Ich arbeite seit meinem 12. Lebensjahr. Natürlich nicht vollbeschäftigt. Meine Eltern haben genug verdient, im Vordergrund standen die Schulbesuche, die Ausbildung und das Studium. Ich will und kann mich also nicht beklagen. Trotzdem gehört das Arbeiten seit meiner Kindheit mit aller Selbstverständlichkeit zu meinem Leben.

Ich habe verschiedene Tätigkeiten kennen gelernt, von der Fabrik- und Fließbandarbeit über das Zeitungsaustragen, Putzen und Babysitten, den Küchendienst, die Altenpflege, Aushilfstätigkeit im Handwerk, Gartenhandel, Supermarkt und Büro bis hin zur abgebrochenen Töpferlehre und den Jobs in meinem Beruf, was mich zur heutigen Selbständigkeit führte. Also, eine recht anständige Bilanz.

Das Geld verwende ich seit jeher für die notwendigen und unnützen Dinge in Alltag und Freizeit. Was reinkommt, wird zwei Minuten später restlos verjubelt. Sparen kann ich nicht. Verdiene ich viel, gebe ich viel aus. Verdiene ich wenig, brauche ich eben weniger. Dafür habe ich jetzt auch kein großes, schönes, eigenes Haus und nur ein altes, kleines, langsames Auto. Und auch für sonst nichts gespart, zum Beispiel die Rente. Ich habe eine vage Ahnung, dass sich das nicht von selbst regelt, da sich fast alle um mich herum um ihre Altersversorgung kümmern. Sogar die gelassenen Spezies unter meinen Freunden haben irgendwas arrangiert, um für ihr Alter zu sparen. Nur ich nicht.

Wahrscheinlich verwaise ich im Alter, weil alle anderen all das tun, wofür ich kein Geld haben werde: Reisen, zum Pferderennen, ins Theater, Museum, Kino und Spielcasino gehen. Shoppen und teure Lokale besuchen. Hoffentlich will dann auch noch jemand mit mir so preisgünstige Dinge tun wie mit der Straßenbahn ins nahe gelegene Umfeld zum Wandern fahren, um ein Picknick mit selbst geschmierten Wurstbroten zu genießen. Mehr werde ich mir nämlich nicht leisten können, denn dafür, dass ich immer nur lässig mit den Schultern gezuckt und schleunigst auf Durchzug geschaltet habe, wenn das Thema aufkam, kriege ich jetzt die Rechnung serviert. Neulich kam der Bescheid der Rentenversicherungsanstalt. Da wollte ich doch mal sehen, was sich alles durch meine jahrzehntelange Plackerei angesammelt hat. Tja, ich muss sagen, da spiegelt sich mein Fleiß in keinster Weise wieder.

Gerade mal 151,39 Euro würde meine monatliche Rente nach heutigem Stand im Alter betragen! Wenn man dann noch den Wertverfall des Geldes einrechnet, kann ich mir davon eine Tüte Lakritz pro Monat leisten. Sicher, auch wichtig. Aber wie bezahle ich den Rest, den man zum Leben braucht?! Aha, eine Zeile weiter ist berechnet, was ich bekomme, wenn ich von nun ab ungebrochen weiter schufte. Sage und schreibe 500 Euro. Davon kann ich mir in 30 Jahren immerhin eine Besenkammer anmieten. Na, super!

Mehr arbeiten als jetzt kann ich nicht, wie also die Rente steigern? Also sparen. Oder anlegen, oder so was. Jetzt wüsste ich doch gern, welche Möglichkeiten es gibt. Oder lieber intensiv leben und dann plötzlich aus dem Arbeitsprozess heraus tot umfallen. Oder jetzt schon alles erleben, was sich andere für später aufheben, damit keine Wünsche offen bleiben und ich mich im Alter damit begnügen kann, mich aus dem Schaukelstuhl heraus an die schönen Dinge zu erinnern. Aber damit wäre ich dann wieder allein auf weiter Flur. Wie ich es auch wende, es bleibt kniffelig, und die Katze beißt sich in den Schwanz. So komme ich jedenfalls nicht weiter. Aber je mehr ich über meine Rente von morgen nachdenke, desto mehr vergeht mir die Lust am Heute. Vielleicht beschäftige ich mich morgen damit. Oder übermorgen. Oder erst im nächsten Jahr. Ist ja noch Zeit hin. Jetzt gehe ich erst mal Geld ausgeben, so lange ich noch jung bin.

Julia Siebert

13/11/09

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