Die chinesische Regierung hat eine rund 3000 Kilometer lange Pipeline in Auftrag gegeben, die quer durch Kasachstan führt. An einem Teilstück mitten in der kasachischen Steppe testet eine deutsche Firma die Schweißnähte zwischen den einzelnen Röhren. Einmal im Monat begibt sich Geschäftsführer Sven-Ingo Vogel auf einen abenteuerlichen Trip, um auf der Baustelle bei Agadyr nach dem Rechten und nach seinen arg geprüften Arbeitern zu sehen.

Eigentlich hätte es bereits Mißtrauen wecken sollen, als Uba der Uigure seinen gelben Mitsubishi um vier Uhr morgens irgendwo außerhalb Almatys ausgerechnet mit Gas auftanken ließ. Mußte er als erfahrener Taxifahrer doch wissen, dass auf der vor ihm liegenden Strecke von 880 Kilometern kein Weg an der kasachischen Steppe vorbeiführt. Aber sein Passagier, Sven-Ingo Vogel, deutscher Geschäftsmann mit kurz gestutztem Bart, graumeliertem Haar und Windjacke, ist guter Dinge: „Mit Gas betriebene Autos könne man ja jederzeit auf Benzin umschalten.“ Und so stellt niemand eine Frage. Schon bald lässt der kleine Uba das schlafende Almaty hinter sich und somit auch die zahlreichen Tankstellen, die billiges Propangas als Treibstoff feilbieten. Den Fuß immerzu bleischwer aufs Gaspedal gedrückt, treibt er sein gelbes Gefährt zu Höchstleistungen an und stetig seinem Ziel entgegen. Ein Ziel, das zwischen der alten Hauptstadt Almaty und der neuen Hauptstadt Astana mitten in der Steppe liegt. Dort nämlich baut die Firma von Sven-Ingo Vogel an einer Ölpipeline. Vogel, der einmal im Monat aus Deutschland anreist, um seine Leute in der Wüstenstadt Agadyr zu besuchen, hatte diesmal keinen Mietwagen kriegen können. Schon wenige Kilometer hinter Almaty sind nicht nur die Häuser, sondern auch das Mobilfunknetz zu Ende, und auf dem Flachbildschirm, den Uba zu Ungunsten eines Autoradios mitführt, rennen die Ameisen um die Wette. Kein Grund, nicht mit der Fernbedienung bei voller Fahrt noch unzählige Male andere Sender auszuprobieren.

Am Anfang war das Nichts

Wieso Kasachstans Bevölkerungsdichte bei 5,57 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt, gibt einem die hiesige Steppe eindrücklich zu verstehen. Eine dürftig geteerte Straße führt schnurstracks bis zum Horizont und wenn dieser erreicht ist, endlos weiter. Rechts und links nichts, außer rauhem Grund und verdorrtem Wüstengras, jagt die Steppe jedem Angst ein, so als wollte sie sagen: „Ihr Menschen habt hier nichts zu suchen.“ Als vor 70 Jahren nämlich die Eisenbahn auch der kasachischen Steppe ein Schienennetz abtrotzte, mussten Bahnstationen her. Nicht, dass irgendjemand in dieser gottverlassenen Gegend aussteigen wollte, doch die damaligen Dampflokomotiven brauchten alle 300 bis 400 Kilometer Wasser und Holz. Zu diesem Zwecke und um das kasachische Nomadenvolk zu kontrollieren, wurde dieses zwangsangesiedelt und dort Städte aus dem Boden gestampft, wo sich nicht einmal Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Rund zwei Millionen Kasachen sollen in den ersten Jahren verhungert sein. Auch viele von den unter Stalin nach Kasachstan Deportierten raffte die Wüste hinweg. Und doch: Kamele können hier überleben. Wölfe soll es angeblich geben. Ab und zu sieht man eine Herde Kühe mit oder ohne Hirten zwischen Steinen und Sand nach Eßbarem suchen. Die meisten Dörfer am Straßenrand sind verlassen, die Plattenbauten am Einstürzen. Wenn, dann leben die Leute zwischen Schrott und Schutt in Blechhütten. Und so stört es auch niemanden, dass in dieser Einöde eine Erdölleitung verlegt wird. „Atasu-Alaschankou“ nennt sich das Projekt, an dem Sven-Ingo Vogels Gruppe in der Steppe an einem Teilstück arbeitet. Atasu und Alaschankou sind die Anfangs- und Endpunkte der 988 Kilometer langen Pipeline, die nur ein Stück des gesamten chinesisch-kasachischen Röhrensystems darstellt, welches von Atyrau am Kaspischen Meer auf einer Gesamtlänge von  3000 Kilometern bis kurz über die chinesische Grenze führt.

Ein Trauerspiel

Bereits 1997 haben sich die Staatsoberhäupter Chinas und Kasachstans darauf geeinigt, dass der chinesische Staat Erdöl in Atyrau fördern und über kasachisches Territorium transportieren kann. Auf einer Länge von 3000 Kilometern sollen ab 2006 jährlich zehn Millionen, ab 2011 sogar 20 Millionen Tonnen Öl durch die Röhren von 813 Millimeter Durchmesser fließen. Kasachstan hat Anrecht auf einen bestimmten Anteil des Öls. Nach Ablauf des Abkommens geht das Leitungssystem in kasachischen Besitz über. Drei Milliarden Euro kostet das gesamte Projekt, verrät Sven-Ingo Vogel und erklärt: „Bauherr ist die kasachische Firma „KazStroyService.“ Unsere Firma „Uni-Service“ mit Sitz in Leipzig ist lediglich für die Werkstoffprüfung zuständig. Diese ist ein sensibler Punkt, weil hier die kleinste Unsauberheit – ein Leck im Pipelinesystem – eine Naturkatastrophe auslösen kann.“ Obwohl auch viele russische Unternehmen auf Werkstoffprüfung spezialisiert sind, hat man sich für Vogels deutsche Firma entschieden. Vielleicht auch deshalb, weil Kasachstan nach jahrzehntelanger sowjetischer Unterdrückung eine eigene Identität aufbauen will und bestrebt ist, eigene Kapazitäten auf- und russischen Einfluss abzubauen. Vogel bestätigt: „Kasachstan ist ein guter Boden für deutsche Unternehmer. Wir versuchen unsere Firma hier zu etablieren und wollen die Leute vor Ort ausbilden, um sie irgendwann in die Selbsständigkeit zu entlassen.“ Aber noch ist es nicht soweit, und deshalb muss Vogel sein gutes Dutzend Arbeiter den Strapazen der kasachischen Steppe aussetzen. Doch nicht nur sie, sondern auch der Chef selber hat einmal im Monat einige Unannehmlichkeiten zu verkraften, wenn er im Taxi von Almaty Richtung Norden nach Agadyr zur Basis der Baustelle fährt. „Ich habe schon in der Ukraine, der Türkei, in Polen oder Weißrussland gebaut, doch eine solch armselige Umgebung wie hier in Kasachstan hab ich noch nie erlebt. Es ist ein Trauerspiel.“

„Um die Weiber gekloppt“

In Agadyr leben angeblich noch rund 13.000 Menschen. Aber wo? Großmütter bieten am Straßenrand heißen Tee und gebrauchte Schuhe feil. Eine Polizeipatrouille rattert über die leeren Straßen. Ein Chaos von Blech- und Holzhütten erinnert weniger an eine Kleinstadt als an eine verlassene Schrebergartensiedlung. Bauschutt von zusammengefallenen Häusern und Abfall, wo immer man seinen Fuß hinsetzt, beherrschen das Stadtbild – lediglich die himmelblaue Moschee ist ein Hingucker. Irgendwo in einem verfallenen Hof glänzen zwischen Müll und Schrott zwei neue silbrige Blechkontainer. Das ist die Zentrale von Sven-Ingo Vogels Firma, ausgerüstet mit Computer, Telefon und Apparaturen zur Entwicklung von Röntgenfilmen. Auf der Baustelle in der Steppe fährt nämlich ein Röntgengerät durch die zusammengeschweißten Röhren und fotografiert jede einzelne Schweißnaht der Pipeline. Die Filme kommen in die Zentrale, wo sie entwickelt und auf Unregelmäßigkeiten überprüft werden. Einer der beiden Deutschen, die hier arbeiten, heißt Guido mit Vornamen und hat ein blaues Auge: „Es war eine Keilerei mit Einheimischen. Ich weiß nur noch, dass ich an jenem Abend mit vier Frauen am Tisch saß und schon den einen oder anderen Wodka getrunken hatte“, sagt er. Als er erwachte, hätte er jeden einzelnen Knochen gespürt. Die Steppe scheint den 34jährigen Ostdeutschen ziemlich mundtot gemacht zu haben, obwohl er erst gut drei Monate hier ist. Im Café wird er dann gesprächiger: „Positiv ist es hier nur, wenn ich schlafe“, sagt er zuerst, besinnt sich dann aber: „Eigentlich haben wir oft einen Riesenspaß, und die Arbeit ist in Ordnung.“ Die wenigen russischen Phrasen wie „Ich verstehe nicht“, „Ich liebe Dich.“ und „Halt´s Maul!“, verrät er, habe er von „seinem Mädchen“ gelernt. „Sie ist mein einziger Lichtblick und macht das Leben hier erträglicher. Zudem ist es wichtig, dass du dich mit den Kollegen gut verstehst. Sonst überlebst du Kasachstan nicht.“

Politisch brisantes Pipelinenetz

Einer dieser Kollegen ist der Russe Anton. Er hat in Astrachan Psychologie studiert und, weil sein Vater seit Jahren mit Vogel zusammenarbeitet, habe er diesen gutbezahlten Job in Kasachstan gekriegt. Er zeigt die Hütte, in der die Kasachen hausen. Drei Pritschen stehen nebeneinander in einem Zimmer. Zu neunt wohnen die Angestellten der kasachischen Firma hier auf engstem Raum. Und Anton plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen: „Der Chef der kasachischen Firma ist zugleich Berater des Präsidenten. Trotzdem konnten wir erst im August unsere Arbeit aufnehmen, weil es ein Problem mit der Bewilligung gab.“ Anton ist für die Entwicklung der Röntgenfilme zuständig und meint: „Die Arbeit ist ziemlich verantwortungsvoll, und die Bezahlung lässt sich sehen.“ Dass die ganzen Leitungen überflüssig werden, wenn in einigen Jahren das Öl alle ist, darüber macht er sich nicht zu viele Gedanken. „Von mir aus kann Milch durch die Pipeline fließen, Hauptsache der Lohn stimmt“, gibt er zu. Da misst Sven-Ingo Vogel dem ganzen Pipelinenetz schon mehr Bedeutung zu: „Das weltweite Leitungsnetz gibt Aufschluss über so manche politische Rangelei“, sagt er, und packt sein Notebook ins Taxi, bereit, Agadyr so schnell wie möglich zu verlassen. Auch das Taxi scheint erleichtert und hüpft vor lauter Schlaglöchern, je weiter die Straße von Agadyr wegführt. Doch Uba lässt das unbeeindruckt. Kein Auto, das nicht überholt, keine Sicherheitslinie, die nicht überfahren und keine Hupmöglichkeit, die nicht genutzt wird. Und so neigt sich nicht nur der staubig-heiße Steppentag, sondern auch das Gas im Taxitank dem Ende zu. Wenig später, aber viel zu weit vom Ziel entfernt, hängt der gelbe Mitsubishi im Schlepptau eines rostigen Jeeps, der zum Kühlwassernachfüllen ebenfalls am Straßenrand angehalten hatte. 70 Kilometer gehts durch die eisige Steppennacht, bis endlich eine Tankstelle Gas im Angebot hat. Sven-Ingo Vogel nimmt’s gelassen. Das muss er auch. Laut „KazMunayGaz“ soll zwar der Bau der Pipeline „Atasu-Alaschankou“ Ende 2005 fertiggestellt sein. Den Leuten in Agadyr frieren indes bereits jetzt des Morgens die Wasserleitungen ein. Doch Kasachstan plant in den nächsten zehn Jahren jährlich 800 bis 1000 Kilometer Pipelines zu bauen: Für Öl, Gas und Fernwärme. Öl solls angeblich in Kasachstan noch mindestens 40 Jahre geben. Das haben keine kasachischen Taxifahrer ausgerechnet, sondern Experten von Agip, Shell und Co.

14/10/05

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