Die Geschichte der deutschen Siedler in Zentralasien ist nicht unbedingt das Augenmerk des öffentlichen Diskurses in Deutschland – viele wissen nichts von der Verbindung der Deutschen in dieser Region mit ihrer historischen Heimat. Die Landmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR e. V.) nimmt sich dieser Aufklärungsarbeit an und rückt unsere gemeinsame Geschichte in Vorträgen und einer Wanderausstellung in den Mittelpunkt.

Dr. Viktor Krieger räumt in seinem Vortrag eingangs mit Irrtümern im allgemeinen Verständnis der Region Zentralasien auf. Insbesondere die geographische Abgrenzung von Gebieten, die vornehmlich als Teil des Russischen Reichs gedeutet wurden, sei inkorrekt. Zur Zeit des Generalgouvernements Turkestan von 1867 bis 1917 hätten zehn Prozent der etwas über sieben Millionen Einwohner einen europäischen Hintergrund gehabt und die hätten sich vor allem in den Großstädten angesiedelt.

Die „Kirgisensteppe“, wie man das Steppengebiet zu der Zeit fälschlicherweise bezeichnete, verfügte über weitflächige Räume, die für die Landwirtschaft von großem Interesse waren. Kasachische Nomadenstämme verfügten jedoch überwiegend über das Gebiet. Ende des 19. Jahrhunderts begann das Russische Reich mit einer intensiven Kolonisationspolitik mit dem Ziel, ukrainische und russische Bauern fest anzusiedeln und so einen Nutzen für das gesamte Reich zu erzielen.

Um die Dimension dieser Kolonisationspolitik zu verdeutlichen, baut Dr. Krieger anschauliche Zahlen in seinen Vortrag ein: Bis Anfang des 20. Jahrhunderts bestand die Bevölkerung im Gebiet Akmolinsk, wo das heutige Astana liegt, nur zu 40 Prozent aus ethnischen Kasachen. Zum Rest gehörten aber auch schon über 20.000 deutsche Bauern, die dutzende Siedlungen gegründet haben. Bemerkenswert sei auch die hohe Anzahl an deutschen Siedlern in den Nachbargebieten, die sich – zumeist als mennonitische Siedler aus dem Süden Russlands kommend – dort angesiedelt hatten.

Diese deutschen Siedlungen überdauerten beide Weltkriege und ihre Bevölkerung verblieb zumeist bis zum Zerfall der Sowjetunion in ihnen. Die sowjetische Führung hatte nicht die Möglichkeit, die deutsche Minderheit in weiter entfernte Gebiete zu deportieren, da sie sich schon im asiatischen Steppengebiet befand. Dies erlaubte es den Siedlungen, die eigene Kultur und Sprache über einen langen Zeitraum zu bewahren, was sie aus heutiger Sicht zu einem wertvollen Relikt der Geschichts- und Sprachwissenschaften macht.

Teil der deutschen Geschichtsschreibung

Deutsche lassen sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Zentralasien verorten. Ihre Geschichte ist jedoch nicht homogen, sondern lässt sich in mehrere Abschnitte einteilen und erleidet erst mit dem Zerfall der Sowjetunion einen abrupten Schnitt und den danach folgenden Massenexodus. Bis zum Ersten Weltkrieg belief sich die Zahl der deutschen Siedler in Zentralasien auf etwa 10.000. Während bis 1917 die freiwillige Übersiedlung in die asiatischen Gebiete des Russischen Reichs im Vordergrund stand, waren Deportation und Zwangsarbeit in den Jahren 1941 bis 1955 vorherrschend. Nach dem Siegeszug der Bolschewiken im Bürgerkrieg flüchteten ab 1924 mehrere Tausend Siedler, darunter vor allem Wolgadeutsche, nach Turkestan. Der Ruf von Taschkent als „brotreiche Stadt“ versprach der hungernden Bevölkerung Zuflucht in unsicheren Zeiten. Die Hauptstadt Taschkent, auf dem Gebiet des heutigen Usbekistan, beheimatete die meisten Deutschen. Mennonitische deutschstämmige Auswanderer aus den Wolga- und Schwarzmeergebieten gründeten Siedlungen an der nordwestlichen Grenze des heutigen Kirgistans. Es kann gesagt werden, dass eben jene Siedler die ersten waren, die sich intensiv mit der Milchwirtschaft beschäftigen.

Über den Verein

Die Geschichte und Kultur deutscher Siedler in Zentralasien waren das Thema eines Online-Seminars mit dem Titel „Familiengeschichten der Deutschen in Zentralasien“. Darin spricht Dr. Viktor Krieger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR), über einige seiner Forschungsergebnisse, die er im Rahmen seiner Promotionsarbeit erzielt hat.

Mit Unterstützung des Ministeriums des Innern und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland organisiert die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland eine Wanderausstellung, die an mehreren Orten in Deutschland gezeigt wird. Neben Gemeinden wie Oberderdingen oder Groß-Gerau, geht sie demnächst weiter zu Großstädten wie Wiesbaden und Gütersloh.

Wer sich mehr mit der Arbeit des Vereins beschäftigen möchte, findet in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Osteuropa“ zahlreiche Beiträge zu den Kulturen und politische Entwicklungen rund um das Thema Russlanddeutsche und Biografieforschung.

Anton Genza

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