Weißrusslands Oppositionelle und einige kritische Journalisten haben immer weniger Möglichkeiten, das System Lukaschenko zu kritisieren. Teilnehmer von Demonstrationen riskieren ihre Festnahme. Um dennoch ein Zeichen für Widerstand und Protest und gegenseitige Solidarität zu setzen, ruft die Opposition nun an jedem 16. eines Monats zum internationalen Tag der Solidarität aus. An diesem Tag, an dem vor sechs Jahren ein Oppositionsführer spurlos verschwand, sollen alle, die sich mit der Opposition solidarisch fühlen, um 8 Uhr abends die Beleuchtung für 15 Minuten ausschalten und im Zimmer eine Kerze anzünden.

Oppositionelle und kritische Medien haben in Belarus einen schweren Stand und immer weniger Möglichkeiten, ihre Meinung zu kommunizieren, sich zu wehren und sich zu verbünden. Reihenweise werden im Lande die freien Medien eliminiert und diejenigen, die Flugblätter verteilen oder an Demonstrationen teilnehmen, festgenommen. Deshalb kam die bekannte belarussische Journalistin Irina Chalip mit Freunden auf die Idee, einen Solidaritätstag zu initiieren. Sie ruft die Bevölkerung dazu auf, Kerzen der Solidarität anzustecken – Solidarität mit den Unterdrückten, den politischen Gefangenen, mit Familien, die durch Maßnahmen des Regimes Väter und Brüder verloren haben. Es geht um ein kleines, eigentlich unscheinbares Zeichen, für das man vom Staat nicht belangt werden kann, das aber vielleicht eine große Wirkung entfaltet: „Erst ist es nötig, das Licht zu Hause für 15 Minuten auszuschalten und eine Kerze anzuzünden”, erklärt Irina Chalip. „Es ist ein reiner Akt der Solidarität, der mit keiner Gefahr für Menschen verbunden ist. Wenn man es heute tut, wird man vielleicht in einigen Monaten imstande sein, durch die Straßen zu ziehen”, hofft Irina Chalip.

„Ihr habt keine Wahl“

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn die Repressionen des Staates in der Ära Lukaschenko zeigen breite Wirkung. Etwa 95 Prozent des belarussischen Medienmarktes werden von staatlichen Rundfunkhäusern und Zeitungen kontrolliert, gleichzeitig nimmt die Isolierung des Landes vom Rest Europas stetig zu. „Ihr habt keine andere Wahl, ihr werdet mich wählen”, sagte Lukaschenko am 4. November bei der Einweihung einer neuen Gaspipeline auf dem Lande. Die Opposition machte er lächerlich: „Diejenigen die jeden Tag trinken, dürfen nicht für mich stimmen – ich brauche eure Stimmen nicht!” Die eine Wahrheit, die tagtäglich im Lande verkündet wird, setzt sich mangels Alternativangebot in den Köpfen der Menschen fest. Nach Umfragen des unabhängigen Instituts sozialwirtschaftlicher Forschungen (NISEPI) ist die Zustimmungsrate zur Politik des Staatschefs Alexander Lukaschenko in den letzten vier Monaten um 5,6 Prozent auf nun 43,7 Prozent angestiegen. 44,5 Prozent der Befragten sind sicher, dass die für Sommer 2006 geplanten nächsten Präsidentenwahlen frei und fair verlaufen werden. Dies bedeutet aber auch, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Lukaschenko misstraut. Eine Mehrheit, der es nicht gelingt, sich zu organisieren. Irina Chalip macht nun einen weiteren Anlauf. Der 16. eines jeden Monats wurde ausgewählt, weil am 16. September 1999 Viktor Gontschar, der damalige Vize-Sprecher des belarussischen Parlaments, und sein Freund, der Geschäftsmann Anatoli Krassowski, spurlos verschwanden. Nachforschungen wurden trotz Drucks von Seiten der USA und der EU nie richtig angestellt. Krassowskis Frau Irina ist von der Aktionsidee begeistert: „Auf diese Weise erlebt man einen großen Rückhalt und versteht, dass ganz viele Menschen der gleichen Meinung sind.”

Ein Zeichen setzen

Pawel, der Sohn des inhaftierten ehemaligen Botschafters und Wirtschaftsministers Michail Marinitsch meint, dass die Aktion Menschen zusammenführt, denen das Schicksal der Republik nicht egal sei. Der chinesische Philosoph Konfuzius habe gesagt, dass man anstatt über Dunkelheit zu schimpfen lieber eine kleine Kerze anzünden sollte. In Weißrussland sollen es jetzt viele kleine mutige Kerzen sein. Als die Aktion am 16. Oktober um 20 Uhr startete, haben nach Schätzungen der Opposition rund 100.000 Menschen in Belarus daran teilgenommen. Auch befreundete Musiker, Schriftsteller, Bürgerrechtler, Abgeordnete und Studenten im westlichen Ausland, darunter Länder wie Belgien, Deutschland, Estland, Kanada, die Niederlanden, Polen und die USA hätten Freiheitskerzen angezündet für diejenigen, die in Belarus für Demokratie kämpfen. Im November versuchte die weißrussische Opposition, die Kerzen-Idee mit E-Mails und SMS weiter zu verbreiten. Irina Chalip hofft auf noch mehr Teilnehmer in aller Welt. Dunkle Städte und dunkle Fenster, in denen nur die Schatten der Kerzen zu sehen sind, seien wie ein Spiegel. „In diesem Spiegel könnten wir sehen, dass es viele von uns gibt.” (n-ost)

25/11/05

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