Nach dem Dammbruch von Kysyl-Agasch mit seinen offiziell 40 Toten steht nun die technische und organisatorische Aufräumarbeit im Mittelpunkt der Aktivitäten der staatlichen Organe. Das ist auch richtig, was jedoch nicht heißt, das dies ausreichend wäre. Klar, Unglücksfälle kann niemand auf der Welt vollständig ausschließen. Doch gar zu auffällig ist die Serie von Unglücksfällen und wachsenden technischen Problemen in der Infrastruktur Kasachstans, als dass man nach dem Beweinen der Toten zur Tagesordnung übergehen könnte.

Zwar haben unmittelbar nach dem Unglück die wichtigsten Politiker durchaus klare Worte gefunden, die Generalstaatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet, die Rettungsdienste haben gearbeitet, so gut sie konnten, große Teile der Bevölkerung haben Solidarität gezeigt. Doch eine grundlegende Aufarbeitung der Dinge steht noch aus, wobei allerdings die Frage steht, ob die Vorgänge überhaupt zweifelsfrei aufgeklärt werden können und sollen. Eine Vielzahl verschiedener Aspekte ist hier miteinander verwoben, die eine Aufklärung erschweren dürfte.
Da ist zum einen die technische Seite: Der größte Teil der in Kasachstan genutzten technischen Infrastruktur stammt noch aus der Sowjetzeit, seither ist sie nicht grundlegend erneuert worden. Nun sind Finanzen überall knapp, und nicht alles kann in kurzer Zeit modernisiert werden. Gerade deshalb aber muss die Frage nach den Prioritäten gestellt werden, darunter nach dem Sinn des Errichtens von Prestigebauten im Lande.
Mittlerweile ist der aufgestaute Investitionsbedarf in der Infrastruktur so groß, dass wir uns doch auf das regelmäßige Entstehen von Problemen in diesem Bereich wie z. B. Strom- oder Wasserausfall einstellen müssen. Natürlich ist es für Politiker „lustiger“, dem staunenden Publikum einen neuen Palast zu präsentieren als einen langweiligen, aber sicheren Staudamm oder technisch sichere Eisenbahnwaggons. Letzteres aber wirkt auf die direkten Lebensumstände des Volkes, der Palast ist da eher nebensächlich.
Doch der Dammbruch ist nicht nur ein technisches Problem. Er ist durch die fehlende klare Trennung wirtschaftlicher Interessen und politischer Macht ein und derselben Personen zumindest unterstützt worden. Wenn der Besitzer des Staudamms zugleich der Vorgesetzte der Aufsichtsbehörde über dieses Objekt ist, ist leicht das Entstehen eines Übergewichts der privaten finanziellen Interessen über die staatliche Aufsichtspflicht gegeben. Eine solche Verbindung privater und staatlicher Interessen ist in Kasachstan eher die Regel als die Ausnahme.
Beunruhigen sollten auch die schnell vorgetragenen Aufrufe der staatlichen, aber auch der geistlichen Macht an die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren. Das ist zwar für die operative Beseitigung der entstandenen Schäden richtig, politisch-strategisch aber eher nicht optimal. Unglücke solcher Art entstehen unter anderem auch deshalb, weil ein Großteil des Volkes ziemlich kritiklos an die Unfehlbarkeit und Allmacht des Staates glauben soll oder auch glauben will. Gerade in dieser Frage aber sollte gesunder Zweifel angebracht sein.
Es ist nun in dieser Hinsicht nicht so, dass nach dem Unglück geschwiegen worden wäre. Einige TV-Kanäle und Printorgane haben durchaus sehr kritische Positionen hinsichtlich der Rolle staatlicher Organe und hochgestellter Staatsangestellter bezogen und diese auch publiziert. Es ist gut, dass das nicht mehr die große Ausnahme ist. Dennoch bleibt das Grundproblem meist ausgeklammert: die unvertretbar enge Verflechtung von Staatlichem und Privaten. Die staatliche Leitungsposition, in die man ja nicht vom Volke hineingewählt, sondern von oben hineingesetzt wird, wird gar zu oft als eine Art Futterkrippe verstanden , die es möglichst schnell und intensiv auszunutzen gilt, ehe man vielleicht wieder abgesetzt wird. Dabei scheinen Infrastrukturobjekte von geringerem Interesse zu sein als Produktionsunternehmen.
Für letztere gab die Generalstaatsanwaltschaft kürzlich mehr als 10.000 illegale Kontrollen seitens staatlicher Stellen an, was aber nur die Spitze eines Eisberges sein dürfte. Offensichtlich gibt es bei Unternehmen mehr zu holen als aus Infrastrukturprojekten. Das technische Problem Staudamm weist somit eindeutig auf die politische Komponente dabei hin, auf eine Systemüberschwemmung sozusagen.

26/03/10

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