Mikhail Akulov ist Dozent an der Kaschisch-Britischen Technischen Universität (KBTU). Der 35-Jährige kümmert sich um die Verwaltung, unterrichtet Geschichte Europas sowie des 20. Jahrhunderts allgemein, veranstaltet Filmclubs und engagiert sich im kulturellen Leben Almatys.

Im Norden Kasachstans, in Kökschetau geboren und teilweise in Karaganda aufgewachsen, ist er mit seiner Familie im Alter von 15 Jahren in die USA ausgewandert. Nach dem Studium an der Harvard-Universität hat er ein Jahr als Gärtner gearbeitet, um dem Mangel an konkreter Erfahrung in der Welt zu begegnen. Erst danach konnte er sich wieder die Aufnahme seiner intellektuellen/geisteswissenschaftlichen Arbeit erlauben.

Neben Russisch, Englisch und Französisch spricht Mikhail Akulov auch noch Deutsch. Während des Studiums hat er in Tübingen und Wien gelebt und dort seine große Vorliebe für die deutsche Philosophie und Literatur entdeckt.

Herr Akulov, sie sind vor vier Jahren aus den USA nach Almaty gezogen. Aus welchem Grund?

Ich bin der Liebe willen gekommen. Ich wollte ein kasachisches Mädchen heiraten, das ich in Boston kennengelernt hatte. Das hat sich als Desaster entpuppt.

Ich habe zwar dann später geheiratet, aber eine andere Frau. Seitdem bin ich hiergeblieben.

Was hat Sie dazu bewogen, hier zu bleiben?

Ich habe eigentlich ganz schnell begriffen, dass ich Kenntnisse und Erfahrungen besitze, die in Kasachstan unter Umständen viel nützlicher sein können als z.B. in den USA.

Obwohl ich ursprünglich nicht den Wunsch hatte, hier zu arbeiten, bekam ich eine Stelle an der KBTU angeboten. Mein Eindruck war, dass die Ausbildung in Sozial- oder Geisteswissenschaften hier viel zu wünschen übriglässt. Daher hing mein Entschluss mit dem Wunsch zusammen, das System ein bisschen zu verändern. Natürlich nicht, um alles zu korrigieren. Das hat mich möglicherweise mit einem Gefühl von „Mission“ erfüllt. Von da an fühlte ich mich wie jemand, der zumindest eine Gelegenheit schaffen soll, um Veränderungen zu ermöglichen.

Natürlich fühle ich mich oft entmutigt. Viele Dinge befremden mich. Deswegen muss ich mir in Erinnerung bringen, dass alles, was Bedeutung hat, nicht ohne Mühe erreichbar ist.

Haben Sie ein Beispiel für solch eine entmutigende Situation?

Ich habe gesehen, dass die Studenten hier keine eigene Stimme haben, dass sie nicht am Universitätsgeschehen teilnehmen.

Um diese Situation zu ändern, kam ich auf die Idee einer studentischen Verfassung. Dafür haben wir unter den Studenten einen Wettbewerb veranstaltet und haben anschließend die beste Variante ausgewählt.

Sie hängt hier auch im Gebäude. Das Problem ist, dass die Studenten keinen Vorteil daraus ziehen. Das befremdet mich. Es scheint, als ob diese Arbeit nicht sehr nützlich gewesen ist.

Aber vielleicht ist das einfach mit dem Mangel an einer politischen Kultur verbunden.

Meinen Sie, dass die Studenten keine Vorstellung von politischem Engagement haben?

Sie könnten ein Studentenparlament haben, ihre Vertreter in Uni-Ausschüsse schicken – aber niemand glaubt wohl, dass dies eine echte Wirkung haben könnte. Natürlich fehlt ein positives Vorbild – aber irgendwo muss man ja anfangen.

Manchmal bin ich etwas verzweifelt, da ich sehe, dass meine Unternehmungen wenig Erfolg haben. Zugleich ist mir klar, dass das keine einfache Aufgabe ist. Diese von mir beschriebene Passivität dehnt sich ja auf die ganze Gesellschaft aus. Was wir hier sehen, spiegelt nur das wider, was wir draußen beobachten. Ihr Einfluss könnte viel stärker sein, wenn die Studenten bereits hier erleben würden, was es bedeutet, eine Verantwortung nicht nur für sein Leben, sondern auch für ein Ganzes zu übernehmen. Ich bin mir sicher, dass das auch einen Einfluss auf die Gesellschaft hätte.

Worauf beruht das Ideal einer kasachischen Universität?

Die Universitäten hier knüpfen an das sowjetische Ideal an. Für uns ist Modernisierung noch ein wichtiger Begriff. Dabei ist er keiner, den man einer Kritik unterziehen möchte. Heutzutage haben wir in Kasachstan mehr als 120 Universitäten. Dieser große Umfang hat seinen Ursprung in der sowjetischen Vorstellung von der Universität als Wissensfabrik, in der zukünftige Experten ausgebildet werden, welche die Modernisierung dann vollziehen. Wir träumen noch von einer hochindustrialisierten und hochmodernisierten Gesellschaft. Doch auf diesem Gebiet sind wir rückständig. Daher ist es notwendig, dass ein neues Programm geschaffen wird, um solche Begriffe kritisch anzugehen.

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Wie würde dieses Programm aussehen?

Nehmen wir die KBTU als Beispiel. Meiner Überzeugung nach, kann man kein anständiger Programmierer werden ohne das Verständnis dafür, was wir als Gesellschaft schätzen oder brauchen. Und zugleich stellt sich die Frage, ob konventionelle geisteswissenschaftliche Berufe noch notwendig sind. Ausgehend davon haben meine Kollegen und ich uns entschieden, ein neues Programm zu schaffen.

Die Idee ist, IT und Business mit Sozialwissenschaften zu vereinen. Unserer Meinung nach brauchen zukünftige Experten ein umfangreiches Wissen über die Gesellschaft.

Wir möchten lehren mit all diesen Technologien kritisch umzugehen. Die Leute sollen daran erinnert werden, wem sie mit ihrem Können eigentlich dienen. Die verschiedenen Leitfächer sollen mit ihren jeweiligen Vorstellungen von der Welt zusammentreffen. Ob wir als Gesellschaft dafür reif sind, ist eine andere Frage.

Gibt es unter Ihren Studenten die Tendenz wegzuwollen?

Ja, die gibt es noch. Das Bestreben, seine individuellen Projekte im Ausland besser realisieren zu können. Das ist schon durchaus ein Problem, das meiner Ansicht nach nicht genug Aufmerksamkeit erfährt. Hier finden sie ja noch keinen Raum, um ihre teilweise im Ausland erworbene Ausbildung produktiv zu verwenden und schon bemühen sie sich, wieder in den Westen zu gehen. Die Bedingungen, in denen sie wirksam tätig sein können, sind noch nicht breitflächig gegeben.

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Was glauben Sie, was bewegt die Jugend in Kasachstan oder Ihre Studenten?

Ich glaube, dass es uns noch nicht ganz klar ist, was wir werden wollen oder wonach wir streben. Manchmal scheint mir, dass die jungen Leuten hier in größerem Grad der weltweiten Gemeinschaft angehören, mehr als in anderen Ländern und mehr als zu diesem Land.

Ich glaube auch, dass es eben mit diesem mangelhaften Verständnis davon, was wir sind, zusammenhängt. Ich hoffe, dass die neuen Leitideen, die uns hoffentlich einfallen werden, frei von nationalistischen Bestrebungen sein werden. Ich wünsche mir, dass die kommenden Generationen die zukünftige Geschichte Kasachstans ohne übermäßigen Nationalismus, sondern mit Verständnis für die eigene Umgebung und Gemeinschaft, schreiben werden. Mit einer intellektuellen Frische.

Wollen Sie langfristig hierbleiben?

Ich würde gerne Zeit im Westen wie auch hier verbringen. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass beides zugleich nicht möglich ist. Daher hoffe ich, dass es mir gelingen wird, zwei Zuhause zu haben. Und so möchte ich getreu meinem Herkunftsland ebenfalls ein nomadisches Leben führen.

Ich würde gerne ein Buch schreiben und mich akademisch weiterentwickeln und dafür wären z.B. die USA eine bessere Umgebung. In Kasachstan habe ich eine andere Aufgabe.

Das Interview führte Ina Hildebrandt

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