Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist eine statistische Grüße, an die sich Ökonomen wie Politiker gleichsam klammern. Wie allerdings, fragt Kolumnist Bodo Lochmann, lässt sich der volkswirtschaftliche Wert des Internets in Zahlen fassen?

Das Internet hat unser Leben in ziemlich kurzer Zeit ziemlich heftig umgekrempelt. Kaum eine andere Erfindung kann da mithalten, vielleicht noch die Dampfmaschine und der elektrische Strom. Die Welt ist jetzt im Wohnzimmer, ohne dass wir uns vom Sessel erheben müssen. Zwar wird der direkte menschliche Kontakt dadurch geringer, einen gewissen Ausgelich bieten aber Facebook und Co., wenn auch keinen vollwertigen.

Die Informationsbeschaffung, der Informationsaustausch über das Internet ist schneller und billiger als der über klassische Wege. Das drückt auch den Preis von Waren, Internetgeschäfte sind so ein Instrument zur Inflationsminderung. Eine zunehmende Anzahl von Leistungen gibt’s gar kostenlos, am bekanntesten ist wohl das Telefonieren über Skype. Die wirtschaftlichen und sonstigen Vorteile des Internets liegen auf der Hand, jeder der Internetnutzer könnte einen finanziellen Vorteil ausweisen. Im Bruttoinlandsprodukt (BIP), dem nach wie vor zentralen Leistungsparameter einer Volkswirtschaft, schlägt sich dieser Vorteil jedoch kaum nieder. Hier werden eigentlich nur die Investitionen in den IT-Sektor, die Softwarekosten, die Verbindungsgebühren und die Umsätze von Internetorganisationen erfasst. Bessere und weltweite Erreichbarkeit, Schnelligkeit der Informationsprozesse, verringerte Kosten für bestimmte Dienste oder gar deren vollständiges Entfallen werden nicht erfasst, obwohl sie für die Internetnutzer größte Relevanz haben. Für die BIP-Berechnung gilt nach wie vor: je teurer ein Produkt, je mehr Fertigungsstufen es durchlaufen hat, je mehr weggeworfen und durch neues ersetzt wird – umso besser für das BIP. Auch Naturkatastrophen mit ihren umfassenden Schäden, wie das jüngste Hochwasser in Deutschland, steigern das BIP, obwohl eigentlich Werte vernichtet worden sind und ersetzt werden mussten. Diese Mängel des BIP als komplexe volkswirtschaftliche Leitungskennziffer sind zwar altbekannt und viel diskutiert, bleiben aber nach wie vor ungelöst. Das Internet mit seinen wohl positiven, gleichwohl statistisch im BIP nicht erfassten Wohlfahrtseffekten ist nur ein weiteres Beispiel für die Unvollkommenheit der Größe an die sich alle Ökonomen und Politiker klammern.

Immer mehr Ökonomen versuchen sich deshalb auch daran, den Wert des Internets irgendwie zu messen und die ermittelten Größen dann dem BIP zuzuschlagen. Es könnte dabei um Milliarden oder gar Billionen gehen. Auf unser tägliches Leben bezogen kann man den Wert des Internets sicher mit einigen tausend Euro pro Jahr ansetzen. Wir brauchen nicht mehr in das Geschäft oder zur Bank zu fahren, wir können elegant und schnell Warenpreise vergleichen und die preiswerteste Variante bestellen, wir haben Informationen schnell verfügbar und brauchen nicht mehr lange in Büchern danach suchen, wir können kostenlos telefonieren u.a.m. Wie groß der wirkliche Wert des Internet ist, mag im Detail ein Streitpunkt sein, klar ist aber, dass das Netz und unser dranhängender Computer mehr Nutzen bringt, als wir real bezahlen. Diese Differenz wird im Rückgriff auf den britischen Ökonomen Alfred Marshall „Konsumentenrente“ genannt. Gemeint ist damit der Mehrwert, den ein Produkt oder eine Dienstleistung für den Kunden bringt – die Differenz zwischen dem Preis, den der Verbraucher wirklich zahlt und der Summe, die derselbe Verbraucher bereit wäre, maximal zu bezahlen. Je mehr der verlangte Preis einer Internetdienstleistung gegen Null strebt, umso größer ist demnach die Konsumentenrente und umso reicher sind wir. Nur dass es eben nicht zusätzlich im Portemonnaie klingelt, sondern eine hätte – wenn- Rechnung ist. Viel Internet nutzen – natürlich sinnvoll – macht uns also reicher. Man kann es aber auch anders sehen. Die vor dem PC-Bildschirm verbrachte Zeit hätte man ja auch nutzen können, um selbst Werte zu schaffen, also um Geld zu verdienen und solches nicht nur einzusparen. Da die Diskussionen über den Wert des Internets noch ziemlich neu sind, kann man auch noch keine endgültigen Antworten erwarten. Wahrscheinlich gibt’s die auch gar nicht.

Übrigens ist das Konzept von Marshall mehr als 100 Jahre alt, also keinesfalls mit dem Internet geboren.

Bodo Lochmann

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