China war in seiner Geschichte in wirtschaftlich-technischer, aber auch geistig-moralischer Hinsicht lange Zeit führend in der Welt. Erst vor etwa 200 Jahren wurde diese Tradition durch eine Reihe von Umständen unterbrochen. Nun will man den Anspruch auf die Führung in der Welt erneuern, was vielen Leuten Angst einjagt.

Klar, fast jeder fünfte Mensch in der Welt ist Chinese, und 1,3 Milliarden Menschen stellen nun mal automatisch eine Macht dar. Das drückt sich auch in einer Reihe durchaus beeindruckender Fakten aus. So hat China im vergangenen Jahr erstmals Deutschland als Exportweltmeister abgelöst und wird sich von diesem Platz kaum nochmal verdrängen lassen. In der Liste der Länder mit dem höchsten Bruttoinlandprodukt (BIP) marschiert China immer weiter nach vorn, wird in ein paar Jahren Japan vom zweiten Platz verdrängt haben und in vielleicht 20 Jahren die USA vom ersten. Was bisher als Masseleistung daherkam, wandelt sich nun auch in qualitative Leistung: der Anteil hochwertiger und innovativer Erzeugnisse am Produktionsvolumen steigt, was vielen Unternehmen aus anderen Ländern zunehmend Kopfschmerzen bereitet.

Schon wird China als einzig verbliebener ernsthafter Konkurrent der USA als globale Führungsmacht gehandelt, doch in der Realität sind wir doch wohl noch sehr weit davon entfernt. Globale Führungsmacht bedeutet, dass man neben der wirtschaftlichen auch entsprechende politische, militärische und diplomatische Potentiale hat und zudem noch über eine geistig-moralische Anziehungskraft auf den Rest der Welt ausübt. In allen Fragen, einschließlich der Wirtschaft aber, hapert es, d.h. China wird in absehbarer Zeit keine globale Weltmacht sein können.

Nehmen wir zuerst die Wirtschaft und damit verbundene Bereiche. Ja, das BIP wächst mit hohen Raten, und China wird die USA vom ersten Platz verdrängen. Doch nur absolut, was bei 1,3 Milliarden Menschen gegenüber 0,315 (USA) irgendwann unvermeidlich ist. In relativer Hinsicht, also pro Kopf der Bevölkerung wird der jetzige Abstand (ein vierzigfacher Unterschied!) noch sehr lange bestehen bleiben, wenn er denn je aufholbar sein sollte. Die regionalen Unterschiede der Wirtschaftsleistung in China sind enorm.

Vom chinesischen Wirtschaftswunder haben bisher höchstens zehn Prozent der Bevölkerung Nutzen gehabt, der Rest lebt kaum wesentlich anders, also noch vor 150 Jahren. Das bewirkt die Gefahr zunehmender sozialer Spannungen, die noch durch den Vielvölkercharakter des Landes verstärkt werden könnten. Vielleicht gelingt es, diese Spannungen in den Griff zu bekommen, doch ein Problem ist in den nächsten etwa 50 Jahren schon keinesfalls mehr beherrschbar. Das ist die schnelle Alterung der Bevölkerung und damit die Verschlechterung der Qualität des wichtigsten Produktionsfaktors – der menschlichen Arbeit.

Die von oben verordnete Einkindehe war sicher notwendig, um entsprechende Entwicklungsfragen in den Griff zu bekommen, langfristig entstehen damit aber jede Menge neue Probleme. Offiziell gibt es in China im Moment 30 Millionen Arbeitslose, inoffiziell wird von mehr als 100 Millionen ausgegangen. Und das bei einem fantastischen Wirtschaftswachstum von um die zehn Prozent jährlich. Auch die einseitige Orientierung auf den Export ist eher ein Nachteil. Nur 35 Prozent des BIP wird durch Nachfrage auf dem Binnenmarkt generiert, die Leute sparen ganz einfach zu viel, weil es kein System der sozialen Grundsicherung gibt. Alle diese Faktoren erhöhen das soziale Spannungspotential, das mit differenzierter Entwicklung des Landes immer schwerer beherrschbar wird. Die chinesische Führung wird sich also zunehmend auf die Lösung innerer Probleme konzentrieren müssen und hat damit weniger Potential, um Großmachtsambitionen zu realisieren.

Und nicht zuletzt: Führungsmacht kann man nur dann sein, wenn man nicht nur Waren, sondern auch Ideen, neue Werte, demokratische Strukturen, richtungsweisende politische und menschliche Innovationen, neue Denkmuster produziert, die in der Welt auch angenommen werden. Das administrative, zentralistische, nivellierende, auf Kontrolle und Unterordnung des Individuums unter den Willen eines Zentrums ausgerichtete System kann zwar bestimmte Ergebnisse erzwingen, wohl aber kaum eine erstrebenswerter gesellschaftlicher Zustand für Völker sein, die oft seit Jahrhunderten völlig entgegengesetzte Strukturen verinnerlicht haben.

Bodo Lochmann

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