Teil 3: die Mittdreißiger

Nachdem ich mich in den vergangenen Ausgaben mit der Jugend und der älteren Generation befasst habe, will ich nun den Blick nach innen richten: Ja, und wie sieht es eigentlich bei uns aus – den Mittdreißigern? Gar nicht so leicht zu beantworten. Denn in erster Linie sind wir alle etwas orientierungslos. Wir spüren mehr als deutlich, dass nichts auf Dauer Bestand hat – weder Jobs, noch Beziehungen, dass politische Systeme zusammenbrechen, daraus aber keine neuen stabilen Strukturen entstehen. Dass alte Werte verfallen, ohne dass neue greifbar würden. Wir sind vielmehr die „Generation Projekt“. Alles spielt sich in zeitlich befristeten Vorhaben ab, die nach wenigen Jahren abgeschlossen sind, danach kommt was ganz Neues. So entsteht in der Summe eine Art Mosaik oder Patchwork. Man könnte das Blatt positiv wenden und sagen: Das macht das Leben bunt und vielfältig. Aber wenn wir ehrlich sind, suchen wir verzweifelt den roten Faden; etwas, an dem wir uns entlang hangeln und festhalten können. Denn irgendwo will man ja zuhause sein und drum beginnt unsere Generation wieder damit, womit unsere Väter und Mütter aufgehört haben – mit der Gründung von Familien, dem Bau von Einfamilienhäusern und den Lebensversicherungen. Wir suchen darin die Stabilität, die unsere Eltern darin gefunden haben. Einzig das Problem ist – der Plan geht so nicht auf. Jede Zeit findet eigene Werte und Strukturen, und zu uns wollen die aus der vorherigen Generation eben nicht mehr passen. So, wie wir heute keine Dauerwelle mehr tragen würden. Geben wir es doch zu – wir können es einfach nicht – Schulden machen, Silberhochzeit feiern, Treueprämien für die jahrzehntelange Mitarbeit kassieren und Enkelkinder großziehen. Und so lange wir keine eigenen Werte definieren, müssen uns unsere Eltern ständig aus der Patsche helfen – sie stecken uns was zu, wenn wir pleite sind, lassen uns heulend bei sich einziehen, wenn die Beziehung in die Brüche gegangen ist, besorgen uns bei Bekannten Jobs, und sorgen für unsere Kinder, wenn wir uns durchjobben, um nicht den Anschluss an das Arbeitsleben zu verlieren. Dass wir genug mit uns selbst zu tun haben und nicht für unsere Eltern sorgen können, wenn sie mal pflegebedürftig sind, wissen sie längst und sorgen lieber für sich selbst. Das kann uns nur unzufrieden machen, und so sind wir ständig mit unserer Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung befasst. Wir definieren, was wir brauchen und nicht wollen, und dabei bleibt ganz gewiss eines auf der Strecke – ein stabiles Wertesystem, das auch an Tagen greift, an denen wir uns mal nicht selbst finden können.

Julia Siebert

15/12/06

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