieht oder wo sie gesehen werden möchte.

Selbstverständlich ertönt die Nationalhymne in kasachischer Sprache: Bei der einen Schule wird sie lautstark von den Anwesenden gesungen, bei der anderen vom Tonband abgespielt und andächtig beschwiegen. Selbstverständlich weht die Nationalflagge: Bei der einen Schule wird sie ehrfürchtig im Kreis herumgetragen und gezeigt, in der anderen ohne große Umstände gleich gehisst. Soweit, so gut. Die Symbole des Staates werden angemessen gewürdigt, und das kann sich ruhig in der Form unterscheiden, so lange der Zweck, die Würde, erreicht wird.

Auffällig allerdings ist, dass auch bei den bisher „russischen“ Schulen der Anteil der kasachisch gehaltenen Reden zunimmt. Hier zeichnet sich ein deutlicher, grundlegender Wandel ab: In Kasachstan gibt es traditionell die Unterscheidung zwischen „russischen“, „kasachischen“ und „uigurischen“ Schulen. Diese Unterscheidung betrifft die allgemeine Schulsprache in Unterricht und Verwaltung. Bis 1998 gab es sogar auch noch „deutsche“ Schulen, und wohl auch „usbekische“ oder „koreanische“.

Das allerdings ist vorbei. Die allgemeine Entwicklung an den Schulen in Kasachstan geht dahin, dass man die Unterscheidung in „russische“ oder „kasachische“ Schulen anscheinend nicht mehr haben möchte. Gewünscht werden „kasachstanische“ Schulen, womit allerdings „kasachische“ Schulen gemeint sind. Bisher war es selbstverständlich, dass „russische“ und „kasachische“ Schulen in den Städten nebeneinander existierten und den Interessen und Wünschen der Bürger dienten. Das scheint sich in diesen Jahren zu ändern.

Die Schulen haben nun immer stärker den Interessen des kasachstanischen Staates zu dienen, und da steht der kasachische Patriotismus ziemlich weit oben. Das geht vor allem zu Lasten der russisch sprechenden Bevölkerung, seit vielen Generationen ein fester Bestandteil der kasachstanischen Gesellschaft. Sie erlebt nun, dass die Bezeichnung „kasachstanisch“ zusehends durch die Bezeichnung „kasachisch“ ersetzt wird. Der Raum für die russisch sprechenden Menschen in der Gesellschaft wird enger.

Das merkt man in fast allen Bereichen des täglichen Lebens, vom Fernsehprogramm bis eben hin zur Schulpolitik. Und dort auch ganz unten an der Basis, in den einzelnen Schulen. Vielleicht wird es in fünf Jahren nur noch „kasachische“ Schulen geben. Käme es so, ginge für Eltern, Lehrer und Schüler aber ein Stück Freiheit und kulturelle Selbstbestimmung verloren.

Ich meine, dass die Schulen in allen Ländern wichtigere und größere Aufgaben haben als den patriotischen Zielen des Staates zu dienen. Der bekannte Wissenschaftler Albert Einstein sagte einmal, dass der Staat für die Menschen da sein solle und nicht die Menschen für den Staat.

Das kann man zugespitzt auch auf die Schule übertragen: Der Staat ist für die Schulen da, und nicht die Schulen für den Staat. Und weiter gedacht: Nicht die Menschen müssen den Schulen dienen, sondern die Schulen den Menschen.

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