„Niemand erwartet Veränderungen über Nacht“, so Ivar Vikki, Leiter des OSZE-Zentrums in Almaty. Dass Reformen jedoch notwendig seien, damit Kasachstan sein ehrgeiziges Ziel des OSZE-Vorsitzes im Jahre 2009 erreichen kann, darin waren sich die Beteiligten der Konferenz einig. Vertreter der kasachischen Regierung und der Partei „Ak Schol“, der OSZE sowie der Friedrich-Ebert-Stiftung fanden sich gemeinsam mit zahlreichen Experten aus Wissenschaft und Presse im „Hotel Intercontinental“ in Almaty ein, um über Voraussetzungen und Bedeutung eines kasachischen OSZE-Vorsitzes zu diskutieren.

Die Ansichten über den derzeitigen Stand der Reformen im Land gingen dabei weit auseinander. Nachdem der Regierungsvertreter Anton Morosow in seinem Vortrag Kasachstan „auf einem guten Weg“ sah und betonte, die Republik erfülle mit ihrem Mehrparteiensystem, offenen Wahlen und einer freien Presse alle elementaren Kriterien einer liberalen Demokratie, bemerkte Jerkin Tukumow, Generaldirektor der „Zentralasiatischen Stiftung für Demokratie“, in diesem Punkt würde sich die Wahrnehmung der Regierung wohl etwas von der Realität unterscheiden.

Jewgeni Schowtis vom „Kasachischen Internationalen Büro für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“ brachte es auf den Punkt: „Sie wollen uns glauben machen, zwei und zwei sei fünf!“ Nicht die formelle Existenz von Rechten, sondern deren tatsächliche Umsetzung, die effektive Gleichheit aller Bürger und die Möglichkeit freier, individueller Entfaltung seien der wahre Kern der Menschenrechte. Dass die junge zentralasiatische Republik noch immer weit von diesem Ideal entfernt sei, daran ließ Schowtis keinen Zweifel. „Es handelt sich nicht um eine Demokratie. Der OSZE-Vorsitz wäre jedoch eine Chance, die Reformkräfte im Land zu stärken.“ Ein Scheitern würde die bereits erreichten Fortschritte ernsthaft gefährden.

Auch der Vertreter der Deutschen Botschaft in Kasachstan, Joachim Marschall von Biberstein, zeigte sich sicher, dass die Bemühungen Kasachs-tans, auf der internationalen Bühne eine größere Rolle zu spielen, für den Demokratisierungsprozess nur von Nutzen sein können. „Bereits die Kandidatur für den Vorsitz hat zu ersten Emanzipierungsbemühungen in der Bevölkerung geführt.“

Ein Dilemma: Ohne weitere Demokratisierung kein OSZE-Vorsitz, ohne die Aussicht auf den Vorsitz wenig Chancen auf die tatsächliche Umsetzung der Reformen. Den Schlüssel zu dieser Problematik könne eine freie Presse liefern, so Alexander Boldyrew, Beauftragter der OSZE. „Unabhängige Medien sind ein unabdingbares Kontrollinstrument. Eine geschlossene Informationspolitik, wie sie derzeit betrieben wird, verhindert jedoch den Austausch zwischen Bürgern und Regierung.“

Dass Kasachstan auch einen ganz anderen Weg gehen könnte und sich nicht auf Gedeih und Verderb westlichen Demokratievorstellungen unterwerfen müsse, darauf wies Juri Solosobow, Chefredakteur des Internetportals „APN-Kasachstan“, hin. „In unserer Gesellschaft herrschen andere Wertvorstellungen.“ Nicht nur seien die Forderungen der OSZE kaum zu erfüllen, die Unnachgiebigkeit mit der diese verlangt würden, ließe sich auch als ein „neuer Kolonialismus“ Europas deuten. „In diesem Punkt stimme ich mit unserem Präsidenten überein. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen.“ Wohin dieser Weg führen könnte, machte Solosobow ebenfalls deutlich. „Russland und Kasachstan sollten verstärkt eine gemeinsame Politik verfolgen, und auch eine Kooperation mit unserem Nachbarn China würde erstaunliche Ergebnisse mit sich bringen.“

Doch weder China noch Russland sind Musterbeispiele offener Gesellschaften. So scheint die Entscheidung über einen Vorsitz Kasachstans in der OSZE tatsächlich die Weichen für die Zukunft des Landes zu stellen. Davon geht auch Schowtis aus. „In der kasaschischen Gesellschaft gibt es zwei rivalisierende Kräfte, eine demokratische und eine autoritär-nationalistische. Ob und wann Kasachstan einen OSZE-Vorsitz erhält, wird mitentscheiden, welche dieser Kräfte letztendlich die Oberhand gewinnt.“

Von Jan Peter

01/12/06

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