Umweltpolitik, Wassermanagement und Nachhaltigkeit – der aktuelle Umwelt-Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung in Semej am 19. Juni war Begegnungsstätte und Diskussionsplattform sowohl für internationale als auch nationale Experten.

Semej – oder Semipalatinsk, wie die 300.000-Einwohner-Stadt im Norden Kasachstans noch vor kurzem hieß – lässt sicherlich keinen Besucher gleichgültig. Das nahegelegene ehemalige Kernwaffentestgelände der Sowjetunion war für seine Atomtests bekannt, die über Jahrzehnte hinweg in der kasachischen Steppe durchgeführt wurden. Von 1949 bis 1989 fanden auf dem damals schwer zugänglichen „Poligon“ anfangs Explosionen am Boden, später in Bohrlöchern und Tunneln statt.

Daher war es sicher kein Zufall, dass auf dem Umwelt-Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung in Semej Fragen zur Umweltverschmutzung, regenerative Energien, Aufklärung und Gesundheitsfragen im Fokus standen.

In erster Linie ging es der politischen Stiftung darum, mit dem Workshop internationale und nationale Experten, staatliche Akteure, lokale Umweltorganisationen und Pressevertreter anzusprechen und an einem Tisch zu versammeln. In Vorträgen und Diskussionen zur Umweltberichterstattung in Deutschland, zum Wassermanagement in Zentralasien und zur kasachischen Gesundheits- und Umweltpolitik kamen sowohl Fachleute als auch Laien und Interessierte miteinander ins Gespräch.

Aktuelle Umwelt- und Klimathemen werden nicht nur in Europa, sondern auch in Zentralasien unterschiedlich wahrgenommen und diskutiert. Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen scheint jedoch gerade aufgrund globaler und lokaler Umweltprobleme dringend notwendig.
Der kürzlich in Rio de Janeiro veranstaltete Erdgipfel „Rio + 20“ zeigte mit seinen Demonstrationen im Vorfeld, welche immense Bedeutung eine nachhaltige und damit langfristig erfolgreiche Umweltpolitik hat.

Zur Frage der Energiewende in Deutschland ergab sich zwischen den Teilnehmern ein reger Austausch. Seit längerem wird der Ausstieg aus der Atomenergie und damit der Übergang zur „grünen“ umweltfreundlichen Energie in der deutschen Medienlandschaft und der Umweltpolitik kontrovers diskutiert. Besonders interessant war es für anwesende Experten, welche Erfahrungen Deutschland mit alternativen „regenerativen Energien“ gesammelt hat und welche Herausforderungen zu verzeichnen sind. Beachtung fand hierbei die Entwicklung im Bereich der Solar- und Windenergie sowohl für den industriellen als auch den privaten Sektor.

Für das stark rohstoffabhängige Kasachstan sind die Diversifizierung der Wirtschaft und der Ausbau von regenerativen Energieformen auf lange Sicht ebenfalls ein wichtiges Thema.
Die schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsprobleme im östlichen Teil Kasachstans, die aufgrund der radioaktiven Strahlung entstanden sind, müssten nicht nur auf der lokalen, sondern auch auf globaler Ebene betrachtet und gelöst werden, bemerkten Fachkräfte aus Wissenschaft und Industrie. Kasachstan sei eine sich dynamisch entwickelnde Industrieregion, ein Land, dem der ökologische Zustand der Region Semej nicht gleichgültig sein könne.
Im Austausch mit internationalen und nationalen Experten ergeben sich zudem meist neue Sichtweisen. Die jahrzehntelangen Kernwaffentests auf dem „Poligon“ bei Semej haben nicht nur die Gesundheit von mehreren Generationen beeinträchtigt, sondern auch Wasser, Luft und Boden verseucht. Auch der Fluß Irtysch sei von einer erheblichen Wasserverschmutzung betroffen, so ein Mitarbeiter der Assoziation „Wasser und Technologien“.

Es komme darauf an, diese Informationen der Bevölkerung zugänglich zu machen. Hinsichtlich der ökologischen Bildung und Verbreitung von Umweltinformationen sei Deutschland den zentralasiatischen Ländern weit voraus. Insbesondere die Berichterstattung brisanter ökologischer Themen durch lokale und regionale Medien könne erheblich zur Verbesserung der Umweltpolitik eines Landes beitragen.

In diesem Zusammenhang verwies der Experte auf eine notwendige Kooperation zwischen Deutschland und Kasachstan im Bereich der Umwelttechnik. Staatliche und nichtstaatliche Akteure in beiden Ländern könnten voneinander lernen. Deutschland trägt bereits zum jetzigen Zeitpunkt als starkes europäisches Industrieland durch Technologie-Transfer zur Entwicklung der Umweltpolitik und „grünen Energie“ in Kasachstan bei.

Energiewende in Deutschland

Demonstrationen gegen den Castor-Transport, die Frage nach der Sicherheit der veralteten Atomkraftwerke und die verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien zeigen, dass in Deutschland bereits ein Umdenken in der Bevölkerung und der Wirtschaft stattgefunden hat. Dieses „ökologische Bewusstsein“ hat sich aber nicht spontan entwickelt, sondern ist ein Resultat der Umweltbewegungen seit den 70er Jahren und der Aktivitäten der Zivilgesellschaft in Deutschland.

Zentralasien kämpft dagegen mit ganz anderen ökologischen Herausforderungen.
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty und Langzeitdozentin des DAAD, Dr. Barbara Janusz-Pawletta, ist überzeugt, dass die Nutzung der Wasserressourcen und ihre Qualität eines der dringlichsten Probleme in der Umweltpolitik Zentralasiens darstellt. „Good Water Governance“, so der internationale Begriff, sei nur auf gleichrangiger zwischenstaatlicher Ebene sicherzustellen. Eine internationale Kooperation im integrativen Management der Wasserressourcen Zentralasiens könne eine gleichmäßige und gerechte Nutzung der Wasservorräte in den zentralasiatischen Ländern gewährleisten.

Welchen Stellenwert hat die Lebensqualität?

Dringliche Gesundheitsfragen und die Rechte jedes Einzelnen im Gesundheitssystem Kasachstans standen im Vortrag „Lebensqualität und Recht auf Gesundheit“ von Bachyt Tumenowa im Vordergrund. Tumenowa ist Präsidentin des Gesellschaftlichen Fonds „Aman-Saulyk“ und selbst ausgebildete Ärztin. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass die Bewohner von Semej und Umgebung seit Generationen unter diversen Gesundheitsproblemen, vor allem Krebs und Schilddrüsenerkrankungen leiden. Umweltbelastungen wie radioaktive Strahlung und Umweltverschmutzungen wirkten sich automatisch auf die Lebenserwartung der Betroffenen aus, führte sie aus. Ungenügende Informiertheit der Bevölkerung über ihre Rechte und Pflichten zur medizinischen Versorgung machten die Menschen zu Opfern des Gesundheitssystems. Jeder Mensch habe jedoch auf Grundlage der UN-Charta ein Recht auf Gesundheit, welches in zahlreichen internationalen Vereinbarungen verankert ist. Letztendlich sind nicht der Staat, private Gesundheitsorganisationen oder NGOs für die Gesundheit der Bevölkerung zuständig, sondern jeder Einzelne trage Verantwortung für sich und seine Gesundheit.

Weitere Gründe für den derzeitigen unbefriedigenden Zustand des Gesundheitssystems in Kasachstan, so Bachyt Tumenowa, seien soziale Faktoren wie Armut und fehlende Bildung. Gute Lebensqualität sei gemäß dem UN-Standard gleichzusetzen mit einer hohen Lebenserwartung und einem entsprechenden Wohlstand. Als dritter Faktor der Bestimmung von Lebensqualität spiele die Umwelt, in der ein Mensch lebt, eine entscheidende Rolle. Umweltverschmutzung und die Folgen von lebensbedrohlicher Strahlung sind daher unbedingt als massive Beeinträchtigung der Lebensqualität anzusehen.

Offener Zugang zu Informationen und Bildung in Umweltfragen und Klimaschutz von klein auf können viel dazu beitragen, dass sich Menschen in umweltbelasteten Gebieten besser informieren und so ein neues Umweltbewusstsein entsteht. Dies ist der Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklung.

Quellen: www.wikipedia.org/ru

Von Malina Weindl

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