Ökotourismus ist kein Armeleute-Tourismus, er ist nicht in erster Linie Verzicht – Dagmar Schreiber sorgt seit acht Jahren dafür, dass deutsche Touristen nicht nur in Städten wie Almaty oder Astana festhängen, sondern auch die entlegenen Orte kennenlernen.

/Bild: privat. ‚Die Gastgeber bemühen sich, den westlichen Ansprüchen zu genügen. Dafür sorgen auch spezielle Schulungen.’/

In unserem Katalog haben wir die Anforderungen an einen „Ökotouristen” in Kasachstan so formuliert: „Sie bringen mit: Neugier auf ein äußerst vielfältiges Land zwischen Europa und Asien, zwischen nomadischer Tradition und globalisierter Moderne – Sie wollen wissen, warum man hier Fleisch auf der Leine trocknet, einen Esel reitet und mit Kuhfladen heizt, aber andernorts unbedingt einen Hummer fahren will, Offenheit für andere Lebensumstände, Sitten, Gerichte – Pferde können auch gegessen werden, und ihre Milch ist trinkbar. Improvisationsvermögen für Situationen, die anders geplant waren – Es schneit, obwohl es Sommer ist. Toleranz für Verhältnisse, die deutlich bescheidener oder eben anders sein können, als das, was Sie aus Europa kennen – Plumpsklos und Wasser von der Pumpe in den vielen Dörfern ohne Kanalisation. Oder: Die Bahn braucht 18 Stunden für 1.200 km.“

Der schlaue Leser merkt sofort: Hier wird aus so mancher Not eine Tugend gemacht. Ja, wer hier naturnah reisen will, muss Abstriche machen. Manch einer nimmt das gelassen oder sogar freudig auf, als „Retro-Urlaub” oder „back to the roots”. Andere sehen es als notwendiges Übel. Aber für viele sind Pumpsklo und Pumpe ein Ausschlusskriterium. Es stimmt nicht, dass Kasachstan nur mit seinen schönen Naturlandschaften winken muss, und schon kommen Heerscharen von Touristen aus aller Welt angeströmt. Es stimmt auch nicht, dass die meisten Touristen aus „zivilisierten” Ländern lieber in Familienpensionen unterkommen als im Hotel. In Europa hat die Privatsphäre einen ganz anderen Stellenwert als hier. So manch einer verträgt das große Maß an Nähe zu den Gastgebern nicht, das man mit dieser Art von Reisen auf sich nimmt.

Kein Armeleute-Tourismus

Das Schaf im Kofferraum – für Touristen der perfekte Schnappschuss.

Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Es sind nicht die vom Tourismusministerium favorisierten superschicken und teuren Megaprojekte, die den Reiseboom nach Kasachstan bringen werden. Und es ist auch nicht die Abwesenheit von Komfort, freilich gepaart mit großer Herzlichkeit und Authentizität, die Hunderttausende Romantiker, Nostalgiker und Naturfreunde hierher verschlagen wird. Ja, es gibt sie wirklich, die Rucksacktouristen, die preiswerte Unterkünfte suchen und die gern auf dem Boden auf kasachischen Filzmatten schlafen, denen eine nächtliche Stolpertour über den Hof zum Abtritt und am knurrenden Hund vorbei nichts ausmacht. Aber diese sympatischen Abenteurer stellen höchstens zehn Prozent der von Kasachstan als Zielpublikum anvisierten Reisenden.

Ökotourismus ist kein Armeleute-Tourismus, er ist nicht in erster Linie Verzicht. Ökotourismus in Kasachstan muss auch Leute „anlocken”, die auf komfortablen Urlaub setzen, die nach einer Tagestour zu Pferd oder einer Fotosafari per Jeep durch die staubige Steppe abends gern ein Bad nehmen und dann einen Cocktail auf der Terasse der Lodge trinken wollen. Dafür gibt es im Moment weder ein nennenswertes Angebot noch eine relevante Nachfrage. Hier fehlen unternehmerischer Geist, guter Geschmack, Kreativität und Finanzierungsangebote einerseits und das Publikum andererseits. Ein Teufelskreis, der nur durchbrochen werden kann, indem man die kleinen Erfolgsgeschichten, die es schon gibt, kontinuierlich ausbaut.

Und so ermutigen wir unsere Besucher, Almaty zu verlassen und sich auf das wilde Kasachstan einzulassen, in „unsere” Dörfer zu fahren, wo sich die Gastgeber redlich bemühen, unseren Qualitätsstandards zu entsprechen, die auf Sicherheit, Sauberkeit, Freundlichkeit orientieren. Und die Kommunikation von Gastgebern und Gästen führt, neben unseren Schulungen, allmählich dazu, dass sich das Angebot verbessert.

Unsere Gäste fahren nach Sati zu den Kolsai-Seen, in eine skurrile Datschensiedlung am Balchasch-See, nach Südkasachstan ins paradiesische Reservat von Aksu-Schhabagly oder in den Nationalpark Sairam-Ugam, in den Altai zu Imkern und Geologen, in die beerenreichen Wälder von Karkaraly, an die Steppenseen im Reservat Tengiz-Korgalschin oder in das urige Dörfchen Schabanbai Bi am Fusse des höchsten Steppenberges, des Aksorang. Sie machen Wochenendausflüge nach Talgar oder Aksai ganz in der Nähe von Almaty oder wagen eine Winterreise zum Kältepol Kasachstans, nach Balkaschino, wo es gespurte Langlaufloipen im herrlichen Kiefernwald gibt. In Zukunft werden wir hoffentlich wieder Touren in den wunderschönen Dschungarischen Alatau anbieten können, wenn wir endlich die Prozeduren für die Erstellung von Grenzgebietspermits im Griff haben. Und auf der entlegenen Halbinsel Mangischlak möchten wir gern eine Partnergemeinde für die Entwicklung von Gästehäusern finden.

Kein Luxus, aber…

Die meisten unserer Gäste hinterlassen Kommentare wie „Herzlichen Dank für den Kontakt zu M.! Wir haben einen neuen Freund gefunden.” Viele kommen wieder, inzwischen haben wir zahlreiche Stammgäste. Sie wissen, was sie bei uns bekommen. Keinen Luxus, sondern laut unserem Katalog: „Urlaub, der Erholung ist. Eine Ahnung davon, wie schön es ist, ins Blaue hinein zu fahren oder zu laufen. Zweifel, ob Ihr bisheriges Lebenstempo das richtige für Sie ist. Lust, der Zivilisation etwas länger den Rücken zuzukehren. Die nötige Gelassenheit, um kleine Missgeschicke künftig nicht allzu ernst zu nehmen. Neue Freunde. Garantiert einen Filzhut oder etwas ähnliches geschenkt. Einen kleinen Muskelkater vom Reiten, an Stellen, wo Sie keine Muskeln vermutet hätten. Die Gewissheit, dass es ein Land gibt, das die landschaftlichen Schönheiten der Sahara, der Rocky Mountains, des Monument Valley, Sibiriens und der Sächsischen Schweiz vereint. Sehnsucht, einen solchen Urlaub irgendwann oder sogar bald zu wiederholen.“

Dagmar Schreiber

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